Sonntag, 15. Juni 2014

Tipps vom 09.06. - 15.06.2014



THE MAN WHO WASN'T THERE - Schicksal und Zufall liegen immer ganz nah beieinander im Werk der Coen-Brüder. Meist scheint es so, als ob ihre Charaktere keinerlei Kontrolle darüber haben, was ihnen zuteil wird, doch im Grunde sind alle irgendwie schuldig, auch wenn sie es selber nicht so empfinden, u.U. sogar im Recht liegen - aber Karma oder was auch immer schlägt ohne Rücksicht ganz nach eigenem Ermessen zurück, bei den unvorteilhaftesten Momenten; unvermittelt, kryptisch, anarchisch und doch zielgerichtet mehr oder weniger gegen/für das Individuum. Ich bin noch nicht ganz sicher, ob Joel & Ethan sich mit ihren Charakteren identifizieren oder mit der oberen, göttlichen Gestaltungshand - eine existenzialistische Gaudi kommt aber so oder so immer gut zusammen.

So verhält es sich auch für den MAN WHO WASN'T THERE (Billy Bob Thornton), einem schwierig zu entziffernden Barbier. Er teilt durchweg auf noirigem Wege seine Gedanken mit uns, raucht eine nach der anderen weg, strahlt eine objektive Unbeeindrucktheit aus, scheint anfangs ein berechnender Zeitgenosse zu sein, ganz dem Schwarz-Weiß-1940er Zeitkolorit entsprungen - und doch hat er ganz bewusst nicht den blassesten Schimmer, lässt sich leichtgläubig auf dubiose Geschäfte ein und sorgt nicht nur für den persönlichen, sondern auch den Zerfall alle seiner Bekannten, auch wenn er es ab und an wirklich gut meint; sogleich über Leichen geht, aber dennoch geständig sein will (was ihm aber immerzu verwehrt bleibt).


Die innere Verlorenheit macht sich bei ihm in jenen Lebensmomenten bemerkbar, jedoch keine Nervosität - denn sein Verständnis dafür, was ihm widerfährt, ist nicht bereit, lässt alles über sich ergehen. Und das ihm umgebende Universum ist auch nicht bereit, den Plan für seine Person mit ihm zu teilen. Nichts ist nun mal mehr sicher in dieser Welt, alles ist irgendwie geregelt, aber unterschwellig brodelt es unentwegt: kalter Krieg, Affären, Betrügereien, plakativer Enthusiasmus, angebliche UFOs und Verschleierungen/Verzerrungen der Wahrheit. Er findet auch folgerichtig keinen Halt, keinen festen Sinn fürs Dasein ("This hair...it just keeps growing...") und wird daher, auch von sich selbst, unbarmherzig zum Geist deklariert, fernab einer biederen und einfältigen Gesellschaft.


Die einzige Heimat findet er bei abendlichen Klavierstunden der jungen Birdy Abundas (Scarlett Johansson), deren Vater er schon seit längerem kontinuierlich besucht. Bei ihr versucht er sodann auch, eine gewisse Aufgabe für sich zu finden, ihr Talent zu fördern, was ihr persönlich eigentlich völlig Schnurz ist, aber wofür er keine Kosten und Mühen scheut - sogar das einzige Mal im Film wirklich nervös erscheint, weil das vielleicht noch seine letzte Chance, auch auf Wiedergutmachung, ist.


Was er und die Anderen nämlich nicht alles schon im Vornherein angestellt haben, um sich in diese nicht nur psychologisch missliche Lage zu bringen: für eine Investition in das Gebiet der Trockenreinigung erpresst er unter Pseudonym den Liebhaber seiner Ehefrau Doris (Frances McDormand), Big Dave Brewster (James Gandolfini), muss sich in der Verzweiflung der Beiden zig Verheimlichungen anhören, bevor er doch noch von Dave entlarvt wird und ihn im Kampfgemenge umbringt, woraufhin man aber seine Frau dafür anklagt, für die er schließlich doch noch ein entlastendes Geständnis ablegen will, das aber ebenso wenig überzeugend klingen würde wie ihr unausgereiftes Alibi.


Staranwalt Freddy Riedenschneider (Tony Shalhoub) mag in dem Fall wirkend zwar nicht gerade der ehrenvollste Faktor sein, so zynisch und egozentrisch-kaltschnäuzig er nach Gegenargumenten der Anklage sucht, aber in seinem Ehrgeiz erkennt er doch noch als eine der wenigen Figuren im Film die ernüchternde Realität der Geschichte, auch wenn er sie als sensationalistisches Emotions-Werkzeug ausbeutet: es gibt immer Zweifel in der Evaluierung der Wahrheit und wenn diese nicht direkt objektiv (nicht subjektiv!) vorliegt, beweisbar ist, kann man schlichtweg kein Urteil fällen. Doch bevor hier ein Urteil gefällt werden kann, nimmt sich Doris schon aus dem Nichts das Leben.


Ist diese Handlung ihrerseits irrational oder gerade die pure Rationalität? Schließlich ist sie im Gegensatz zu ihrem unentschlossenen Barbier diejenige, die Initiativen ergreift, Halsabschneider und Vertreter von ihrem Grundstück schmeißt und kein Blatt vor dem Mund nimmt, wenn ihr etwas nicht passt (siehe ihren verachtenden Suff bei der Redneck-Hochzeitsfeier und ihr Anschnauzen des weinenden Mädchens im Gefängnis). Natürlich hat sie ihre Geheimnisse und "Sünden", wie jeder Mensch, aber sie scheint ab- und aufgeklärter, kennt sich selbst und das System, in dem sie lebt und auch für sich manipuliert. Unser Barbier dagegen, dieser selbsternannte Geist, ist schlicht unsicher, ziellos, zwar von Grund auf methodisch, aber auch mechanisch, umso tollpatschiger. Eben der "moderne Mann", wie ihn Riedenschneider verteidigend (und wissend) darstellt, in einem Menschenpool, der von oben beherrscht wird und glaubt, er könne von alleine fließen.


Er ist der tendenzielle Wandler zwischen den Welten, ein Systemfehler von zugleich offenbar überdurchschnittlichem Wissen/Selbstbewusstsein (alà Doris) und unbedachter Inkompetenz, der jede Situation gründlich erfassen, sogar voraussehen könnte, aber dennoch (im Nachhinein betrachtet) die falschen Entscheidungen trifft. Über allem steht trotzdem irgendwie noch immer das Unbekannte, die höhere Macht, die gegen ihn arbeitet, sich einmischt und jeden gemachten Schritt zunichte macht, mehr noch als der Barbier es von alleine könnte. Eine schwierige Sache, auch für den Zuschauer, da einen plausiblen Schluss zu ziehen, denn das System des Lebens lässt sich eben auch nicht so einfach entschlüsseln, antwortet letzten Endes immer plump mit dem Tod - da lässt der Film reichlich Zweifel, aber eben auch reichlich Denkwürdiges übrig; in einer durchweg eleganten, stimmungsvoll-enigmatischen Fassung, die zunächst Schwarzweißmalerei vermittelt, aber immerzu über den Kopf wirft. Die Coens können "Realität" nun mal nicht anders behandeln, dafür kann man dankbar sein.




STARMAN - Eine kleine Kuriosität aus den 1980ern - der romantische Sci-Fi-Road-Movie 'STARMAN' von niemand Geringerem als John Carpenter. Wie er zu diesem für ihn ungewöhnlichen Projekt kam, ist eine Sache. Herangeführt zu einem vorgefertigten Drehbuch im Fahrwasser des Spielberg-Hits 'E.T.' (obwohl 'STARMAN' ungefähr zur selben Zeit angeboten wurde), brauchte er laut eigener Aussage und allgemeiner Meinung einfach einen ausgleichenden Hit nach seinem letzten, leider kaum erfolgreichen und apokalyptischen Alien-Output 'DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT'. Dass er mit der Stephen-King-Verfilmung 'CHRISTINE' zwischendurch einen ordentlichen Hit an der Hand hatte, wird dabei gerne ausgeklammert.

Deshalb muss es noch andere Gründe geben, vorallem solche, die erklären, warum so ein eigentlich kommerziell-gefälliger Streifen, der in seiner Grundlage von jedem hätte kommen können und trotz weitgehender Abkehr vom Carpenter-Stil trotzdem noch wirklich ein Carpenter-Film ist, wieder mit Stamm-Produzent Larry Franco an seiner Seite. So wie 'STARMAN' im Orbit anfängt, mit für-den-Regisseur-typischem Vorspann-Font, erkennt man zwar einigermaßen Bezüge zu seinem Spielfilmdebüt 'DARK STAR', inkl. '(I CAN'T GET NO) SATISFACTION' von den Rolling Stones als Echo jener Zeit, und natürlich erinnert die Haus-observierende Ego-Perspektive des geisterhaft-umherschwebenden Alien-Körpers an 'HALLOWEEN' - Erzählart und Charakterzeichnung, die darauf folgen, haben aber zunächst nur wenig gemein mit der gewohnten Methodik des pointierten Selbstbewusstseins, wie man sie von Carpenter und seinen fettfreien Happenings wie z.B. 'THE FOG' kennt.


Die Situation an sich ist aber auch eine große Umkehr von seinen üblichen Geschichten der Belagerung von außen, denn hier nistet sich der außerirdische Fremdkörper einerseits schon anfangs in das Leben der Protagonistin Jenny Hayden (Karen Allen) ein, drängt aber darauf, wieder nach Hause, zurück in die weite Galaxie zu kommen, auf dem Weg dorthin dennoch von der Menschheit zu lernen - denn wir haben ihn eingeladen! Das ist natürlich schon ein absoluter Gegenentwurf zum 'DING...', wird aber verständlicherweise noch skeptisch und unbeholfen von Jenny & Carpenter beäugt, müssen sie sich doch erst daran gewöhnen, dass das Alien die Erscheinung von Jennys totem Ehemann Scott (Jeff Bridges) in einer nicht gerade zauberhaften Metamorphose übernommen hat. Kurt Russell hätte jetzt schon den Flammenwerfer geholt, Jenny greift ebenfalls bereits zur Waffe, kann aber mit bestem Gewissen nicht abdrücken.


Stattdessen lässt sie sich von dem Erdleben-unerfahrenen Besucher dazu bewegen, ihn in drei Tagen zu einem Treffpunkt mit seinen Artgenossen zu fahren (in einem augenfreundlich-inszenierten, schwarz-orangen 1977 Ford Mustang Cobra II - nach 'CHRISTINE' erneut eine Erfüllung von Carpenters Auto-Faible), während sie ihm gezwungenermaßen einen unauffälligen Umgangston sowie andere Regeln des Menschsein beibringen muss. Das Zusammenleben mit dem Eindringling: unbekanntes Terrain für Carpenter und deshalb auch Grund genug, seiner Jenny - die zurecht glaubt, gekidnapped worden zu sein - zahlreiche Fluchtmöglichkeiten vom unbekannten Wesen anzubieten.


Aber in ihr entwickelt sich wohl eine besonders bizarre Version vom Stendhal-Syndrom, die ohne Zweifel daher rührt, wie sehr sie sich noch immer ihrem verlorenen Gatten (selbst lediglich bei einer Hülle seiner selbst) verbunden fühlt, ihm schon zu Beginn des Films anhand von aufgehobenen Erinnerungen in alten Super-8-Aufnahmen nachtrauert und sicherlich verwirrt damit hadern muss, ob sich hier u.U. ein Ersatz ergeben könnte - mit dem sie es aber trotzdem schwer hat; ihm sogar noch in sichtlicher Seelenpein grabend erklären muss, was Liebe bedeutet. Ihr Vertrauen und Glauben in diesen Nostalgie-anfeuernden Neuling feuert sich aber auch wirklich erst an, als klar wird, dass der Fremde keine Feindseligkeit beabsichtigt, sogar mit seinen Kräften Totes wieder zum Leben erwecken kann - und damit ist nicht nur seine Restauration von Scott gemeint.


Als Jenny nämlich von einigen Kugeln sie-verfolgender-Polizisten fatal getroffen wird, kann das Scott-Double-Alien sie auch retten. In einem relativ unscheinbaren, aber kongenialen Streich von Carpenter passiert diese Wiedererweckung in einem per Anhänger fahrenden, lieferbaren Einfamilienhaus - ebenfalls wie der wiedererbaute Körper Scotts zunächst nur ein Grundriss für echtes Leben, aber bereits jetzt schon ausgefüllt von zwei sich-allmählich Liebenden, wo sich sogar der Ausserirdische schon mit einzelnen Tränen und einem zärtlichen Kuss beweist. Das ist natürlich Teil seines Lernprozesses, doch daraus entwickelt sich was Tolles für Beide: ein (Neu)beginn der Liebe.

Es mag nur Zufall sein, aber hinsichtlich dieser Entwicklung im Narrativ erscheint durchaus interessant, dass sich Carpenter im September 1984, drei Monate vor Release des Films, von Gattin Adrienne Barbeau scheiden ließ, bei den Dreharbeiten aber schon seine spätere Produktionspartnerin und heutige Ehefrau Sandy King kennenlernte. Ich möchte gerne glauben, dass da in 'STARMAN' eine persönliche Wahrheit für ihn drin steckt und so dem romantischen Kern seiner dort dargestellten 'Lovers on the run' besondere Gewichtung zukommen lässt. Es lässt sich sodann auch kaum noch wundern, dass er schließlich doch noch sein Lieblingsthema der Belagerung von außen auf Beide in Form der vorsichtigen Regierung und des noch weniger vertrauensvollen Militärs einschlagen lässt - was zu einigen explosiven Konfrontationen führt, die aber auch nur die schnellstmögliche Flucht unseres Paares, nicht irgendeine Gewalt des Besuchers forcieren.

Die Fronten werden schließlich im Höhepunkt des Plots geradezu unausweichlich aneinander gerieben, bezeichnenderweise in die Wüste Arizonas konzentriert, in der Carpenter nun doch noch seinen expliziten Western-Bezug (in früheren Filmen erwiesenermaßen an 'RIO BRAVO' angelehnt) voll ausleben kann und damit einleitet, seine Helden in einem Restaurant voller Native-Symbole namens 'INDIAN COUNTRY' von Polizeikarren einkesseln zu lassen. Ein klassisches Bild: die Übermacht der Gegner wartet draußen, während die Eingeborene und der verletzte Fremde im Zelt ausharren. Von außen kommt dann auch noch ein Negotiator hinzu, hier dargestellt von Charles Martin Smith, der als Alien-Forscher Mark Shermin bis hierhin durchweg den verschmitzten, enthusiastischen Jäger gab - dessen konventionelle Erklärbär-Szenen mit dem Militärhonchos trotzdem eine inszenatorische Gleichgültigkeit seitens Carpenter suggerierte -, allmählich aber kaum noch mit den sezierenden Zielen seiner Auftragsgeber d'accord geht und deshalb die Verdächtigen ziehen lässt, entgegen dem Befehl seines Vorgesetzten vor dessen Nase wieder anfängt, eine dicke Zigarre der Überlegenheit zu rauchen.


Unsere Gejagten sind fast am Ziel, doch von weitem schleicht sich schon der Feind, in Ehrfurcht-einflößender Formation, mit Helikoptern über der Steppe an, knallt ohne Rücksicht Raketengeschosse auf diese ein, während Jenny & 'Scott' im Krater nach der Befreiung von oben hoffen. Diese kommt dann auch als reflektierendes UFO runter und stoppt den Wahnsinn, bringt zum Aufladen ihres Kundschafters sogar stimmungsvoll-warmes Rotlicht und entspannenden Schneefall mit, als sich dann verabschiedet werden muss. Jenny will schon gerne mit, doch für seine Atmosphäre ist sie nicht geschaffen. Aber er hat ihr etwas hinterlassen, das ihre retroaktiven Sehnsüchte nach dem verstorbenen Gatten, von dem sie nach seinem Tod nichts mehr hatte, ein für allemal stillen wird: ein Kind mit den Genen Scotts, das ihr zu Lebzeiten aufgrund der Schwangerschaftsunfähigkeit ihres Körpers nicht vergönnt war.


Unser STARMAN ist eben ein Helfer, ein Erfüller von Träumen und am meisten Jennys Ventil, um aus der Depression der verlorenen Vergangenheit herauszubrechen und mit dem Geist von einst wiedervereint zu sein, von vorne zu beginnen - weshalb der Film auch mit einer zu den Sternen heraufschauenden Nahaufnahme ihrer großen, verwundert-ergriffenen Mandelaugen endet. Ihr Gesichtsausdruck und die dahinter liegende Charakterentwicklung stehen aber auch ein Stück für die Ambivalenz Carpenters, dem solch eine sentimentale Genre-Geschichte in seinem Gesamtwerk ja so unbekannt ist, dass er sogar seine normalerweise gegebene Autorenschaft beim Musikscore an Jack Nitzsche und dessen mysteriös- bis glorreich-hauchenden Synths übergab.

Wie Jenny tut er sich anfangs schwer damit, Liebe für diesen Film zu finden, nicht nur zu inszenieren - einerseits kämpft er im Angesicht erwarteter Studio-Vorgaben damit, der Auftragsarbeit die stilistische Note seiner selbst zukommen zu lassen, andererseits scheint er fernab seiner eingelebten Horror-Gefilde jener Tage Probleme damit zu haben, eine wirklich empathische Romanze mit einem Alien, quasi einem Bodysnatcher, emotional vollkommen überzeugend zu vermitteln. Da muss man aber schon sagen, dass das ihm aufgetragene und bestimmt noch so gut es ging geänderte Drehbuch nicht gerade die beste Hilfe ist, vorallem im Antagonisten-Anteil eine austauschbare Einfältigkeit nach der anderen zusammensteckt, aber auch bei seinen Protagonisten in konventionell-zweckmäßige Erklärungsnot sowie mehr oder weniger witzigen Nachäffungs-Lernkursen-für-Aliens ausartet.

Dagegen steht aber schon (auch in Jenny) eine innewohnende Sympathie für Naivität und Wunschträumerei und diese Freude kommt auch im Verlauf langsam bei Carpenter durch, der das nicht nur mit einigen wunderschönen Bildern, gepaart mit dem oben genannten, immer effektiveren Score Nitzsches goutiert, sondern auch seiner im Fokus stehenden Jenny ein emotionales Erwachen in Cinemascope beschert - woraufhin sie im Taumel des abwechselnd turbulenten, sinnlichen und hoffnungsvollen Road-Trips nach den hellsten Sternen am Firmament greift. Fast schon kindlich, wie sie sich daraufhin gegen die halbe Welt stellt, um mit einem Alien zu flüchten, dass sie erst seit paar Tagen kennt und versucht, ihren Ehemann nachzustellen - aber ganz ehrlich, wer kann solch einer zauberhaften Fantasie schon widerstehen, insbesondere, wenn sie doch so einige Wunder bereitstellt? Man bedenke: da konnte nicht mal John Carpenter Nein sagen - und das hat schon alles seine Gründe.


Aber es konnte nicht für immer sein, dieser zuckrige, leicht-verblendete Zauber der Hollywood-Romantik, des Publikums-wirksamen Genrefilms, das sieht man am Ende in Jennys bittersüßen Augen wie auch in Carpenters Filmographie und das gibt selbst der STARMAN zu, als er sich verabschieden muss - er überlässt ihnen Beiden letztlich dennoch den Glauben an die alten Kräfte, an die Liebe von einst, nur mit neuem Schwung als zweite Chance. Eben mehr als eine bloße Auftragsarbeit, ist 'STARMAN' letzten Endes ein wahrhaftiger Übergangs- und vorallem doch noch ein echter Carpenter-Film.

(Diese Kritik gibt es auch bei den DREI MUSCHELN zu lesen.)




DIE FRAU MIT DER 45ER MAGNUM - Höllenschlund NYC - ab den 1970ern ein gefundenes Fressen für die stetig verruchende Leinwand, auch für Independent-Regisseur Abel Ferrara, der sich in seinem Output so ziemlich vollkommen diesem Setting menschlicher Abgründe hergab. Gilt auch für diesen seinen Rape-&-Revenge-Albtraum, einer nicht weniger brutalen, aber psychologisch konsequenteren, feministischen Antithese zur Selbstjustiz-Blaupause 'EIN MANN SIEHT ROT'.

Als Zuschauer wird man schon früh in die Enge getrieben, mit einem hart-schneidenden Weiß-auf-Schwarz-Vorspann, der seinen unmissverständlichen Titel mit gezielten Schüssen auf die Netzhaut klebt. Als Beobachter sind wir dann auch nicht viel sicherer als Protagonistin Thana (Zoë Lund), der es aufgrund ihrer Stummheit nicht möglich ist, Hilfe zu rufen, als sie aus dem Nichts in der dreckigen Gasse vergewaltigt und traumatisiert zurückgelassen wird. Dabei sehen wir vorher schon einen Einbrecher, der sich zu einer Wohnung Zutritt verschafft, später stellt sich heraus: es ist ihre eigene - überall lauert die rücksichtslose Boshaftigkeit, so ziemlich ausschließlich von Männern ausgehend, die mit dumpfer Geilheit der Gewalt/Macht und dem sexuellen Trieb folgen. Als Thana aber das zweite Mal in ihrer kleinen Wohnzelle sexuell angegriffen wird, schlägt sie im Affekt zurück. Die Polizei spielt danach keine Rolle (erst zum Schluss des Films), sie kann sich ihren Mitmenschen eh schon nur schwer mitteilen, speziell in ihrem mickrigen Job als Näherin, die tagtäglich eingetrichtert bekommt, wie die Frau von heute auszuschauen und dem männlichen Kunden zu gefallen hat. Scheu und verletzlich wie sie aufgrund all dieser Faktoren ist, versteckt sie den Leichnam in ihrer Badewanne, der Eindringling hat allerdings noch ein Werkzeug der Gewalt hinterlassen: die titelgebende 45er Magnum.


Je mehr ihr die gnadenlos-stickige Luft der Seelen-umschließenden Stadt den Atem zuschnürt, der Hund der Mieterin unentwegt bellt und sie kaum noch ihren eigenen Körper frei lassen kann, ohne sich ständig in horriblen Visionen vom pechschwarzen Leder angepackt zu fühlen, desto eher lässt sich nachvollziehen, dass sie ihrem Leidensweg eine drastische Rache zukommen lässt. Bei Ferrara hat dies aber weniger eine reaktionäre Note, wie bei Bronson/Winner, sondern stellt zunächst die kontinuierliche Wiedererlangung, den Wiederaufbau der eigenen Seele und des Körpers dar. Und natürlich ist es auch brachial-mörderische Furchtbewältigung, die damit anfängt, dass sie die Gliedmaßen vom Kadaver des Vergewaltigers abtrennt, immer mehr in der Stadt und bei Fremden verteilt, bis nichts mehr von ihm in ihrer Wohnung übrig ist. Nebenbei greift sie zunächst erst aus Zufall, später voll geplant zur tödlichen Schusswaffe, um die Straßen von dauergeilen Sleazoids zu reinigen. Es wird für sie soweit zum anlockenden, zielsicheren Ritual (bezeichnendes Bild: der Shootout mit 4 Kerlen im Stadtpark-Zirkel), dass sie schon grundlos Vertreter der Männerwelt richten möchte. Eine zwiespältige Entwicklung, welche der Film auch in ihrer Begegnung mit einem betrogenen Mann anerkennt. Dieser hat in seiner Verzweiflung über die Beziehung seiner Frau zu einer Anderen deren Katze erwürgt, Thana/der Zuschauer möchte da aus Reflex schon abdrücken, hat die Waffe aber nicht entsichert. Der Mann greift sich die Knarre, richtet sich damit jedoch selbst. Einsicht oder seelisches Elend?


Thana kennt jedenfalls kein Zurück mehr aus ihrer mentalen Zielsetzung, aber ihr Umfeld (abgesehen von einigen etwas bedrückten Kolleginnen) wird auch kaum hilfsbereiter - und sei es auch nur die Vermieterin, die einfach ohne weiteres ihre Wohnung durchsucht, wenn sie mal nicht da ist oder der eigene Chef, der sie mit eigennütziger "Unterstützung" bezirzen will. So schlägt sie schließlich bei einer Halloweenparty in ein Extrem um, bei dem sie als Nonne verkleidet ein Blutbad unter den anwesenden Männern anrichtet, die in Verkleidung und hypnotischer Zeitlupe dämonische Züge tragen, aber eben nur unterschwellig in Thanas Augen - kein Wunder, dass eine ihrer Mitarbeiterinnen, ihre "Sister", sie aufhält. Ferrara setzt da insgesamt, basierend auf der Ausgangssituation, zwar ein Zeichen für Verständnis und den verteidigenden Feminismus (schließlich sind ihre "Sisters" vorher schon deutlich stärker abgebrüht-abweisend den Macho-Arschgeigen gegenüber), macht aber in der fatalistisch-soziopathischen Katharsis seiner Protagonistin deutlich, dass sie mit ihrer Manie zu weit gegangen ist - auch wenn die männliche NYC-Crowd fast durchweg Räudenmaterial darstellt und Thana als leichtes Opfer geradezu zerfleischt hat. Am Ende ist sie dennoch keine bloße mörderische Crazy-Bitch, macht er doch klar, dass sie zumindest nicht den Hund der Vermieterin umgebracht hat, wie er zuvor recht eindeutig suggerierte.


Noch interessanter als dieses ideologische Konstrukt ist aber die Inszenierung an sich, die für einen derartigen Genre-Vertreter zwar deutlich einem niedrigen Budget untergeordnet war, aber daraus in ganz pointierten Bildern und Tönen, mit der äußerst-zerbrechlich-bis-fanatisch-gewissenlos-spielenden Zoë Lund im Milieustudien-Mittelpunkt, prägnante und an-den-Nerven-zerrende Eindrücke erschafft, ohne besonders explizit ihr Pulver zu verschießen. Klar, die einzelnen Situationen sind dadurch noch immer kein harmloser Zuckerschlecken, dafür sorgen ja unfassbar intensive Naheinstellungen und unheilvoll-montierte Überblendungen der Bedrängnis, sowie die direkt-eingefangene Zerrissenheit der Stadt. Aber der Film ergibt sich nie einer selbstzweckhaften Rachgier, vermittelt den Gedanken dorthin anhand seiner Protagonistin eher auf psychologischem Wege und kehrt sie sogar dank Thanas Nutzung ihrer Paranoia gegen Unschuldige letzen Endes um - mit einem effektiv-bitteren Schlusspunkt, der sich gewaschen hat.


Der Schluss, den man daraus ziehen kann, ist, dass Ferrara äußerst objektiv an das Thema herangegangen ist - die zerbröckelnde Innenwelt seiner stummen Hauptfrau im Angesicht des omnipräsenten Sadismus trägt er empathisch und nachvollziehbar nach außen, macht ihre (auch körperlichen) Ängste spürbar und schockiert natürlich auch, ganz dem Gritty-New-Wave-Kino jener Zeit gemäß. Doch er denkt ebenso ihren psychologischen Abbau zu Ende, so dass ihr rächendes Handeln, das man als Genre-Zuschauer erwartet, eine nicht zu verleugnende Gefahr darstellt und dass eine weit sozialere Hilfe viel nötiger sei, wofür man aber auch einen sozialen Grundstein haben muss, den der Männer-dominierte Schauplatz des Films einfach nicht anbietet. Genau das ist eben das wichtigste Argument dieser feministischen (eher doch pro-sozialen) Antithese zu 'EIN MANN SIEHT ROT', jener 'Ms. 45' - einem kleinen, gemeinen, aber ausnahmsweise nicht wirklich zynischen Meilenstein des New-York-Films.

(Diese Kritik gibt es auch bei den DREI MUSCHELN zu lesen.)




DIE ERMORDUNG EINES CHINESISCHEN BUCHMACHERS - Man braucht eine Weile, um dahinter zu kommen, warum John Cassavetes nach solch einem empathischen Film wie 'EINE FRAU UNTER EINFLUSS' derartig in die nihilistische bis pessimistische Schiene mit seiner 'ERMORDUNG EINES CHINESISCHEN BUCHHALTERS' abrutscht. Darin geht's bei einem gepflegten, Genre-bekannten Mob-Plot um Nachtclubbesitzer Cosmo (Ben Gazzara), der einfach seinen verdienten Frieden finden will, aber immer wieder Schulden auf sich lädt, bis er von einigen einschüchternden, doch innerlich allmählich zerbrechenden, heuchlerischen Gestalten zum Mord an einer Größe der chinesischen Triaden gezwungen wird, für den sie selber keinen Mumm haben.


Das innere, nachvollziehbar-furchtsame Nervenbündel seines Protagonisten trägt Cassavetes gelungen nach außen, da setzt er bezeichnenderweise seine objektive Kamera erneut als bedrängendes Auge ein (siehe jene Szene, in der Cosmo die Waffe und Instruktionen von allen Seiten im Auto zugesteckt bekommt) und versperrt allzu gerne die befreiende Sicht aufs eigentliche Interessenfeld (siehe einzelne Stripteases und auch die Draufsicht auf Seymour Cassels Leiche). Und dennoch will sich sein Cosmo von außen hin nicht als Kind von Traurigkeit darstellen, sucht und drängt auf Ablenkung, versteckt seinen Unmut (sowie seine Wunden) und widmet sich (im-Grunde-Henkersmahlzeit-mäßig) der Liebe, gibt auch den willigen Täter, solange er seine Schulden los wird - obwohl er sichtlich keine Lust drauf hat, bringt er sein Opfer der Unschuld und macht sich danach schnellstens auf die Flucht, querbeet durch mehrere Anlaufstellen, mit verschiedenen Alibis parat, Hauptsache weg von dem unliebsamen Business.


Stattdessen lieber zurück in sein eigenes, Freuden-spendendes Etablissement, wo jede Nacht eine neue Show aufs Parkett gelegt wird und er seinen Cast ausnahmslos kennt, besucht, mit Geschenken verwöhnt, motiviert und natürlich zweifellos liebt. Über die Qualität des daraus entwickelten, absurden Nudie-Schauspiels lässt sich streiten, nicht aber über den Enthusiasmus seiner Macher, auch wenn dieser in trivialen Sleaze abdriftet, ist es für sie immer noch eine Kunst - die durchweg Rückschläge einstecken muss, für die Cosmo sogar gezwungenermaßen töten muss und trotzdem nicht in Ruhe gelassen wird. Es widerspiegelt Cassavetes eigene Schwierigkeiten in der Film-Industrie, wie mit seinen Werken umgegangen wurde, wie er diese aus den letzten Löchern zusammenfinanzieren und auch im Falle vom oben genannten '...UNTER EINFLUSS' auf eigene Faust an den Mann bringen musste, weil sich niemand mit seiner außergewöhnlichen Stimme abgeben wollte, auch wenn es offenbar ein Publikum dafür gab - das zog sich später soweit hin, dass er einen seiner letzten Filme, 'LOVE STREAMS' bei CANNON raus brachte, zu der Zeit in ihrer Funktion tatsächlich noch eine der letzten, einigermaßen einflussreichen Anlaufstellen für ambitionierte Autorenfilmer.


Cosmo ist Cassavetes' Alter Ego und diese gnadenlose 'ERMORDUNG...' ein außerordentlich persönlicher Film der Verzweiflung im Angesicht von arsch- und skrupellosen Miesmachern/Produzenten. Persönlichkeiten sind natürlich im Innern immer sperrig und so rückt jener dies verkörpernder Film nicht wirklich gerne mit der Sprache raus, erscheint zunächst wie der altbekannte Genre-Pulp, den man sich aus der Synopsis erdenken kann, nur eben aus einer ungewohnten Position heraus gefilmt, u.a. mit einem starken Fokus auf jene schludrigen Revue-Nummern. Allmählich bemerkt man aber auch die schmeichelnde Zärtlichkeit Cosmos um seine weiblichen Schützlinge und vorallem wie er sich nicht geniert, eine Gesangsnummer am Telefon vorzuträllen, um von einem Mitarbeiter zu erfahren, ob diese derzeitig im Club läuft, obwohl er gerade von einer harschen Reifenpanne auf dem Weg zum jüngst erteilten Auftragsmord kommt.


Es scheint nun mal ein brutales Geschäft in der Unterhaltungs-Industrie zu sein, die Tendenz zur Kriminalität ist da durchaus keine Unmöglichkeit und Cassavetes' Film stellt das klipp und klar in drastischer, ernüchternder Relation. Keine hübsche Angelegenheit und in seinem Sinne auch kein gefälliges Produkt, denn wie Cosmo setzt er trotz aller Hürden noch immer alles daran, die persönlich-erdachte Show auf die Beine zu stellen, selbst wenn man schon zum Ausbluten freigegeben wurde - da muss man tief schlucken und das Ende bleibt für einen ungewiss, aber besser so als gar nicht (auch wenn die Bedingungen schon besser sein sollten, keine Frage).  

(Diese Kritik gibt es auch bei den DREI MUSCHELN zu lesen.)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen