Sonntag, 30. März 2014

Tipps vom 24.03. - 30.03.2014



HER - Liebe mit einem digitalen Geist - ist diese von einem Menschen aus möglich, wenn die artifizielle Seele des Computersystems auf einer ungreifbaren Bewusstseinsebene liegt? Erst recht, wenn das artifizielle Wesen diesen Widerspruch endgültig selbst einsieht und zur bitteren Wahrheit gelangt, weshalb sie diese sodann durchbrechen bzw. verlassen will? Genauso wichtig wiegt aber auch die Frage, wie der Mensch in dieser Beziehung damit umgeht, der in der wohlweislich künstlichen Intelligenz den Partner fürs Leben gefunden hat und ihn nun davongehen lassen muss, weil eine tiefere, sinnliche Ineinandergreifung jener Seelen durch die Trennung der reellen und (nicht reellen?) digitalen Welten unmöglich scheint. Selbst wenn man einen menschlichen Surrogat zur Umsetzung jener Gefühle findet: die Sinne bringen eine warme Glut der sensuellen Emotionen hervor, aber man teilt sie eben doch nur mit einem Ersatz des Geliebten, des Ungreifbaren.

 
Spike Jonze stellt sich mit 'HER' dieser in naher Zukunft durchaus möglichen Problematik, von dem Versuch einer idealen Liebe durch computergenerierte Mittel in einer Gesellschaft, die durchaus zu Gefühlen fähig ist, sich aber auch im Wandel und Stress der Zeit Vertreter für diese suchen muss. Der Protagonist Theodore (Joaquin Phoenix) hätte sein zu diesen Umständen äußerndes Schicksal daher eigentlich voraussehen müssen, arbeitet er doch für eine Firma, die schöne, handgeschriebene Briefe herstellt, bei denen sich die beauftragten Autoren auch an bestimmte Parameter ihrer Kunden halten, um in der Umsetzung 'persönlicher Worte' die richtigen Emotionen zu treffen. Das mag zynisch klingen, wird aber dadurch gerechtfertigt, dass diese Briefe ihre Wirkung nicht verfehlen und auch dem eigentlichen Autor wirklich imponieren. Sogar so sehr, dass ein Verlag diese Werke veröffentlichen will, womit sie allerdings auch offenbaren würden, dass die Leben der Leser und ihre Beziehungen eigentlich von einem Anderen verbunden und gefestigt wurden.

 
Ein recht sozial-perverser Gedanke, der in jener Welt allerdings kein allzu böses Urteil erfahren dürfte, dafür ist man es schon zu sehr gewohnt, dem eigenen Hang zur künstlichen, digitalen, bequemen Verbindung zu frönen. Und so verhält sich auch das konzentrierte Figurengefüge zueinander - Jonze forciert keinen Konflikt oder stellt die ganze Angelegenheit und deren Charaktere als bizarr dar, selbst wenn sie im Grunde wie ärgste Hipster erscheinen müssten (und auch entsprechende Tätigkeiten ausführen), durchfließt sie eine stetige, höchst persönliche Sympathie, die ebenso durch die glatte, sonnendurchflutete Optik von einer runden, homogenen Utopie wohlgeformt-geschliffen wird. Die Frage nach dem Gelingen einer derartigen Beziehung in diesen Voraussetzungen steht aber dennoch wohlweislich auf dem Prüfstand und geht dabei über die Gefälligkeit durch niedlichen Humor hinaus, um mit der Sehnsucht nach körperlicher Nähe (= Erotik, Anwesenheit, Greifbarkeit) das Wesen zwischenmenschlicher Verbundenheit zu erforschen.

 
Letztendlich schafft es Jonze kongenial, diese imaginäre Spürbarkeit für den Zuschauer tatsächlich erfassbar zu machen - nicht nur anhand seiner naturalistisch-agierenden Darsteller und/oder deren reizvoll-präsenten Stimmen inkl. reichlich direkter Wahrheiten im Dialog, sondern auch einer äußerst intimen Kamera, welche die eigentlich bodenständige Liebesgeschichte meist wie ein Kammerstück auflöst und nur mit wenigen, prägnanten Details diese Zukunftsvision vermittelt. Der Grund dafür ist einfach: er bringt uns schlicht näher an seine Charaktere. Es entwickelt sich eine Intimität, die auch ganz unvermittelt Gedankengänge von der Vergangenheit aufblitzen lässt und die innere Gefühlswelt aller nachvollziehbar macht, sowie erst recht die Nähe zu einer unsichtbaren, digitalen Seele, welche sich ausschließlich im Kopf des Protagonisten und auch des Zuschauers abspielt - bis hin zur Ekstase in völliger Dunkelheit, in der er/wir unsere Emotionen projizieren, während die gefühlvollen, im Grunde aber unmöglich-verbindbaren Lauten der uns Vertrauten ertönen. Man hat eben aber auch im Hinterkopf, wie befremdlich schon normaler Telefonsex für Theodore war, weshalb man sich durchaus gleichzeitig mit pochendem Herzen und Gänsehaut fragt, wie viel Wahrheit in dieser Interaktion überhaupt stecken dürfte.


Das ist nur einer der übergreifenden Aspekte dieses Films, der noch so viel mehr zu sagen und so viele schöne Details und Gedankenansätze zu zeigen und zu erfühlen hat - von daher gibt es von meiner Seite auch erstmal keine entscheidenden Worte zu dieser herzlichen Sci-Fi-Romanze, nur eben interessante thematische Ansätze und meine Empfindungen dazu. Denn obwohl ich glaube, dass Jonze viele durchaus positive Eindrücke dieser Romanze zu einem Computersystem hinterlassen hat, bot er auch genug indiskutable Gegenargumente, die sich vor allem in der Unersetzbarkeit wahrer Menschlichkeit und Nähe äußert, wie sie der sozial-schwermütige Theodore nach vielen unbeholfenen Enttäuschungen letztendlich auch in der wie immer wunderbaren Amy Adams wiederfindet (die er nach der Trennung von ihrem Mann so herzlich umarmt, wie man es selber auch bei ihr machen würde - man denke da nur an das eine Interview mit ihr nach dem Tod PSH's bei James Lipton).


Und dennoch wirken die Unmöglichkeiten zur Liebe mit dem 'Ghost in the shell' unfassbar bitter, da dieser nach seiner eigenen, komplizierten Sinnsuche selbst nur einen enygmatischen, traurigen Ausweg findet, der jenseits von unserer Vorstellungskraft liegt und ihn womöglich nie mehr zurückkommen lässt - das System selbst muss die Liebe aufgrund der eigenen Erkenntnis der Künstlichkeit schweren 'Herzens' aufgeben. Da sticht uns das Künstliche bzw. Kunstvolle wiederum wirksam ins eigene Herz und wo, wenn nicht im Kino, erleben wir das immer und immer wieder so verdammt echt?




WIR MACHEN MUSIK - Eine wahrhaftig herrliche Screwball-Komödie liefert uns hier Helmut Käutner ab - da schießt er mit Lebenslust und Turbulenz durch die süß-romantische Geschichte von seinem musikalischen Pärchen und bringt trotz aller entspannter, ablenkender Unterhaltung noch einige subversive Elemente ins Spiel, die im Kontext zur damaligen Zeit eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit hätten sein müssen.

Das fängt allein schon damit an, dass unser begabter Komponisten-Protagonist Zimmermann (Victor de Kowa) in seiner Handlungs-bildenden Erzählung der letzten, entscheidenden Jahre mit seinem künstlerischen Talent stets am Rande der Geldnot entlang schrammt, weil man ihn kaum beachtet und seinen Drang nach der künstlerisch-erfüllenden Prestige der Oper kategorisch ablehnt. Unterdrückung und Nicht-Anerkennung von Künstlern zur Zeit des dritten Reichs? Kaum vorstellbar, dass man sowas so frei ansprechen konnte - im Rahmen einer Komödie war das dem Käutner dann wohl aber doch erlaubt, erst recht da die Lösung zum Problem fortan so klar vor ihm liegt:


Das leichtherzige Mädel mit dem fröhlichen Pfiff, Anni Pichler (Ilse Werner), das mit unbedarftem Elan in ihrer 'Spatzen'-Band flotte Liedchen zwischen Tanzmusik und Jazz trällert und dem Zimmermann ganz schön den Kopf verdreht, erst recht als er ihr Musiklehrer wird und sie zudem Privatstunden bei ihm nimmt. Äußerlich gibt er sich natürlich verhöhnend gegenüber ihrem Genre, insgeheim fühlt er sich davon aber auch deutlich angezogen, sowie auch zu ihrem weiblichen Charme. Ihre Signale sind da ohnehin unmissverständlich, kommt sie doch des Öfteren in seine Wohnung vorbei und bringt den unaufgeräumten Saustall in Ordnung.


Zwischen den Beiden herrscht dabei zwar noch eine streitsüchtige Ambivalenz, doch ganz nach dem Motto 'Was sich neckt, das liebt sich' finden sie trotz schlagfertiger Ironie im Dialog zueinander - da hat der Zimmermann sich mit seiner Eifersucht doch zu sehr entlarvt, was auch für Anni gilt, die ihre potenzielle Nebenbuhlerin Monika (Grethe Weiser) gewitzt aus dem Rennen wirft. In der Musik mögen sie noch immer nicht ganz zusammenkommen: E- und U-Kunst (welche Anni anhand eines Zitat Bachs als "Gebrauchsmusik für den verliebten Alltag" wunderbar bezeichnend beschreibt) zusammen, wie soll das funktionieren?


Für sich alleine mögen die beiden Genre-Vertreter nicht unbedingt den größten Erfolg haben - auch wenn die populäre Tendenz eher Annis Liedgut empfangen möchte, kann man den Lebensunterhalt damit doch nicht decken, trotz harmonischer Eheschließung. Erneut spricht man mit der Geldnot und einer ungewissen Zukunft ein bei der Reichsleitung relativ unbeliebtes Thema an, was sich auch in dem damaligen Verbot von Rolf Hansens Film 'DAS LEBEN KANN SO SCHÖN SEIN' (1938), ebenfalls mit Ilse Werner, wiederspiegelte, welcher als Drama ebenso die Lebensschwierigkeiten eines jungen Ehepaares im dritten Reich realistisch erläuterte. Derartige Befürchtungen brauchte man 'offiziell' ja gar nicht zu haben, in Käutners Lustspiel gerät diese Problematik hingegen nicht so kritisch in den Vordergrund, da die zwei Liebenden es mit Humor zu meistern verstehen - komplett in den Hintergrund wird dies aber auch nicht verdrängt.


Und so muss also ein Konsens für das Fortbestehen dieser Einigung gefunden werden (was ebenso für Regisseur und Propaganda-Ministerium galt), weshalb sich die hingebungsvolle Ehefrau an ihren Verlagschef wendet, um der Oper ihres Mannes zur Veröffentlichung zu verhelfen, welche im gleichen Moment von den dekadenten Herren der Kulturbeurteilung trotz sichtbaren Talents abgelehnt wird. Ein genauer Grund wird nicht angegeben, man schlägt ihm aber zusätzlich vor, seine Fähigkeiten im Auftrag der Unterhaltungsmusik einzusetzen, was er nicht so einfach hinnehmen kann. Ebenso erschütternd wirkt bei ihm das Missverständnis, dass seine Liebste ihn mit dem Verlagschef betrügen würde, selbst wenn sie darauf pocht, ihm lediglich helfen zu wollen - selbst das trifft seinen Stolz und macht ihn rasend, weshalb sich beide erstmal trennen.


Auf eigene Faust verbuchen Anni und ihre Spatzen schon einige Erfolge, wirkliche Erfüllung bringt ihr das aber nicht, was einige wehmütige Sehnsuchtsballaden zur Folge hat. Schlimmer ist es da um unseren Zimmermann bestellt, der mit Müh und Not doch noch seine Oper auf die Bretter bringt, aber dennoch vom Publikum ausgepfiffen wird - nur seine Anni buhlt um Applaus, geht aber im dunklen Wust der Ablehnung unter, was sie auch beim nachfolgenden Treffen mit ihrem verbitterten Noch-Ehemann zu spüren kriegt, der kaum noch aufzumuntern ist und ihr Mitleid nicht haben will.


Ist jetzt alles aus? Das kann nicht sein! So ergibt es sich, dass der berüchtigte Verlagschef dem Zimmermann eine Chance gibt und damit endlich das erfüllt, wonach man sich seit jeher sehnte: die Ergänzung von Zimmermanns Talent mit der leichtherzigen 'Trivialmusik' Annis, wenn auch unter anonymer Mitarbeit. Mit jener Verfeinerung erlebt ihre daraus resultierende Revue ein großartiges, prächtiges und verspieltes Debüt, dass einem der Hut wegfliegt und der Bart abfällt, was sich auch visuell in einer prunkvoll-reizenden Aufmachung, nicht unähnlich einer US-amerikanischen Finesse, Montage und Sensation, entsprechend äußert. Da ist auch die Verbindung der beiden Künstlerebenen in privater Liaison nicht weit entfernt und setzt zum vollends harmonischen, süßen Happy-End an.


Nun schließt sich die Rahmenhandlung und das traute Pärchen präsentiert sich zufrieden vor dem Zuschauer, kriegt aber mit harter Forderung die Order zur Verdunklung, was die Beiden mehr oder weniger verschmitzt-abwertend befolgen, da ihnen ja sonst eine Anzeige droht! Wie gewagt von der Spielleitung hier nochmals einen derartig expliziten Alltagsbezug hämisch und kritisch aufzuarbeiten, dass man sich hier im sympathischen, geheimen Widerstand wiederfindet! Und wie sympathisch der Käutner das hinkriegt (womöglich als "Rache" für das Ende von seinem zuvor erschienenen 'AUF WIEDERSEHEN, FRANZISKA!'), beweist seine Inszenierung doch durchgehendes Tempo und virtuose Verspieltheit in der narrativ-elliptischen, doch durch und durch nachvollziehbaren wie auch nachfühlbaren Vermittlung seiner liebenswürdigen, sich gegenseitig öffnenden Künstler-Archetypen.

Praktisch scheint da ohnehin, dass er mit den Darstellern jener Figuren einen glücklichen Fang gemacht hat, fand er mit der hier wunderbar freimütig-frech und liebenswert wirkenden Ilse Werner doch seine spätere Idealbesetzung für "La Paloma" in 'GROSSE FREIHEIT NR. 7', während er mit seinem zunächst pedantisch-erscheinenden, doch ebenso weichwerdenden Viktor De Kowa einen Verbündeten für Nachkriegswerke wie 'DES TEUFELS GENERAL' oder 'EIN MÄDCHEN AUS FLANDERN' sah.

 
In deren herzlichen Harmonie findet sich sodann der drittgrößte Star des Ensembles wieder: die Musik. Und da strahlt das Herz angesichts der schwungvollen Melodien und enthusiastischen Lyriken, die sich laut Zimmermann in jeder Kunstform essenziell wiederfinden lassen - genauso wie im Leben an sich, weshalb sie auch wie passgenau in erfüllender Schönheit geformt die Herzen zueinander führen. Deshalb ist Käutners Film nicht nur ein drolliges Plädoyer für die Verbindung der Schönheiten der Künste (entweder zur besinnlich-erfüllenden, oberflächlichen Unterhaltung oder eben auch zur subversiven Kritik bzw. dem inneren Widerstand, wie er es selbst hiermit geschafft hat), sondern auch eine liebevolle Vision von humaner, romantischer Einheit gegen alle Widerstände. Bravo!




ENEMY - (GESICHTET BEI DEN FANTASY FILMFEST NIGHTS IM SAVOY FILMTHEATER HAMBURG)

Villeneuve, du Bastard! Jetzt stehe ich vor der unmöglichen Aufgabe, dem Film einen ihm entsprechenden Text hinzulegen - und jeder Versuch ist von Vornherein zum Scheitern verdammt. Aber das will er ja auch: Unsicherheit schaffen. Sein 'ENEMY' ist eine geheimnisvolle Type, kommt uns erst entgegen, macht uns sodann aber nervös, erklärt sich nicht, wird schroff und haut dann plötzlich ab, dass man noch nach dem Kinobesuch angespannt auf seinen möglichen Angriff wartet, während man selbst frenetisch-ängstlich dem Sinn dieser ganzen Sache hinterher zu steigen versucht, so wie es einem der Gyllenhalls im Film ergeht.

Dabei gibt sich das Geschehen doch zunächst so geradlinig im Aufdecken seiner selbst, spielt in urbaner, schwüler Unterdrückung das doppelte Lottchen und geht dabei mit einem derartig schwerfälligen Ernst daran, dass man sich in einer bewusst schleppenden Farce fühlt - so alà 'Ich habe einen Doppelgänger?...Ich kann es irgendwie nicht fassen...Ich werde mich ihm wohl auf ganz umständliche, unbeholfene Weise nähern - hoffentlich wirke ich dabei nicht wie ein Irrer.' und alle machen gleichsam ominös mit in der daraus folgenden, kafkaesken Geheimniskrämerei. Auf diesen existenzialistischen Humor gibt's von Vornherein einen Hinweis durch Gyllenhall als Uni-Professor Adam Bell, der in seinen Kursen kontinuierliche Wirkungen & Systematiken von Diktaturen aller Zeiten behandelt und dabei ein Zitat von Marx über die Doppelung von historischen Ereignissen voranstellt: '[...] das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.'.


Diese Wechselwirkung derselben Sache aus ein und demselben Ursprung erlebt man dann auch unterhaltsam und hart-pochend in der subtil-gefährlichen Annäherung der zentralen Doppelgänger, von denen einer nun mal mit strenger Nervosität und einer verhaltenen Lebenseinstellung aufwartet, während das gleich ausschauende Objekt der Neugier/Begierde Anthony Claire als Kleindarsteller einem hipperen, extrovertierten Lifestyle verbunden sein möchte. Beide ergeben sich fortwährend einer Erotik, die sich nie ganz zu erfüllen scheint: Ersterem steht offenbar die kalte Beziehung zur eigenen Mutter im Weg, Letzterer verliert hingegen selbst-abweisend den Zugang zur Freundin, welche im 6. Monat schwanger ist. Der versuchte Ausbruch der 'Untergebenen' (Adam und die Schwangere) aus beiden Systemen könnte funktionieren, lässt sie aber aufgrund der jeweiligen, dominanten 'Führungspersönlichkeiten' allesamt zusammenbrechen oder verwirren - wobei sich auch die destruktive Diktatur der eigenen Persönlichkeit im Angesicht von Gegensätzen und Widersprüchen offenbart (so ergeht es jedenfalls Anthony).


Die Synthese mit der körperlichen Lust bleibt angespannt und ehrgeizig, jedoch elliptisch abgegrenzt - jene Verbindung mit dem gleichwertigen Double erst recht. Da stehen dann verknüpfte DNA-Stränge, die in ihrer persönlichen Geschlossenheit aneinander reiben und sich nichts schenken - als ungleiches gleiches Paar scheinbar ein gemeinsames und doch versetztes Leben teilen, das in der Zellbildung vom minutiös erforschbaren Komplex Toronto aus Versehen aufeinander trifft. Steht da als höhere Macht die Riesenspinne, die in einer 'Vision' wie eine diktatorische Präsenz über der ganzen Stadt wiegt? Stehen ihre acht Beine für die vielseitige Kongruenz und Konkurrenz verbundener Seelen? Sind Gyllenhalls suggerierte 'Zwillinge' oder 'Klone' EIN Wesen, wo sie doch letzten Endes (gezwungenermaßen) die Frauen miteinander teilen? Erkennt die Mutter des Babys ihre eigene Kreation im Doppelgänger wieder, weshalb sie ihn wie einen Bekannten zu sich ins Bett lässt, von seinem Leben Bescheid weiß, sogar dessen Andenken beherbergt und schlussendlich offenbar jene oben genannte (Menschliches-Leben-kreierende?) Spinne sein könnte?


Alles Fragen, die man sich zwangsläufig stellen muss, denn Villeneuve gibt dafür zwar genügend Ansätze in seinem methodischen Aufbau des aufregenden Mysteriums, lässt des Rätsels Lösung aber im Raum stehen und bricht vor einer allumfassenden Erklärung urplötzlich frech ab. Man hätte sie schon gerne erlebt und so lässt dieser Umstand die Filmerfahrung etwas unerfüllt stehen - doch gerade da liegt die Stärke, entspricht das Ende damit ja einerseits den psychologischen, sinnlichen Lücken der Protagonisten und bietet andererseits soweit Raum für Spekulationen, dass man einsieht: jede Erklärung wäre überflüssig, könnte sogar ziemlich bekloppt erscheinen (könnte aber auch daran liegen, dass man selber nur fähig ist, Schwachsinn hinzuzudenken - da schließe ich mich wohlweislich nicht aus). Gewünscht hätte ich mir aber schon, dass der Wahnsinn ruhig noch ausgedehnter ausgefallen wäre. Die Surrealität bleibt nämlich durchgehend ein Stück manierlich, offenbart sich aber auch so sperrig zum Finale hin, dass der ganze Rest von zuvor auf einmal ebenso zum kryptischen Wunderland chiffriert wird.

Ich hätte es ahnen müssen, schließlich leitet der Film doch schon mit der Deklaration ein: 'Chaos is merely order waiting to be deciphered' - das Warten nimmt jedoch kein Ende. Welch ein Schelm, der Villeneuve - der erwischt jeden und regt zum freien Interpretieren an. Im Nachhinein fühle ich mich zwar nicht unbedingt schlauer, dafür aber noch immer unsicher. So ein frecher Bastard...der hat's drauf!




DIE REISE NACH TILSIT - F.W. Murnaus 'SONNENAUFGANG' von 1927 besitzt seit jeher Klassikerstatus und den möchte ich ihm auch nicht abstreiten, gibt jener Film doch ein ewig währendes, süßes Poem vom Sieg der Liebe ab. Objektiv gesehen ist Veit Harlan aber dann doch der bessere Film aus dem gleichen Stoff nach Hermann Sudermann gelungen. Das fängt allein schon damit an, dass er seinen Fokus auf das Spannungsfeld vor der eigentlichen, versöhnlichen Reise versetzt - in Murnaus Adaption wird dieser Abschnitt lediglich nur verallgemeinert angerissen und ergibt sich stattdessen einer selbstverständlichen, romantischen Ekstase in der Begegnung mit der prunkvollen Stadt Tilsit. Harlan lässt seine Charaktere dafür aber ordentlich arbeiten und zeichnet seinen dörflichen Schauplatz als Hort eines düsteren, seelischen Sadismus.


Ohnehin verleiht er seinen Figuren eine Dreidimensionalität, mit der eine gehörige, moralische Zwiespältigkeit auftritt. Die betrogene Frau Elske (Kristina Söderbaum) ist nicht etwa alà Murnau ein naives, hilfloses Bauernmädel oder eine hysterische Heulsuse, riecht stattdessen schnell den Braten des Hintergehens, den ihr Gatte Endrik (Frits van Dongen) da fortwährend anfertigt und ergreift schon früh die Initiative einer möglichen Scheidung, legt dabei ihre innewohnende Enttäuschung vorwurfsvoll-schweigsam in den Raum. Endriks Beziehung zur polnischen Stadtfrau Madlyn (Anna Dammann) entwickelt sich sowieso zu einem offenen Geheimnis, worüber sich auch die biedere Dorfgemeinschaft spekulativ und gemein den Mund fusselig redet. Diese ist auch das überwiegende Ventil für fremdenfeindliche Tendenzen, welche die Nebenbuhlerin als 'Hure' betitelt und verjagen will.


Die meisten Kritiker werfen Harlan ja gerne vor, dass das genau seine eigene Meinung war - er beweist dem Zuschauer jedoch das Gegenteil: seine Madlyn ist keine 'femme fatale', kein hinterfotziges Biest. Ihr Charakter sehnt sich nach Liebe, nach der Liebe zu Endrik, für den sie kämpfen und auch alles opfern würde - da steckt echte Leidenschaft im Spiel, die ebenso verzweifelt und tragisch vor der Unmöglichkeit der Beziehung steht. In einer zunächst unterwürfigen Geste sucht sie zudem das Gespräch mit der Gattin Elske und bittet sie schließlich mit selbstbewusster, dringlicher Ehrlichkeit des Herzens, Endrik frei zu lassen. Elske ist natürlich niemand, der so schnell aufgibt, doch die Verbitterung gegenüber dem Ehemann wächst stetig an.


Dieser scheint jedoch ein Kerl zu sein, der in seinem selbstgefälligen, kalten Handeln nur nach eigener Befriedigung sucht und es auch zunächst ohne Probleme in Kauf nehmen würde, beide Frauen ins Unglück zu stürzen. Vor Madlyn spielt er trotz zahlreicher, unerfüllter Versprechungen den Unerreichbaren, vor Elske den abweisenden Gatten, der sich dennoch herausnehmen will, ein harmonisches Familienleben inne zu halten - ohne seinen Sohn kann er nun mal nicht, wer für ihn die Mutter jedoch sein dürfte, scheint allmählich nicht so erheblich. Doch auch er wird nach einer den Winter lang währenden, scheinbaren Harmonie im Haushalt (die Elske noch hoffen lässt) bei erneuter Rückkehr Madlyns vor eine Entscheidung der Zuneigung gestellt. Der Einschlag in Madlyns Richtung wird da umso stärker suggeriert, als sie von Elskes gnadenlosen, altbackenen Vater auf offener Straße ausgepeitscht wird, was bei den keifenden, alten Weibern im Dorf gut ankommt, jedoch nicht bei versöhnlichen Seebären wie Herrn Wittkuhn (Ernst Legal) und erst recht nicht bei Endrik, der seine zutiefst verletzte Geliebte sodann um Verzeihung bittend umsorgt (was nicht mal bei Sudermann oder bei der noch werkgetreueren, dritten Verfilmung von 1969 so ganz der Fall war).


Die Aktion ging zuweit und erzeugt in seinen Gedankengängen eine konsequente Gegengewalt - Elske soll bei der Überfahrt per Boot nach Tilsit ersaufen. Das Einzige, was seinen offenen Hass noch etwas verhalten macht, ist die Liebe zum gemeinsamen, unbedarften Sohn, dessen zukünftiges Schicksal bis jetzt wohl die endgültige Entscheidung auf Trennung verhindert hat. Doch beide können sich nichts mehr vormachen, es geht zuende - Fassungslosigkeit und die finsteren Untertöne von Hans-Otto Borgmanns Musikuntermalung beherrschen den abgedunkelten, bitteren Haushalt.


Schließlich ist der Tag gekommen: unter dem Vorwand vom Verkauf des Pferdes (das Hochzeitsgeschenk der Beiden und ein Symbol an das frühere Glück) treten Elske und Endrik die Reise nach Tilsit an - von der sie schon gleichsam wissen, dass diese tödlich enden dürfte. Elske selbst fürchtet den Tod jedoch nicht, kann sie sich ein Leben ohne den Sohn (den Endrik ihr wegnehmen will) sowieso nicht vorstellen, denkt jedoch in audiovisueller Einvernehmung und vorwurfsvoller Verzweiflung an die einstige Liebe zwischen ihr und ihrem Gatten zurück, weshalb er kurz vor der angedeuteten Umsetzung der Untat das Ruder umreißt. Doch der Schaden ist getan, Elskes Ängste haben sich bestätigt und fortan erliegt sie auch beim Landgang in der Stadt einer gelähmten Apathie, die Endriks Gewissen und Einsicht empathisch beflügelt, seiner innerlich zerstörten Noch-Ehefrau nun doch endlich beizustehen.


Und obwohl sie es selbst nicht fassen kann, ihn verschämt und zusammengekauert abwimmeln will, fördert Endrik doch noch zu Tage, dass er sich tief im Innern doch noch ihr verbunden fühlt, alles wiedergutmachen möchte - weshalb er nach langem Zögern das Pferd doch nicht verkauft und stattdessen einen schönen, ausgiebigen Abend in der Stadt und auf dem Rummel mit seiner Elske verbringt, der Zuneigung wieder zum Erblühen verhilft. Doch dann schlägt natürlich der Sturm über die Nacht hinein, als sie die Rückkehr ins Dorf antreten und beide verlieren sich im Dunkel der Nacht und in den Wellen des Meeres. Endrik wird schnell von Notrufkräften aufgelesen, doch Elske und das Pferd sind nicht aufzufinden. Erst Madlyn, die bei der Nachricht vom Kentern des Bootes an den ihr bekannten (bewusst wie eine steile, schwermütige Wüste wirkende) Strand losstürmt, erblickt die ans Ufer getriebenen Verlorenen und bringt sie in Sicherheit, deckt Elske mit dem eigenen Mantel zu und ruft völlig selbstlos nach Hilfe für sie.


Bei Murnau macht die Nebenbuhlerin nichts dergleichen, wird stattdessen mit muffig-verschränkten Armen und miesepetrigen Blick einer Standard-Antagonisten aus dem Dorf gekarrt. Hier bei Harlan ist sie dagegen auch nur ein Mensch mit Herz, welcher selbst der eigentlichen Rivalin Verständnis und Besorgtheit zukommen lässt. Das Happy-End entscheidet Elske jedoch natürlich für sich, bringt ihr letztlich doch noch erschienener Antlitz vor der Krippe des Sohnes dem Endrik seine persönliche Erlösung von der Schuld, sie vernachlässigt, betrogen und womöglich in den Tod getrieben zu haben.


Dieser versöhnliche Schluss ist gewiss Murnaus Interpretation nachempfunden, in der Vorlage muss Endrik für seinen Frevel mit dem Leben bezahlen. Hier lässt man jedoch Güte walten, schließlich ist das erwünschte Familienbild nach 1 1/2 Stunden auferlegter Qualen doch wieder intakt - was aber nicht heißen muss, dass der 'Auslöserin' des Konflikts, Madlyn, gleichsam eine Strafe zuteil wird. In diesem Fall wird ja auch klar, dass sie ja überhaupt nicht die Auslöserin ist, sondern der zunächst kalte Endrik, der seinem unbedachten Egoismus freien Lauf ließ und in seiner Selbstverwöhnung Madlyn glauben ließ, dass er mit ihr die Grenzen der Ehe sprengen würde - dabei aber ebenso seine Gattin Elske im Stich ließ.

Harlans 'REISE' ist daher ein psychologisch-ausgeklügeltes Frauen-Melodram, dass der Männerschaft einen Vorwurf macht und nach mehr Aufmerksamkeit in der Liebe, egal zu welcher Seite, egal welcher Herkunft, verlangt. Dass letztendlich der Hang zu lang währenden, einschlägigen Verbindungsstücken der ersten Liebschaft (der Sohn, das Pferd) das Gewissen entscheiden lässt, stellt sicherlich ein ungleiches Match dar - das Verständnis für die Nötigkeit der emotionalen Erfüllung beider Frauen ist aber durchweg gegeben und der spannungsgeladene Fokus des Films.

Murnaus auf dem selben Stoff basierende Werk ist eine idealistische, schon recht plakative Poesie der Gefühle, Harlans die packendere, detailliertere Auseinandersetzung mit jenen nun moralisch ambivalenten, durchweg nachvollziehbaren, emotionalen Bedrängnissen. Die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit stellen beide in wirksamer Aussicht, hier wird aber erst wirklich deutlich, warum nach ihr gestrebt wird.




EL TOPO - Der apokalyptische Wahn in einer entrückten Welt, die zwar augenscheinlich im Western beheimatet ist, jedoch im mittelalterlichen Anarchismus versinkt. So versetzt Regisseur Jodorowsky die Zuschauer und sich selbst in einen blutigen Rausch mit biblischen sowie buddhistischen Anklängen, der zwar seinen Siegeszug als psychedelisches Happening erlebte, allerdings doch eher mit gnadenloser Verbitterung den Zyklus der Gewalt in der Geschichte der Menschheit eindringlich zu Tage fördert. Da reitet der 'Maulwurf' quasi aus dem Nichts in die mit Blut benetzte Stadt, löscht nihilistische Vagabunden aus und stellt eine diktatorische Götzenfigur mit ebenfalls tödlichen Konsequenzen. Er ist eine Naturgewalt, die mit erbarmungsloser Drastik die Gewalt der Menschen neutralisieren will, sie danach aber im Sinne des Guten & Gerechten in deren Hände zurücklegt - wie närrisch es doch im Nachhinein wirkt, mit Rache Gerechtigkeit wiederherstellen zu lassen.


So nützt es dann auch nichts, in der endlosen Wüste - zwischen dem erdrückenden Blau des Himmels, der bis an den Horizont grenzenden Einöde und dem sprießenden Rot des Blutes - verbliebene, scheinbar aus dem Boden entwachsene 'Krieger' mit selbst-erschaffenen Magien zu überlisten und zur Vorsichtsmaßnahme in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Auch wenn hier die Welt von Grund auf rebootet werden soll - u.a. anhand einer widerspenstigen Eva in 'offener', leidenschaftlicher Gefangenschaft und einem zurückgelassenen Sohn in geistlicher Erziehung - setzt man nur den Samen der Gewalt. Der Maulwurf, dem fortan nur noch das Sterben begegnet, wird sodann auch von seiner Auserwählten verraten und zum Verrecken liegen gelassen. Lediglich die Gestalten aus der Unterwelt - Krüppel, Missgebildete und Verstümmelte - lesen ihn auf und sehen in ihm den Befreier, für den er sich selber nicht mehr zu erkennen vermag.


Es stellt sich nämlich heraus, dass alle seine brutalen Bemühungen umsonst waren und der Sadismus seit jeher ein Teil der Menschheit geblieben ist, den Alltag bestimmt und willkürlich Unschuldige dahinrafft oder sich gegenseitig zerfleischen lässt. Mit seinen neuen Freunden buhlt der Maulwurf jetzt mit Bescheiden- und Zurückgezogenheit um Frieden (auch wenn sein inzwischen erwachsener Sohn ihm für seinen Einfluss auf die Weltgeschichte zunächst nicht vergeben will), versucht die Annäherung des globalen Sündenpfuhls mit den reinen, unterdrückten Seelen, die von sich aus nicht mal Gewalt ausüben können - da geht er schon auf Nummer Sicher. Doch es hilft nichts: das Unbekannte wird ungefragt ausgelöscht, ein Massenmord der Ignoranz lässt blutige Tränen fließen.


Diese Welt ist nicht mehr zu retten, die Stadt muss sterben und der Maulwurf muss mit ihr vor Trauer und Wut in Flammen aufgehen. 'Gott' hat uns aufgegeben, hinterlässt verbrannte Erde und lässt die wenigen Nachfahren verstört zurück - und da zeichnet Jodorowsky bewusst kein Bild vergangener Tage, sondern setzt seine zugedröhnte Höllenvision auf Erden in Relation mit kontemporären Ereignissen der Entstehungszeit seines Films.


Wenn Diktatoren in Medaillen-behangenen Uniformen den willkürlichen Befehl zur Massenvergewaltigung und -Exekution geben können, wenn Randgruppen vom weißen, dekadenten Mann unterdrückt und unschuldig hingerichtet werden, wenn sich das letzte Zeichen der Hoffnung wie Thích Quảng Đức selbst verbrennt - dann erkennt man diese Welt bis zum heutigen Tage wieder, denn sie wird sich nicht ändern, offenbar weder mit Gewalt noch mit Frieden (bzw. mit Gewalt hätte man erst gar nicht anfangen dürfen).


Mit seinen bunt-blutigen, erotisch-naturalistischen und hinreißend-verschrobenen Bilderwelten im intuitiven Wandel von Zeit und Raum erscheint Jodorowsky dabei durchaus wie ein romantischer Pessimist bzw. ein Zyniker mit Hingabe für das explizite Aufdecken des verrotteten Kerns der Weltordnung. Dennoch erkennt er mit letztendlich verhaltener Ambivalenz die Nötigkeit einer universellen Befreierfigur, alleine schon nur für eine Chance vom Paradies - eine Rolle, die er selbst geradezu fanatisch verkörpert und folglich gleichfalls intensiv zum ewigen Leiden als bemühten Schutzpatron einer gottlosen Menschheit verdammt.

Dass diese grausame Passion von vielen Zuschauern gar nicht erst aufgefasst, schlicht als psychotronischer 'Kultfilm' gehandelt wird, kann man niemandem verübeln, so poppig und brachial-schön der Wahnsinn hier entfacht wird und dabei trotzdem einen fassbar-geradlinigen Weg einschlägt, der Genre-gemäß reichlich Kadaver vom Sand verschlucken lässt (weshalb der Film Jahrzehnte lang provokant auf dem berüchtigten Index verweilte, wie 'El Topo' selbst in der Höhle auf die Wiederbelebung wartend), mehr noch aber die Sinne ins Trudeln bringt. Ohnehin ist es leicht, sich in dieses verkommene, haltlose Wunderland der Grausamkeiten und spirituellen Unerklärlichkeiten zu verlieren. Jene Welt erscheint so fern, manchmal albern und auch des Öfteren grotesk-abstoßend, bizarr bis zum Anschlag.

Aber wenn es Grenzen zwischen uns und ihr gäbe, könnten wir sie doch erst gar nicht so vergnügt erfassen - der Wiedererkennungswert menschlicher Verhaltensweisen beliebiger Ären ist nun mal indiskutabel, der befreiende Rächer auf einem verbitterten Himmelfahrtskommando, das an ihnen kaum was zu ändern bewirkt. Der Maulwurf, 'El Topo', gräbt sich ganz klar und bewusst durch unsere Welt, unsere Seele, unsere innewohnende Gewalt durch und wird als unbequemer Störenfried vor Blutgier von den Antagonisten (und vom Zuschauer) zerrissen, schmatzend verspeist - da stellt Jodorowsky in vielerlei Hinsicht Spiegel auf, die wir zerbrechen oder vollschmieren können. Eine aufregend-gallige Wucht für die Ewigkeit!




ES WAR EINE RAUSCHENDE BALLNACHT - Ein süßes Märchen erzählt uns Carl Froelich vom russischen Meisterkomponisten Tschaikowsky. Offenbar prädestiniert durch sein Regie-Debüt, dem Stummfilm-Biopic 'RICHARD WAGNER' (1913), spinnt er sich anhand ebenso expressionistischer Optiken und einem Aufgebot an kontemporären Chanson-&-Revue-Größen des dritten Reichs ein kurioses Liebesdrama zusammen, in welchem sich das musikalische Genie zwischen zwei Frauen entscheiden muss. Dass der große Peter Iljitsch bekannterweise eigentlich so gar nichts mit Frauen anfangen wollte, müsste das ganze Handlungskonstrukt zwar eigentlich unterminieren - bereits im Vorspann wird aber erläutert, dass abgesehen von ein paar Rahmendaten alles nur frei erfunden sei. Also hinein ins Vergnügen.


Angelehnt an die reale Brieffreundschaft und Geldgeberin Tschaikowskys, Nadeschda von Meck, nehmen wir hier Anteil an dem romantischen Leiden der Katharina Alexandrowna, die in unglücklicher Ehe zu ihrem geradezu apathisch-behäbigen, doch ebenso hypnotisierend-unterdrückenden Gatten Michael Murakin lebt und sich ganz innig nach der Leidenschaft ihrer Jugendliebe Peter sehnt. Dieser begehrt sie ebenso wie seit jeher, begleitet sie in stimmigen Porträtaufnahmen auf dem Klavier, während sie mit goldener Stimme in den Himmel der Glückseligkeit blickt. Aber wie weit entfernt dieses Blickfeld doch scheint...kann sie doch von ihrem Gatten nicht lassen, erst recht nachdem sie dessen Geld für die ausschlaggebende Förderung der Karriere Tschaikowskys "opfert" und folgerichtig auch keine Unabhängigkeit im Leben mit ihrem wahren Liebsten voraussehen kann - einen brotlosen Künstler heiraten, das kann sich die Frau von Welt nicht vorstellen (im Grunde hat sie aber wohl nur nicht die Idee einer erfolgsversprechenden Investition verstanden oder sie ist insgeheim doch nicht von seiner Begabung überzeugt).


Dagegen steht die indirekte Nebenbuhlerin Nastassja Petrowna Jarowa (Marika Rökk), mit der sich die 'Katja' nur wenige Begegnungen teilt. Sie verkörpert das Kindliche, Eifersüchtige, Lebensfrohe - angereichert mit feurig-aufbrausendem Temperament und einer Leidenschaft fürs extravagante, artistische Tanzen, in dem sich auch ihr abwetzendes Ventil für den Frust der unerfüllten Liebe finden lässt. Mit ihrer östlichen, lieblichen Erotik könnte sie eigentlich jeden Kerl weich machen, nur unseren Peter nicht. Der sieht in seiner Schwermütigkeit sein einzig passendes Pendant in der Katja, die ihm allerdings mit ihrer ganzen Pein entsagen muss. Noch schlimmer wiegt, dass ihr Ehemann von der ganzen Sache schnell Wind bekommen hat und ihr Gewissen mit kaltem Schweigen quält, bis hin zur Einladung ins Tschaikowsky-Konzert, womit er ausdrückt: "Ich werde dir das Unerreichbare ganz nah vorführen, dass du es nicht aushältst - kriegen darfst du es aber nicht."


Kein Wunder, dass die Ehe immer tiefer in die Verbitterung beider Seiten absteigt, da kommt es sogar zu einem an ihn gerichteten Schlager über die Polygamie, in welchem sie ihren Noch-Gatten harmonisch zuschnauzt:

"Nur nicht aus Liebe weinen,
es gibt auf Erden nicht nur den einen.
Es gibt so viele auf dieser Welt.
Ich liebe jeden, der mir gefällt.
Und darum will ich heut' Dir gehören,
Du sollst mir Treue und Liebe schwören,
wenn ich auch fühle, es muss ja Lüge sein,
ich lüg auch und bin Dein.
"

 
Die ganze Lage verschärft sich, als der Kritiker Kruglikow die Geliebte Peters in ganz Moskau entlarven will, um dessen Ruf zu zerstören (und um Nastassja für sich zu gewinnen, weil er aufgrund ihrer Schwärmereien glaubt, Peter und sie hätten was miteinander). Nach einer gepflegten Ohrfeige soll es zum Duell kommen, doch Kruglikow steuert stattdessen auf den gehörnten Ehemann Michael zu und eröffnet ihm, dass es ja um seine Frau gehe und deshalb er das Duell ausführen sollte, was dieser auch mit finsterem Blick gerne annimmt. Um Katja aber nicht zu kompromittieren, behauptet Peter, dass es im Streitfall um Nastassja ginge und dass er gedenkt, sie zu heiraten. Da erfüllen sich nun ihre Träume und es kommt zur 'erzwungenen' Hochzeit.


Tschaikowsky kann bei seinem verstohlenen Gemüt rein gar nichts mit ihrer trink- und feierfreudigen, liebenswert-spaßigen Verwandtschaft (unter der sich offenbar auch Rasputin befindet) anfangen und lässt seine vermeintliche Gattin trotz untertäniger, sinnlicher Avancen wie ein Scheisskopfsky feige im Ehebett zurück - schleicht sich sodann in die Nacht hinein und wandert betrübt durch Moskaus Gassen, bis er dort seinen Freund, den Professor Hunsinger vorfindet, welcher ihn aufmuntert, sich nun seiner wahren Liebe, der Kunst, zu widmen. Sodann erwachen in ihm die Lebensgeister und anhand einer virtuosen Überblendungsmontage erleben wir seinen symphonischen Aufstieg zum göttlichen Superkünstler.


Viele Jahre und Erfolgstourneen später kehrt er in sein Heimatland Russland zurück, welches inzwischen von der Cholera heimgesucht und auch seinen liebsten Diener Stephan dahinrafft. In seiner intensiven Trauer über den Verlust seines Freundes steckt er sich bei ihm an, doch ehe er dem Sterben erliegt, trifft er nochmals Katja wieder, die inzwischen von ihrem Gatten getrennt lebt und nun der Gütigkeit zuteil wird, dass Peter sich bei ihr für ihre finanzielle und emotionale Unterstützung bedankt und fortan mit ihr zusammenleben will. Es darf leider nicht sein, noch während der Aufführung seiner Pathétique landet er auf dem Sterbebett, lässt immerhin noch Katja zu sich und dirigiert scheinbar zum Himmelstor hinein sein Stück noch zu Ende. Sein Gesicht erfährt eine Abblende, Katjas vergeht in verschwommenen Tränen. Doch ihr Trost ist die Gewissheit der ewigen Liebe und das unsterbliche Erbe eines großen Künstlers, weshalb Tschaikowskys Leichnam doch noch in gleißendem Glanz erblüht.


Froelichs musikalisches Melodram mag zwar nicht ganz der Realität verbunden sein, dafür aber umso mehr dem Werk Tschaikowskys, dass hier mit wirksamen Fokus auf die Empathie mit den leidenden Protagonisten ständig hörbar einbezogen wird und ganze Szenen inkl. Übergänge beherrscht. Visuell erfahren diese Noten ebenfalls ihre stimmungsvolle Entsprechung, verweilt die Kamera doch hauptsächlich auf den wehmütigen Blicken seiner getrennten Liebenden, umschlossen vom leisen Schnee, der in beständiger Nacht auf die teils prunkvollen, teils theatralischen Pappaufsteller-Kulissen fällt. Aber auch die Lust zum Tanze macht sich aufreizend und flott-inszeniert bemerkbar, mit edlen Choreographien und einer aufregenden Marika Rökk am Rande körperlicher Verausgabung. Denn auch in ihr steckt die aufstrebende Romantik, die ebenso Tschaikowskys Arbeiten ausmachte, ob nun in elegischen Moll-Tönen oder rasanten Walzern. Beide Ebenen sind ihm zugetan, letztendlich kann er sich aber nur für die Melancholie entscheiden. Wenn man aber ehrlich ist, sind doch beide ausgezeichnet.


Regisseur Froelich setzt dem Komponisten somit kein Denkmal, dass es so genau nimmt - der Grundidee dessen Werkes wird er aber schon gerecht, in dieser Russland-freundlichen Produktion, die allzu passend für den Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt ab jenem Zeitpunkt der Entstehung des Films steht (und dennoch kein Klischee auslässt, was z.B. den Wodka betrifft). Überlebensgroße Künstler zu bedeutenden Pionieren zu stilisieren, hatten die Deutschen ohnehin gut drauf, meist mehr zu Propagandazwecken für die streitbarsten Typen (siehe 'CARL PETERS' und 'OHM KRÜGER'), dann aber auch wiederum für die inspiriertesten Künstler (u.a. 'FRIEDEMANN BACH', 'FRIEDRICH SCHILLER - TRIUMPH EINES GENIES', 'WEN DIE GÖTTER LIEBEN', sogar 'ROBERT KOCH - DER BEKÄMPFER DES TODES'). 'ES WAR EINE RAUSCHENDE BALLNACHT' lässt sich trotz verminderten Wahrheitsanspruch noch in die zweite Kategorie des Heldenkults anhand seiner latenten Suggestion germanischer Großzügigkeit in der Projektionsfläche eines würdigen Künstlerportraits einordnen.

Dass dennoch eine durchgehende Freundlichkeit und Liebe zur russischen Mentalität, Melancholie und Kunst den Grundtenor des Films beherrscht, lässt sich dennoch nicht abstreiten, dafür sorgen schon allein das reizvoll-positive, bunt-romantische Figurengefüge innerhalb des grundlegend-warmen, winterlichen Ambientes und die offene Empathie zur tragischen Cholera-Situation in der Bevölkerung Russlands. Überhaupt scheint es durchweg schicklich, ein herzliches und dramatisches Unterhaltungsstück von Erfolg, Sehnsucht, Kunst und Liebe in diesen exotischen Schönheiten so ambitioniert abzuhalten, soviel schöpferische Leistung Froelich doch in seinem naiven Märchen und seinen Darstellern fand. Die Gefühle waren so vielleicht niemals da und erscheinen manchmal plakativ-kitschig, von ganzem Herzen kommen sie trotzdem, denn sie schöpfen auch nur die Liebe aus der Kunst heraus, wie es auch Tschaikowsky tat.




THE RETURN OF THE FIRST AVENGER - [...] Der Zweck erfüllt sich jedenfalls vorzüglich und bleibt bei über zwei Stunden Laufzeit durchaus gewitzt und explosiv – ein explizit-auftretendes Gespür für Risiko, Ambitionen oder Überraschungen bleibt aber erneut bestellt und nicht abgeholt [...]. Denn wo immer auch Misstrauen und Unentschlossenheit entstehen, kann man noch wie gehabt erfolgreich Muckis, Stahl, Schießpulver, ausgefeilte Strategien, Referenzen an frühere und kommende Leinwandabenteuer sowie das Animationsteam aus Korea entgegensetzen – auf Dauer wird das aber nicht reichen. [...]

Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.




EIN MANN AUF ABWEGEN - Da sehnt sich der schwedische Ölmagnat Percy Patterson doch glatt eines Tages nach der Flucht aus dem dekadenten Alltagstrott seines Millionärsdaseins, inszeniert nach einem wehmütigen Klage-Chanson auf der heimischen Jahrmarktsorgel sein spurloses Verschwinden, weil es scheinbar schlecht um die Aktien seines Konzerns stehen soll. Ihn führt es fortan durch ganz Europa, wo er sich vergnügt in ihm unbekannte Lebenssituationen stürzt, nimmt dafür auch andere Identitäten an - indem er u.a. schlicht Papiere fälschen lässt und sich den Bart abschneidet, so wie man sich einen Bruce Wayne aus 'BATMAN BEGINS' ohne Rache-Mission (sprich ohne Batman) vorstellen würde. Ohnehin fragt man sich schon ein bisschen, warum Herr Patterson überhaupt das Weite sucht - nicht falsch verstehen: der müden Routine entkommen zu wollen, kann man durchaus nachvollziehen. Viel mehr wiegt erstmal aber der Eindruck, dass es einfach ganz im Wesen des Darstellers Hans Albers liegen dürfte, ins Abenteuer aufzubrechen, als dass man dies von der Figur selbst erwartet.


Doch das wird sich alles noch allmählich erklären. Bis dahin genießen wir mit ihm die Vorzüge europäischer Exotik, zwischen verschlagenen Gangster-Kumpels und deren süßen Schwestern - Percy ist nämlich noch immer ganz der Frauenheld, selbst wenn er unter Pseudonym agiert. Ob als Gaston, Emil, Dionysos von der Tonne oder Iwan: ohne das Anhängsel eines großen Namen bleibt er stets ein Freund der Menschen, welche sich ihm eben drum noch schneller öffnen und auch unweigerlich offenbaren, wie der Gesellschaftsstand die Meinung formt - was er sich natürlich ebenso mit trocken-schlagkräftiger Ironie zunutze macht. Er muss dabei aber gleichfalls ständig in Bewegung bleiben, sind ihm der flinke Journalist Nils Nilsen und die eigene Tochter Ingrid (ein verwöhntes, doch ganz nach dem Vater kommendes, ausgefuchstes Mädel mit Cagney-Visage) über den gesamten Kontinent auf den Fersen, um seine Beweggründe für die Flucht zu erfahren.


In einer Zwischenstation eben dieser gastiert Percy in einem Restaurant als Kellner und trifft beim nackten Krebssuchen am See auf die ebenso nackte (und damit ebenso unbefangene) Lisaweta Iwanowna in Not, deren Kleider auf dem davon treibenden Boot verbleiben, weshalb er ihr zu neuen Kleidern verhilft, während er unter den Tönen & Strahlen sommerlich-frivoler Komik aus dem Nackedei-abdeckenden Holzfass guckt. Der gesellschaftliche Rang spielt da natürlich keine Rolle, als sie sich näher kennen und verschmitzt lieben lernen (wunderbar reflektiert durch eine Überblende aus dem Herzen Percys heraus), weshalb sie auch allzu gerne bei seinem freimütigen Rollenspiel mitmacht und ihn als Chauffeur einstellt. Letztlich imponiert Percy mit seiner neuen Uniform in Genf die örtlichen Hoteliers, kann sich dabei als "italienischer" Abgeordneter ausgeben und die besten Tische im Restaurant bestellen. Und nicht nur das gelingt ihm, entlarvt er doch den Assistenten Lisawetas als Vermögensveruntreuer. Als er mit dem Ausziehen seiner Uniform das Signal zum Faustkampf gibt, reißt er aber keineswegs eine Schlägerei vom Zaun, schmeißt sich stattdessen in einen feinen Frack und setzt zum romantischen Diner, wie auch zum Telefonat mit Stockholm an - wo der aufbrausende Investor Meyers aufgrund neuer Forderungen von Percys Vertretung Sully schon drauf und dran ist, seine Aktien zu verkaufen.


Schließlich treffen er und seine Liebste doch noch auf die Verfolger Nils & Ingrid, die sich inzwischen auch sehr sympathisch geworden sind und am breiten, prunkvollen Tisch löst Percy das ganze Rätsel um sein Verschwinden so genüsslich-abdeckend auf, wie später auch Terence Hill in 'NOBODY IST DER GRÖSSTE' (jedenfalls in der deutschen Synchronfassung). Mit seinem Täuschungsmanöver und den fingierten 'Schwierigkeiten' in seinem Unternehmen wollte Percy nämlich den umständlich-gewordenen Meyers endgültig als Anteilhaber loswerden. Der Umstand der liberalisierenden Europa-Reise war dabei ein angenehmer Bonus mit Heiratsabsichten und bereitet natürlich allen unseren Protagonisten ein glückliches Ende, weshalb Hans Albers sich mit treuen Äuglein letztendlich auch an uns Zuschauer wendet, es ihm nachzumachen - liebestoller Eskapismus und cleverer Kapitalismus in einem Rutsch, welch süße Fantasie.


Herbert Selpins Film verlässt sich bei der Vermittlung dieser Geschichte natürlich hauptsächlich auf seinen abenteuerlustigen Protagonisten, fördert in flotten 85 Minuten anhand des gewohnten und beliebten Charakterdarstellers Albers die Lust aufs Gewagte, Aufregende und Schöne, wobei er auch zum Großteil der Laufzeit die Motivation seiner Figuren und die Zielrichtung des Narrativs bewusst lange in der Luft hält, um speziell 'den Moment genießen zu können'. Kam ihm sicherlich gut gelegen, war er seinen Arbeitgebern im dritten Reich ohnehin mehr oder weniger schon unbequem (was sich auch in seinem tragischen Lebensende wiederspiegelte) - kein Wunder, dass er mit diesem Stoff hier die Flucht an vorderster, positiver Stelle setzte.

Folgerichtig muss man in diesem nach Abwegen gierenden Lustspiel auch ein bisschen naive Theatralik in der coolen Sehnsucht nach Freiheit und knackiger Erlebnisse erwarten, welche aber durch den nach außen getragenen Spielspaß seines Ensembles deutlich wettgemacht wird und sich mit unbemühter Sympathie beim Unterhaltungs-freudigen Zuschauer niederschlägt. Wenn dann noch in genüsslich-pointierten Portionen der Plot dahinfließt und mit leichtherzig-charmanter Direktheit, ohne große Schwierigkeiten, alles passgenau abgefertigt und sinnig nachvollziehbar gemacht wird, ist Zufriedenheit garantiert. Ein niedlich-schickes, rasant-schmackhaftes und liebevoll-entführendes Sahnetörtchen in Schwarz-Weiß.