Sonntag, 25. Oktober 2015

Tipps vom 19.10. - 25.10.2015

 

NEONSTADT - "Was ich haben will, das krieg ich nicht. Und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht". Ungestüm kommt der Zeitgeist der Jugend um die Phase zwischen Punk und NDW herum hier in fünf Episoden daher, die sich im faustdicken Eigensinn zu Liebe und Selbstbewusstsein äußern und dabei dennoch saukomisch, tragisch, impulsiv und frech zugleich auftreten. Nicht, dass dafür in allen Fällen überhaupt Genremuster oder spekulatives Drei(t)akten zur Anwendung kommen - der urbane Umgang ist hier stattdessen bereits von der ersten Episode an ("Verliebt, verlobt, BRD-igt" von Gisela Weilemann) ein abgeklärtes Spiel im Milieu, das seine Sehnsüchte von Mann und Frau spielerisch ausspäht sowie in bunten Lichtern illustriert. Genauso knackig die Klamotten, Frisuren, der Slang, die Akzente und der ungezwungene Bezug zum Sex - irgendwie doch ganz drollig, voller Unschuld und so frei wie rotzig im Umgang, dass sich die Dramaturgie auch je nach Belieben, aber weiterhin stimmig, die ganze Nacht hinweg umorientieren kann. Botschaft oder Moral müssen nicht dahergeführt werden, da der Zustand des Zeitgenössischen schon entschieden für sich spricht.


In der zweiten Episode, "Star" von Helmer von Lützelburg, folgt sodann der Drang, darin aufzugehen, etwas darzustellen und dem Mief sowie U-Bahnen des Alltags zu entkommen, obgleich das Innere nicht wirklich mitgehen kann zu dem, was mit dem Äußeren dargestellt werden soll. Wie findet sich da zwischen den Zeilen, im Mantel der Schönheit, das Glück unter jenem Sonnenuntergang, der von dunklen Türmen umkreist scheint? Imagepflege ist eben heute wie damals eine schwierige Frage des Selbstbewusstseins. Die dritte Episode hingegen, "Running Blue" von Dominik Graf, koppelt sich in ihrem Selbstbewusstsein ein Stück weit vom dargestellten Gesamtkomplex ab und stellt sich einen Waffenschieber-Gangsterpathos mit kahler Stirn und Coolness vor, der Mechanismen der Übermächte in einen kontemporären Rahmen setzt, darin die Strenge in der Existenz per Unterwelt abwickelt und mit Aussichten auf die lieben Kleinigkeiten auflockert. Letztendlich endet es da aber so, wie derartige Geschichten immer Sch(l)usspunkte setzen und wirkt daher (auch handlungstechnisch) quasi wie eine vereinfachte Variation von "Eine Rose für Jane".


Die vierte Episode, "Panter Neuss" von Hans Schmid, geht dafür aber wieder in die Vollen und fungiert als Highlight mit einzigartiger Charakterstudie, die ein kaputtes Wesen mit einer gleichgültigen Gesellschaft fusioniert und dieses darin auf umso schönere Wege des Unkalkulierbaren geraten lässt, ohne Wahrhaftigkeit aufzugeben oder zu forcieren. Der kapitalistische Wunschtraum hat eben keine Chance gegen das Individuum, dass so herzensgut und doch unbeholfen abfetzt, bis die Anziehungskräfte das Zelluloid zerreißen. Also geht es zur fünften Episode nicht nur vom Titel her in die "Disco Satanica" von Wolfgang Büld, der jenen Nachtzirkus mit entsprechenden Hits unter der Lichterkugel füttert und Hormone gegenseitig anbaggern lässt, bis die provinzielle Schnauze überfahren wird und zum Killer mit Travolta-Maske mutiert. Der Beischlaf wird dabei natürlich nur bedingt eingedämmt und spritzt Blusen voll, solange das Wochenende ansteht - Vorsicht allerdings vor der Eifersucht, die hat Schaum aus dem Feuerlöscher vorm Mund! Sowas Wildes und Rohes, schlicht Unmittelbares an Film ist aus deutschen Landen vielleicht nicht mehr ganz so gängig zu sehen, was schade, aber umso sehenswerter ist. Hoffen wir zumindest auf eine baldige Verewigung im Heimkino, damit die "Neonstadt" immer wieder besucht werden kann.




SCHOOL OF THE HOLY BEAST - Einerseits ist es schon komisch, wie solch japanische Exploitation stets mit visueller Brillanz auftreten und in ihrem Exzess mit Leichtigkeit treffende Pointen des Zeitgeists (siehe bereits die Montage des Intros dieses Films) und der Kritik einbauen kann. Andererseits sind die Geschichten darum stets so einfach, dass sich die Balance zwischen Reißertum und Melodram nicht immer glaubwürdig halten lässt. In solchen Fällen heißt es ohnehin: Man wird wahrscheinlich schon von Vornherein wissen, auf welch spezielle Genrefaktoren man sich einlässt und gerade, was japanisches Kino betrifft, sollte man dessen kulturellen Eigensinn berücksichtigen, der weißgott nicht mit dem allgemeinen Konsens und abendländischer Moral vereinbar ist.


Umso hemmungsloser kommt dann allerdings Norifumi Suzukis Zeugnis der Erotomanie daher, welches geistliche Symbole keck umspielt und für einen Thriller einsetzt, der spielerisch die Doppelmoral des Klerikus entlarvt und dabei gegen den guten Geschmack verstößt, ohne jedoch haltlose Beleidigungen am laufenden Band zu äußern. Viel mehr wird die Selbstgefälligkeit der religiösen Geheimgesellschaft ins Visier genommen sowie die Abschottung vor der Welt, dem Menschlichen und speziell dem Bewusstsein zum eigenen Körper - zwar überspitzt in genussvollen Extremen, aber eher frech als karikaturenhaft. Auf der storytechnischen Ebene kulminiert jenes Konzept zudem in der Erforschung zur Vergangenheit der Protagonistin Maya Takigawa (Yumi Takigawa), deren Existenz aus dem Leiden innerhalb der Klostermauern erst erschaffen wurde und im Ursprung so verklärt wird, dass ihr weiteres Leiden im Bewusstsein der Wahrheit angetan wird.


Zudem aber sind ihre Antagonisten nicht gerade grundlos so wie sie sind, ebenso von der Geschichte gebrandmarkt und in einen Glauben hineingestiegen, dessen Widersprüche zum mentalen Selbstbetrug führen, wie es jüngst auch in "El Club" (2015) nur die Eskalation hervorbringen konnte. Die hat es dann aber auch in sich, schreitet zur Entschlossenheit individueller Selbstbestimmung UND explodiert in einem blutigen wie nackten Bilderrausch, der gleichsam ins Übernatürliche und Hymnische mündet - und das gar nicht mal so verrückt oder zynisch, dass der charakterliche Rahmen darunter leiden muss. Eine schöne Symbiose aus konfrontierender Glaubensfrage und bildhübscher Drastik, Ken Russell und Marquis de Sade würden ihre helle Freude daran haben.




DIE MELODIE DES MEERES - Sich rein visuell von diesem Werk einnehmen zu lassen, ist gar nicht mal zu schwierig und erst recht nicht unfair gegenüber dem restlichen Inhalt des Films, welcher die Schönheit von Mythen und Zauberei in die Wirklichkeit überträgt und ein spannendes wie herzliches Narrativ daraus entwickelt. Das Abenteuer um zwei Geschwister, die im Verlauf von allem entrissen werden, was sie ausmacht, dabei aber auch erst zusammenfinden, sehnt sich nach Heimat sowie der Wahrhaftigkeit und Hingabe der Gefühle, wie es einerseits der kindlichen Zielgruppe gerecht werden dürfte, aber sich dafür auch nicht an diese anbiedern muss. Sehr löblich ist auch der runtergeschaltene Gang in Sachen (ich nenne es einfach mal so) "Blödi-Humor", der sonst die Spannweite der Themen und Emotionen mit brachialer Komik niederschmettern würde.


Nicht, dass "Die Melodie des Meeres" komplett ohne Humor auskommen würde, im Gegenteil, doch der Spaß macht weder einen Witz aus sich selbst noch aus seinen Charakteren. Die sind nämlich in zweierlei Hinsicht so liebevoll gezeichnet, dass sie nicht bloß funktionär für simples Tearjerking oder Comic Relief herhalten oder im Gegenzug übererklärt werden. Die Schicksale besitzen bereits im visuellen Rahmen emotionale Resonanz (toll, das verstärkt über die Bilder allein erzählt wird), werden aber auch zugleich über die farbige Ortssprache zum Leben erweckt und vermeiden zudem im Endeffekt komplett die Aufteilung in Gut und Böse. Dabei gelingt in einfacher Dramaturgie mit durchgängiger Leichtfüßigkeit reichlich Kreativität, die zudem mehrere kleinere Figuren und Geschichten als Teil des Ganzen miteinander verknüpfen kann, ohne überladen zu wirken. Ohnehin blüht darin eine Euphorie für Fantasie auf, die noch von einem dringlichen Gefühl der Wiedererlangung unterfüttert wird.


Die Spannung basiert sodann erneut auf Muster eines Rettungsplans, eines Countdowns sowie einer Art Prophezeiung, wie sie im modernen Kino nicht mehr wegzudenken sind. Vielleicht schöpft sich die Geschichte da zum Ende hin etwas aus, wenn sich Erwartungen erfüllen, die den eigenständigen Mythos in eine gängige Erzählform bugsieren und sich da in die Länge strecken. Andererseits entschädigt der Film dann wieder mit dem Abschluss einer tragisch schönen Reise, die eine Einigung der Welten zum Tränenfluss einer bittersüßen Katharsis avancieren lässt. Im Klartext: Es war einfach nur sehr schön, eigenständig und aufrichtig, sowohl in der liebevollen Optik als auch im liebevollen Plot. Eine klare Empfehlung für klein und groß zum stilechten Starttermin um Weihnachten herum.




MACBETH - Die nachfolgende Kritik wurde von Stefanie Schneider und mir zusammen verfasst - kleiner Hinweis: ich hab mehr über die positiveren Aspekte des Films herausgekitzelt ;)

"[...] Es folgt ein Delirium in eine kaum entlastende Heimkehr, die im Morast versinkt, da die Macht mit sauberen Händen über allem ruht. Kurzel reflektiert die kontemporäre Politik wie Polanski – aber wo seine Adaption darauf aus war, die Tyrannen, gleich welcher Herkunft, ausbluten zu lassen, spürt das modernere Pendant der Qual seiner Hauptfigur als Übertragungskette des Grauens nach. [...] Kurzel weiß dieses Schicksal in einen Rausch aus Erschöpfung und Schock zu verwandeln. Daher zieht sein zweiter Spielfilm zwar große Stücke auf, legt seinen Fokus jedoch auf ein menschliches Martyrium im tief versumpften Mittelalter, statt ein Historienepos aufzufahren. Er tritt mit seinem Bruder Jed ans Schlagzeug und rumst ins Fieber eines Vergifteten, das Chance, Schuld und Sühne zu einem Stimmungsstück der Verlorenen ballt. [...]"



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IRRATIONAL MAN - "[...] Regisseur und Autor Allen setzt diese Konflikte wie gewohnt in einen leichtfüßigen Rahmen mit Jazz der Marke Easy Listening, kreiert stilsichere Konversationen mit neurotischem Flair, welche sich im oberen Mittelstand mit Beobachtungen und Einsilbern über Dostojewski („He got it!“) bis Heidegger und dem Faschismus begnügen [...] Dennoch verlässt man den Film mit einem Gefühl der Teilnahmslosigkeit, da das Menschliche eher im Rechtfertigungszwang aufgeht und sich für einen gehobenen Umgangston vom Praktischen abkoppelt, das sträflich unterrepräsentiert scheint [...]"



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Bonus-Zeugs:




ICH UND EARL UND DAS MÄDCHEN - "[...] Im Grunde der Geschichte schlummert das Psychogramm eines Egomanen, der sich nur durch andere definieren kann – seien es Filme oder Menschen. [...] Dieser filmische Poser verpasst sich zudem noch selbst Zynismus, als Greg Rachel in seinem Voice-over zum Spielball des Publikums umfunktioniert, ob sie überleben wird oder nicht. Die Zuckerglasur des Ganzen legt sich natürlich ins Zeug, ein Trostpflaster zu spenden, indem sie nicht nur durch eine Anekdote von Gregs Lehrer McCarthy (Jon Bernthal) ankündigt, dass ein Mensch nie stirbt, weil im Nachhinein immer wieder etwas Neues an ihm zu finden sein wird. [...] Zudem ist ein ehrlicher Umgangston zeitweise ebenso anzutreffen [...] Vieles davon kennt man aber schon anhand anderer Genrebeispiele – jetzt eben mit dem anbiedernden Gimmick der Weltkinoreferenzen und dem Tearjerker Krebs. Laut diesem Film schafft Film alles, doch der Film an sich schafft zu wenig, obwohl er meint, das Herz am rechten Fleck zu haben."



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THE LAST WITCH HUNTER - "[...] Vielleicht liegt dies an seinem Schauspiel, das ausgerechnet unter der Ägide von Breck Eisner (dessen Remake von „The Crazies“ für effektives Horrorkino sorgte) zum nuschelnden Expositionsanrufbeantworter verkommt und in den Kampfszenen reichlich amüsante Grimassen von ihm abverlangt. Trotz der gelegentlich reichhaltigen Ausstattung schafft es aber keiner der Herren, Tempo aufrechtzuerhalten, da sich der Großteil des Films durch Erklärungen über Hexen, Geheimkonsulate, deren Sentinel-Monster und ach so wichtige MacGuffins definiert. [...] Ein weiteres Symptom für einen Film, der niemals in die Gänge kommt und stattdessen Standardbilder von Rückblenden, Schwertkämpfen mit CGI-Monstern in dunklen Höhlen sowie dem nahenden Ende der Welt bemüht. [...]"



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A PERFECT DAY - "[...] Das Szenario um eine Gruppe von fünf Helfern ohne Grenzen zur Zeit des Bosnienkrieges rattert witz- und stillos durch ein Arsenal an forcierten Schlagfertigkeiten, das alle zwei Szenen entweder auf Ü-40-Coolness pocht oder oberflächliche Betroffenheit übt. Genauso anbiedernd pendelt der permanent angeschaltete Soundtrack von Classic Rock über Marilyn Mansons „Sweet Dreams“ zu austauschbaren Synthesizerflächen, damit jede Stimmung genauso eindeutig bleibt, wie es die Charaktere sind. [...] Wer neu ist, braucht vielleicht noch Eingewöhnung, aber es dauert nur die gesamte Laufzeit, um im gleichen Atemzug Fairness gegenüber der Bevölkerung zu verlangen und eine dicke Leiche als „Fat Fuck“ abzutun. [...]"



(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)

Montag, 19. Oktober 2015

Tipps vom 12.10. - 18.10.2015

Zunächst mal gibt es auf CEREALITY.NET nochmal eine Zusammenfassung zur Retrospektive über das Werk von Hans W. Geißendörfer, welche einen schönen Überblick über alle seine Spielfilme sowie seine Serie LOBSTER anbietet:

 
http://www.cereality.net/thema/die-filme-von-hans-w-geissendoerfer-105920




FISH TANK - Eine wunderbar konzentrierte wie ungezwungene Charakterstudie in inszenatorischer Schlichtheit/Angemessenheit, bei der es geradeaus geht, während sich das dramaturgische Konstrukt in beachtlicher Natürlichkeit entwickelt. Was da aber auch an Gefühlen in der Geißelung des Alltags hochkocht; wie sich das fast dokumentarische Erscheinungsbild Realismus vorbehält und doch intensiv beobachtet, ohne auf Affekt abzuzielen; wie die beiläufige Einfuhr von Demütigungen unter die Haut geht und doch ein Familienleben bildet; wie die Sehnsucht im Geheimen schlummert und spürbar im Herzen anwächst, obwohl keine Richtung gen Ende jemals vorhersehbar wird...Da trifft einen das britische Ghetto ohne das Stigma der Betroffenheit, das Jugendliche ohne Prätention und Spekulation, die Liebe ohne Drehbuchphrasen der Etablierung und erst recht der leise Schock, dessen potenzielle Eskalationen an der Unsicherheit des Zuschauers bis zur Überwältigung hochschleichen. Wie stark ein Film dabei einfach ohne die alteingesessenen Konventionen von Film auskommt, muss natürlich nicht der Regelfall sein, aber Andrea Arnold schafft in jener Balance zum Wahrhaftigen eben die charakterliche Vereinnahmung, die ihre ganze Last in Bildern und Darstellern vereint. Nicht jede Verzweiflung und jedes Glück zeigen sich nun mal an der Oberfläche, da hat der "Fish Tank" genau den richtigen Blick für.


 

STEVE JOBS - Es ist schon von Vorteil, dass Danny Boyle diese konzentrierte Dramatisierung von drei historischen Ereignissen im Leben des Steve Jobs übernommen hat. Größer als das Leben selbst ist dessen Image, deshalb erliegt er in der Studie seines Charakters nicht den Zwängen eines bloßen Biopics und erst recht keiner Funktion der Werbung. Hier liegt der Fokus auf dem Wesentlichen, nämlich der Erfahrung "Film" und so kann sich Aaron Sorkins Drehbuch rasante Wortwechsel und geballte Geschehnisse kurz vor entscheidenden Präsentationen erlauben, wie auch Boyles Gestaltung mit einigen inszenatorischen Farben keinen absoluten Realitätsanspruch stellt und sich eher der Beobachtung zum Charakter verpflichtet. Und da ist Michael Fassbender als Übermacht auf Zack, unbarmherzig und praktisch am Werkeln, wie er sich in der Führungsposition des technischen Fortschritts selbst inszeniert und als Arschloch agiert, um voranzutreiben, zwischen Abneigung und Stress Reibung zu erzeugen.


Im Kontrast einer potenziellen Glorifizierung zeigt sich aber die Erdung durch seine Mitmenschen, die ihn ganz einfach als Bewohner dieses Planeten erreichen wollen und das Humane am Genius offen legen könnten, weshalb unweigerlich eine Ambivalenz entsteht, wenn er dies nicht zulassen kann und mit Rationalität am Image festhält. Der Ehrgeiz lässt das Innere bereits von außen hin abprallen, im Schauspiel schafft es Fassbender aber auch, das Innere ohne breite Erklärung stets ersichtlich zu machen, Räume einzunehmen und als "Dirigent" etlicher "Musiker" am Hebel zu bleiben, obgleich eine Reihe an privaten wie beruflichen Engpässen Lösungen von ihm abverlangt. So wird "Steve Jobs" im Verlauf seiner drei Ären auch zu einem Drama, das dessen Verantwortung gegenüber der eigenen Tochter auf die Probe stellt, der er sich nicht stellen kann und per Praktikabilität übertüncht.



Dass alles nur nach seiner Pfeife tanzen soll, ist aber eben auch ein Ding der Unmöglichkeit, manchmal vielleicht schon nötig, aber ebenso ein Spannungsfeld, das sich kontinuierlich damit auseinandergesetzt sieht, irgendwann doch Empathie walten zu lassen, eine Vaterrolle einzunehmen und Fehler einzugestehen. Das fängt Boyle ebenso in einem vielseitigen Spektrum des Stils ein, das sich sowohl dem Enthusiasmus wie auch der Bedrängung im Konflikt zuordnen kann, ohne wie ein Cartoon zu wirken oder im Gegenzug die blanke Wahrheit zu repräsentieren. Vor allem bietet er darin trotz seiner zwei Stunden Laufzeit enorm flinkes Kino der zwischenmenschlichen Reibung, das sowohl die "Larger-than-Life"-Komponente seiner Hauptfigur veräußerlicht, als auch diese hinterfragen lässt. Vielleicht ist er deshalb auch nicht wirklich perfekt, weil er schlicht nicht davon ausgeht, dass Menschen perfekt sein können und dennoch versteht, dass sie danach streben.




COP CAR - "[...] Jenseits der direkten Impulse eines rabenschwarzen modernen Märchens wirkt dabei aber durchweg ein Abbild vom dysfunktionalen Verständnis zu Recht und Ordnung, Anstand und Verstand, Schuld und Unschuld, das im Zeitgeist wie verankert scheint und von Watts nur mit verstörter Ruhe aufgenommen werden kann. Das Kinderspiel zieht nicht umsonst mit naiver Anarchie am Arm des Gesetzes. Letztendlich schlägt letzteres aber alles andere als gerecht zurück und entlässt die Zukunft in eine ungewisse Nacht. Nun drückt „Cop Car“ jedoch nicht so dramatisch, wie es klingen mag. Es geleitet einen stattdessen mit knapp 87 Minuten kompakt durchs Prozedere und setzt als Genrewerk von Front- bis Heckscheibe auf Praktikabilität [...]"


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THE END OF THE TOUR - "[...] Die Krux des geselligen, intellektuellen Diskurses ist allerdings, dass Lipsky seinen Gesprächspartner wegen seiner Einsamkeit auszufragen gedenkt. Er will freundlich die Wahrheit und eine Gemeinsamkeit formen, die über das Berufliche hinausgeht. Ponsoldts Inszenierung grenzt den Erfolg dieses Plans kontinuierlich ein, obwohl zu Beginn kaum Schranken des Vertrauens gesetzt sind. [...] Ihr Roadtrip zeigt sich als charakterfokussierte, gewitzte Observation durch ein Americana on ice und stellt clevere Dialoge in den Raum. Allerdings dürfte die Spannung dessen nur bedingt erkenntnisreicher sein als das Lesen des darauf basierenden Porträts. Gemessen an den Umständen ließ Wallace niemanden an sich heran, den redundanten Hang zur Erklärung erfüllt der Film aber trotzdem unter dem Mantel einer Demut, solange diese durch zwei geteilt wird. [...]"



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THE LAST FIVE YEARS - "[...] Die Geschichte ist so einfach, wie sie nachvollziehbar und aufrichtig ist und ein Wechselbad schwieriger Entscheidungen und freudiger Verpflichtungen durch verzweigte Zeitlinien in Erinnerung ruft. LaGravenese hält seine Inszenierung dabei grundsätzlich im Rahmen und gibt sich nicht pompös, um seine Charaktere womöglich zu übertönen [...] Das gelingt mit Esprit und gewissen Kniffen der narrativen Verdichtung, die in ihrer Schlichtheit trotzdem Prätention vermeiden, da sie auf Zweisamkeit eingestellt bleiben. Weil der Film aber auch gewissenhaft seine Vorlage adaptiert und ausgesprochen flott bleibt, hält er manchmal zu kurz inne, um sich eine Pause zu gönnen. Aufgrund dessen spürt man als Zuschauer ebenso eine Erschöpfung, die ohnehin schon längst von der auflösenden Stabilität jener Ehe weiß und diese dramaturgisch nur abwarten kann. [...]"



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BLACK MASS - "[...] Die charakterlichen Details des Antihelden und seines Gefolges bleiben oberflächlich (undankbarer ergeht es nur dem weiblichen Ensemble), das Verharren auf dem Prinzip „Based on a true story“ resultiert zudem in einem trockenen Prozedere. Cooper tanzt anhand von Unwesentlichkeiten mit dem Konsens, hat aber einige Asse im Ärmel, die ihn vom bloßen Sidney-Lumet-Abklatsch abhalten [...] Die moralische Richtung hat jedoch einen roten Pfaden – nämlich den Selbstbetrug. Dies lässt nur bedingt Raum zur Identifikation, vermeidet jedoch zumindest die Glorifizierung des Untergrunds, wie es ein Martin Scorsese gerne hält und im Vergleich dennoch besser unterhält. [...] In dieser Erfahrung aber gewinnt am Ende beinahe ausschließlich das Historische, sprich die Grundlage für einen spannenden Stoff, der aber nur stückweise seinen Sinn ausleben darf. [...]"



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Sonntag, 11. Oktober 2015

Tipps vom 05.10. - 11.10.2015

Der letzte Film, der in der Retrospektive zu Hans W. Geißendörfer auf CEREALITY.NET noch fehlte (wirklich alle seine 17 Spielfilme sind also auf der Seite vorhanden), ist jetzt auch besprochen worden, deshalb:




IN DER WELT HABT IHR ANGST - "[...] Drum herum kündigt sich also trotz kleinstädtischer Atmosphäre in Bamberg ein Chaos an, dem Geißendörfer mit einer rasanten Abfolge der Ereignisse, direkt in die Eskalation, entgegenkommt. Ohnehin ist das Prozedere im Verlauf bedingt reflektiver Natur; eher eines, bei dem man in unregelmäßigen Abständen „Auch das noch!“ als Zuschauer von sich geben darf. [...] Die Moral der Unschuld ist hier ambivalent, direkt in der Sühne gelandet und diese auch büßend, aber ebenso um romantische Belange der Freiheit kämpfend. Die Schlussfolgerung Geißendörfers dazu bleibt auch (mit Tendenz zur bitteren Unmöglichkeit) offen, nur flirtet sein modernes Märchen ebenso mit Drogenhysterie und kleinbürgerlichem Humor. Deren Lösungswege sind gewiss unkonventionell, aber auch ein Stück anorganisch, obgleich die Zwiespälte des Herzens, (wie oft bei Geißendörfer) unter Väter und deren Kindern, in nachvollziehbare Widerstände geraten. [...]"


(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)


Da das Filmfest Hamburg nun diesen Samstag zuende ging, kommen nun auch langsam mehr Texte zu den jeweiligen Filmen raus. Also nun in qualitativer Reihenfolge:




THE LOBSTER - Sich solch eine außergewöhnliche Groteske über die Regelmäßigkeiten der Liebe auszudenken, ist ja schon eine Meisterleistung, die in diesem Rahmen weder auf Publikumstauglichkeit achten muss noch auch nur einen Anteil davon vergraulen sollte. Giorgos Lanthimos übergreifendes Erzählmittel ist da zwar auch das des Voice-overs, aber keines der künstlichen Sympathie, sondern ebenso schon ein eigenwilliges Unding, das wie der Film an sich mit bitterem Humor ans Schienbein tritt. Ein Heer an Herzlosigkeit erlebt man sodann in der Darstellung einer Dystopie, deren Menschlichkeit in aller Selbstverständlichkeit das Single-Leben verbannt hat und Pärchenbildung zum existenziellen Wettbewerb gestaltet, der so geregelt von statten geht wie er die monströse Jagd auf Einzelgänger zum Dienste der Selbsterhaltung aufstellt. „The Lobster“ will dann auch gar nicht mit Empathie punkten, sondern stellt schlicht die omnipräsente Panik im Anzug dar, die sich den sozial-peitschenden Abläufen ergibt, sie gegebenenfalls zum eigenen Vorteil manipuliert und schlussendlich doch von ihnen zerfleischt werden. Allerdings gibt es da nicht nur eine Seite der Ideologie, sondern wie so oft in der Science Fiction den Widerstand, der in seiner emotionalen Sterilisierung zum Single-Zwang nicht minder brutale Gesetze vertritt. So tritt eine gewisse Zweiteilung im Film ein, die aber zum Herzen des umgebenden Rahmens führt und weiterhin in Lanthimos' obskurem Wunderland einer selbstständigen Filmsprache verweilt.


Schön auch, dass gestandene „Weltstars“ das mit sich erlauben lassen, Komplettverräudung verwirklichen und genau die Sicherheit unterlaufen, die man mit ihren Gesichtern verknüpfen würde. Stattdessen lässt sich Lanthimos keine Grenzen und balanciert Nihilismus und Zynismus mit diesem süßen Streif der Hoffnung, der sich von allen Regeln absetzt und in seinem verstörten Verständnis eine neue Form des Glücks aufbohrt. In dieser Vision einer verzerrten Menschlichkeit hat aber auch jede Liebe einen Schmerz der Selbstgeißelung inne, bis hin zur offensiven Verstümmelung, eben deshalb natürlich, weil sonst die Verwandlung zum Tiere auf einen wartet. Der Selbsterhaltungstrieb, wie wir ihn so schon kennen und Fortpflanzung in der menschlichen Natur anregt, ist hier die Waffe schlechthin, für die jede Patrone passgenau ins Magazin gelegt werden muss. Ansonsten hilft nur noch die grobe Handarbeit der Verzweiflung und da lässt es sich genauso lügen und geheim kommunizieren, wie es dieser Ansammlung an Systemen nur recht sein könnte, wenn denn die Auslese sie nicht zwangsläufig und herzlos eliminieren würde. Glücklicherweise konnte „The Lobster“ so einem Rotstift entkommen und als Film neue Emotionen und Situationen entdecken, die unserem Verständnis von Menschsein und Kino die Augen herausschneidet, damit wir mit unserem Sinnen besser verstehen lernen.




THE DUKE OF BURGUNDY - Das schönste an Peter Stricklands Inszenierung neben der Präsenz seiner Hauptdarstellerinnen ist dieser Hang zu euphorischen Sequenzen, also solche, die per Montage, aufreizenden Bilderwelten und dem Soundtrack von Cat's Eyes barockes Gold erschaffen, in dem permanente Ekstase vorherrscht. Sie sind die Schlagsahne der Sinnlichkeit in einem leichten wie eigenen Liebesfilm, der sich den Strukturen von Rollenspielen im sado-masochistischem Fetisch sowie dessen psychologischen Auswirkungen annimmt, ohne auf mörderische Eskalationen oder überhaupt dramaturgische Lösungen zu setzen, die um Zugänglichkeit betteln. Wirklich sperrig ist hier aber auch nichts, sondern von den Strahlen herbstlicher Sonne in ein hedonistisches Miteinander getaucht, das seine Kadrierung so perfektioniert wie es die Sehnsucht ab- und aufprallen lässt. Emotionale Bindungen sind da für den Zuschauer eher zweitrangig vermittelbar, stattdessen erlebt man die Macht der Bindung im wortwörtlichen Sinne sowie dessen gewitzte Wechselwirkungen, welche die Ausführerin der Schmerzen zum Diener der Schmerzwilligen macht.


Trotz dieser Beschreibung ist die Erotik am „Duke of Burgundy“ eine subtile, die sich nicht am Exzess vergreift, sondern eben die Erwartung, das Innehalten und das Kopfkino zur Spannung erhebt. Blicke und Berührungen erschaffen einen unsichtbaren Strudel zum Herzen, genauso die exquisite Ausstattung in all ihrer anschmiegenden Fülle. Holzschränke, blau verzierte Fließen, Reihen an dunkelgrünen Büchern, Sesseln und natürlich das Gros an gesammelten Schmetterlingen zeichnen ein Traum vom Vergangenen, der sich in seiner komplexen Verspieltheit zur Liebe auch gerne ins Unterbewusstsein, in die Dunkelheit edler Kisten und staubiger Keller im Kerzenschein begibt, um dort das Delirium zu fürchten und zu verschlingen. Es wird surreal oder auch superreal, wenn das Innere nach außen auf die Leinwand gekehrt wird und seine Flügel über der Liebe ausbreitet, bis wir wieder bei den eingangs erwähnten Sequenzen cineastischen Glücks wären. Es hilft da nichts, mit logischer Achtsamkeit an das Erleben heranzugehen, das Strickland dort choreographiert und somit einen Seelenglanz illuminiert, der dem simplen Erzählen einen Streich spielt; den Bann von Körper, Liebe und Verkleidung als Film formvollendet.




RIGHT NOW, WRONG THEN - "[...] Im Mittelpunkt steht der Regisseur Ham Cheon-soo (Jeong Jae-yeong), der in der winterlichen Kargheit mit zufälligen Begegnungen den Tag verbringt und erst am Namen in seiner Funktion erkannt wird. In gemächlicher Gangschaltung und teils mit klimpernder Jahrmarktsmusik unterlegt, transportiert der Film seinen Protagonisten mit leichtfüßiger Distanz, hält ihn in seiner Prätention für eben jene Wurst, die Redundanzen am laufenden Bann produziert, um zu beeindrucken. [...] Hong Sang-soo zeigt also in ausgiebiger Beobachtung die Lächerlichkeit jener inneren Deutung am Beispiel seiner eigenen Berufsgattung, die sich gerne liebenswerter Ticks und Eigenarten zur intellektuellen Multidimensionalität hingibt. Das psychologische Spiel treibt einen Schabernack, der sich unabhängig von seiner Ausgangslage durchaus souverän gibt, doch im Kontext zu einem hintergründigen Lachwerk wird. [...]"


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MISTRESS AMERICA - "[...] Es ist nur allzu bezeichnend, wenn Tony davon spricht, jemand zum Lieben finden zu wollen, statt jemanden, mit dem er ständig mithalten muss. [...] Tracy will ihre Arme überall ausstrecken und die Welt umarmen, verliert jedoch im Overdrive die Bodenhaftung, auch von ihren Mitstreitern. Umso schwieriger wird es für sie, herauszufiltern, was sie jemandem gönnen darf oder nicht; wo Input und Output anfangen oder aufhören und wie sie auf der Suche nach der Zukunft noch in aller Freundschaft verbleiben kann. Kleinunternehmer haben es schwer, doch am Ende helfen sie sich immer gegenseitig – daher können Baumbach und Gerwig ihre beschwingte Komödie der Schwesternschaft auch nicht pessimistisch enden lassen. Sie sind in ihrer Aufregung doch souverän unaufgeregt und mitunter so motivierend und herzlich wie ein TED-Talk [...]"


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Und zum Schluss noch ein Neustart, der gerne auch besser hätte sein können:




PAN - "[...] Querverweise zu den bekannten und in diesem Kontext zukünftigen Figurenverhältnissen sind (Drehbuchautor) Fuchs’ größte Schwäche, doch über Langeweile muss sich niemand beklagen. Ausgerechnet in den Actionsequenzen mit erwartbarer Konklusion schaltet man jedoch unweigerlich auf Durchzug und erlebt beachtlich wenig emotionale Resonanz. Das hat durchaus mit einem Übermaß an CGI zu tun, aber auch mit einer nur oberflächlichen Ambition seitens Wright. Wenn aber etwas von ihm bleibt, dann das Pompöse, der Hang zur Ausstattung und einigen extravaganten Kameraeinfällen, die von einem effektiv geführten, doch austauschbaren Cast bewandert werden [...] Die Thematik kratzt an derselben Oberfläche wie „Wer ist Hanna?“: Sehnsucht nach Familie und Vertrauen, Glück unter unmöglichen Umständen – hier auf ein simplifiziertes Konzept geeicht, bei dem Peter unter allen Umständen an sich glauben muss. Für die Kleinen reicht es, bleibt aber natürlich mehr Mittel zum Zweck als Ansporn für ausgereiftes Storytelling. [...]"


(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)