Sonntag, 24. April 2016

Tipps vom 18.04. - 24.04.2016



DIE NACKTE INSEL - Auf diesem Planeten hat man es so oder so schwer, zu bestehen - den Sinn des Lebens gilt es sodann auch nicht pauschal zu definieren, solange globales und individuelles Verständnis im Zyklus mehrerer Ereignisse, ob nun binnen der Natur oder der Zwischenmenschlichkeit, stehen. Kaneto Shindô mag mit seiner Sicht auf „Die nackte Insel“ dementsprechend auch keine Katharsis einer bereits entschiedenen Siegernatur liefern, stattdessen dient sein Film der Beobachtung, dem Reflektieren und Nachfühlen von Verhältnissen, die allein per Sprachlosigkeit übergreifend ankommen. Der stilistische Formalismus daran ist gewiss auch streng in seiner Vermittlung oder eben schlicht konsequent, wenn er sich dabei in die karge Natur begibt, vor derer Majestät noch nicht mal kleinlaut werden will und ihre Schönheit einfängt, wobei die aus ihr entspringenden Umstände voller Unbarmherzigkeit scheinen. Zentral entscheidend dafür werden seine Protagonisten, das Bauernpaar Toyo (Nobuko Otowa) und Senta (Taiji Tonoyama) mit ihren zwei Söhnen, welche sich für ein Leben auf einer einsamen Insel entschieden haben, tagaus tagein Wasser vom Festland fürs Überleben, auch für die Ernte, per Boot in schweren Eimern transportieren.


Die alltäglichen Mühen haben Archaisches inne, lassen sich allgemein auf den menschlichen Zustand umsetzen, obgleich der Drang zur Selbstversorgung hier trotz aller Behutsamkeit im Handeln durchaus in die Extreme geht. Shindôs konzentrierte Inszenierung strahlt daher zeitweise auch Hochspannung aus, wenn die Wege vom Wasser zum Ziel um Heim und Saat lang und beschwerlich, zudem unter glühender Sonne sowie im Aufgang steiler Täler, als Balanceakt des Willens herausstechen. Der Schmerz einer eigenständig auferlegten Pflicht wird allerdings untereinander auch von Mann und Frau geteilt - die Entspannung leistet man sich auf den sanften Wellen des Meeres, im Antlitz des Flusses unserer lebenden Erde, während das Rudern an sich aber natürlich ebenso Arbeit bleibt und die pointierte Kohärenz Shindôs keine allzu kurzen Strecken suggeriert. Jenem Pro und Kontra entkommt auch der Status der Natur nicht, wenn diese als Heimatort Demut und Wasser verlangt, sogar imminent einsaugt, ohne jene menschlich daher gebrachte Faktoren aber von Vornherein erst gar nicht erblühen würde. Das Wechselverhältnis findet dabei unter anderem in Hikaru Hayashis Musikthemen Harmonie, die Figuren äußern darin ebenso ihr Selbstverständnis von Bescheidenheit, welche sich aber auch nicht dem Ego wegen von der Zivilisation ausschließt.


Man nimmt gewiss auch mehr Lasten auf sich, um die Kinder zur Schule zu bringen, missen will man es aber ebenso nicht wie die gegenseitig abgeklärte Unterstützung, Hilfe, eben dem Austausch am Miteinander. Die friedfertigen Wesen dieses Films werden zudem keine Fantasieideale, dafür bleibt Shindô auch recht elementar am Ball, keinerlei Sachverhalt zu überstrapazieren, in Details oder Spekulationen zu verlieren. Die daraus resultierende Wiedererkennbarkeit von Prozessen gibt schon reichlich Auskunft über das Wesen seiner Charaktere, über deren Glück und deren Leiden, was beiderseits gefasst aufgenommen wird, aber genauso wenig Impulse vermissen lässt, wie es eben auch den selbstsichersten Mitmenschen widerfährt. Eine Dramaturgie der Jahreszeiten spart er gewiss auch nicht aus; Regen, Hitze und Wind, an die sich das einfache Leben anpassen müssen oder Umwege finden, mal voller Stolz und Gemeinsamkeit durch die Generationen hinweg einen Vorteil aus der Natur schlagen, mal vom Unglück der gesellschaftlichen Abkopplung ins Ungewisse sowie zur Wut getrieben werden. Über allem schafft es Shindô, die bedingungslose Liebe zur Verfügung zu stellen, die sich im Rahmen seiner Gesellschaftsdarstellung noch nicht mal als romantisierter Pathos herausstellt.


Im Kontrast dazu bleibt das Aufbegehren aus der Erkenntnis des Ichs sowie dem Zweifel gegenüber jener Position hinsichtlich der Zukunft nämlich ebenso nicht ungesehen. Die Tragik in der Erhaltung des Status Quo lässt sich erkennen, allerdings besitzt es darin ebenso eine Kraft, sich innerhalb dessen in der Existenz nicht brechen zu lassen, den Weg weiterzugehen und an den Widerständen hochzuklettern, ganz gleich, ob ein Ziel in Aussicht ist. Das Fortbestehen allen Lebens ist ein kontinuierlicher Prozess, auch in der Begegnung mit dem Tode, von daher wird Shindôs Film auch keine bloße Reinforcierung vom Leistungsdruck, wie dieser Japans Gesellschaft bis zum heutigen Tage immer stärker verfolgt, sondern ein Beispiel des objektiven Gelingens im Zwiespalt aus Mensch, Natur und deren jeweiligen Bedürfnissen: Es schmerzt in seiner Funktion, aber es sind auch Verhältnisse, über die man herauswachsen kann, wenn sich die Akzeptanz daran beweist. „Die nackte Insel“ ist eben ein differenzierter Durchhaltefilm für alle Zeiten, aber fern von heuchlerischer Propaganda im Herzen der Empathie angesetzt, auf dass die Menschheit sich sowie ihre Erde unter- wie miteinander nicht aufgibt, die Schwierigkeiten dessen dennoch eben als solche beachtet. Letztendlich weiß nämlich niemand, wohin es alles führt, aber Shindô schließt Realismus und Hoffnung gewiss nicht aus.




DER AUSREISSER - Die Handhabung mit Eskapismus ist stets ein delikates Betätigungsfeld, möchte man mehr als die oberflächliche Genre-Platte bedienen oder über diese komplexe Charaktere bilden. Jene potenzielle Transzendenz pendelt auch zwischen Anpassung an den Zuschauer sowie dessen Involvierung hin und her, weshalb es besonders erfrischt, wenn ein Regisseur wie Alain Guiraudie seinen „König der Flucht“ (frei nach dem Originaltitel) mit Leichtigkeit zu einem Balanceakt verleitet, der bereits in der Erscheinung mehrdeutige Werte einnimmt. Armand (Ludovic Berthillot) verkörpert als knapp 40-jähriger Landwirtschaftsverkäufer Imposanz und Zerbrechlichkeit zugleich, könnte mit seiner Statur alles niederschmettern und ist doch zart, ehrfürchtig, keineswegs immer Herr der Lage und, „um dem Ganzen die Krone aufzusetzen“, dem männlichen Geschlecht zugetan. Regisseur Guiraudie baut dabei (auch ganz seinem „Der Fremde am See“ entsprechend) weder auf Sensationalismus noch auf externer Emotionalisierung auf, wenn er Sexualität und andere charakterliche Umstände im Wirken ihrer selbst zeichnet.


Stattdessen verinnerlicht er die Schlichtheit, schaut entgegen dem Gefälligkeitsdrang eines konventionellen Narrativs auf die Zwischenstationen binnen Reflexion oder Alltagsbelanglosigkeit, um durch elliptische Montagen und Eigenwilligkeiten menschlichen Umgangs zum Verständnis sowie durchaus absurde Pointen zu gelangen. Jene Kontradiktionen spielen eben auch mit dem Realitätsverständnis, sobald sich Armand in eine Situation verliert, in welcher er als Retter und Liebhaber der 16-jährigen Curly (Hafsia Herzi) zunächst in eine überspitzte Traumlogik einsteigt, welche einmal aufgelöst wird, sich im Verlauf aber immer wieder ankündigt und kleine Portionen der Abwegigkeit liefert, wie es dem Charakter eben auch entspricht. Selbstzweifel gegenüber dem gesellschaftlichen Rahmen sind bei Armand von Vornherein gegeben, Guiraudies Inszenierung schnitzt sich daraus aber gewiss kein kathartisches oder sadistisches Sozialdrama, zieht stattdessen das Harmonische binnen dem Konsens konträren Situationen auf. Obwohl Curly (nicht ihre Darstellerin) beinahe noch ein Kind ist, besitzen ihre Sexszenen mit dem älteren Alain also keinerlei Schockfaktor, genauso wenig, wenn er sich mit einem 70-jährigen vergnügt.


Der Film sieht darin eben ausschließlich Menschen, gleichsam wird Pathos durch Handlungselemente verhindert, welche dem Antagonismus von Polizei und dem Vater Curlys beinahe übernatürliche Kräfte verleihen, die sie nie adäquat nutzen, ehe dann noch die Saat der „Bumswurzel“ ins Spiel kommt, mit welcher die Potenz stets auf den Siedepunkt steigt und brenzlige Situationen zum richtigen Zeitpunkt aushebeln lässt. Die Norm der Rettungsfantasie zwischen Armand und Curly bleibt dabei bestehen, wirkt durch Guiraudie und Darsteller natürlich authentisch, die Konsequenz dessen sagt aber nicht nur etwas über die eigentlich tieftraurige Verlorenheit Armands aus, sondern auch über den Bezug zu Medien, Geschichten allgemein, eben Zwischenmenschlichem in jeder noch so etablierten Form. Es steht zur Debatte, wie das Universelle der menschlichen Erfahrung im Allgemeinen aufgenommen wird und prägt, dass sich Individuen nach vorbestimmten Idealen oder gleichsam vorgeformten Alternativen sehnen, bis Entscheidungen von ihnen gefordert werden, ob nun von außen oder von innen, bewusst oder unbewusst.


Armand und Curly theoretisieren beidesamt um ihre Zukunft, können selbst mit Generationen übergreifender Erfahrung keine festen Wege festmachen, sich in der Abwägung der Aussichten - zudem gegen Gesetz und Patriarchat - dennoch einer schlussendlichen Unvereinbarkeit ausgesetzt sehen (wohlgemerkt nicht im beiderseitigen Einverständnis). So tief die Betrachtung zu Wegen, Umwegen wie Sackgassen der Sozialität hier gehen, so leicht kann Guiraudie sie aber einfangen, abseits der Erwartungen in sommerliche Irrwege führen und aus dem Stand heraus auf Empathie wie wonniges Chaos hinweisen. Ungewissheit darf hier ruhig gewöhnlich, Gewissheit auch ungewöhnlich sein, beide können Varianz erlernen und genießen, ohne ein endgültiges Urteil aussprechen zu müssen. Guiraudie lässt sich ebenso wenig auf eine Auflösung ein, viel mehr will er das Wesen seines Armands in dieser Charakterstudie über die Ambivalenzen, Differenzierungen und Überraschungen des Selbstbewusstseins erfassen. Es gelingt und zudem bewusst auch inklusive Imperfektionen in der Balance an Deutungen, Selbstverständlichkeiten sowie Surrealem, eben Wahrheit und Wunsch.




DAS TÖDLICHE DUELL DER SHAOLIN - Ständig hört man ja von der potenziellen Funktion des Mediums Film, dass es den Zuschauer in eine fremde Welt entführen kann. Wie oft schafft es jenes aber, einen zum Kindergeburtstag zu entführen? Bühne frei für „Das tödliche Duell der Shaolin“, einem von zahlreichen Martial-Arts-Schnellschüssen aus dem Taiwan der siebziger Jahre und damit von Natur aus weit verspielter als der Großteil traditioneller Shaw-Brothers-Produktionen. Nicht, dass der Genuss des einen den beim anderen ausschließen muss, doch der Appeal von Hou Chengs Film basiert eindeutig auf seiner kontinuierlichen Eskalation an Wunderlichkeiten im Rahmen eines austauschbaren Handlungsgemenges, wie es zuhauf anzutreffen ist und dennoch einige schöne Charakteristika bereithält. Letzteres muss man allerdings irgendwie mit vorgehaltener Hand angeben, verläuft der Großteil des Plots doch als Ansammlung von Kampfsequenzen, die schlicht durch permanente Exposition zusammengehalten wird. Ich habe bisher nie so recht begriffen, warum solch energisch stumpfes Filmverständnis über die Jahre hinweg einzigartig geblieben ist und mich stets zu sich zurückgeführt hat, aber jene naive Umsetzung der Dringlichkeit ist derartig omnipräsent, dass ich deren Mittel rückblickend sogar unbewusst zu meiner frühen Amateurfilmzeit („Tong Tong und die Rache der Faustgiganten“) anwendete.


Das sagt bestimmt eine Menge darüber aus, wie der Ottonormalverbraucher solches Filmgut empfinden dürfte, ganz ab davon ist es dennoch vollkommen legitim, für eine Genrearbeit dieser Größenordnung auf blitzschnelle Funktionalität zu setzen. Dafür werden hingegen Perspektiven frei, die im taiwanesischen Schlägerfilm ein festes Zuhause gefunden haben, angefangen beim toll verschlissenen Zelluloidlook, der schon von Geburt an Zerbrechlichkeit wie Alter vermittelt und sich einem wie eine von weit her gereiste Schatztruhe offenbart. Gleichsam ist die inhärente Darstellung des Erbes einer Kultur jenseits des Westens ein Reiz, in den man sich dank naturgebundener Panoramaeinstellungen gerne hinein verliert. Praktisch gedacht, geht es für die Filmemacher hier durch Paläste, von Tälern umgebene Dörfer und urige Nadelwälder, Gebüsche und Baugruben, eben alles, was in nächster Nähe als Abenteuer vergangener Jahrhunderte herhalten kann - selbst der botanische Garten mit Zaun und Ansichtskarten, im Schatten vom Pavillon ruhend. Amateurfilmer denken auch nicht anders, wenn sie die Liebe zu ihrer vertrauten Umwelt einfangen wollen und gerade wenn die narrativen Qualitäten zu wünschen übrig lassen, wird einem die Atmosphäre geradezu mühelos als willkommener Begleiter beigebracht, muss man Hou Cheng anrechnen - erst recht im Vergleich zu einem Hsiao-hsien Hou, der sich in „The Assassin“ dieselbe Wirkung anhand flüsternder sowie verästelter Prätention erhoffte.


Vor allem aber auch, weil Hou Cheng Stationen des Wahnwitz versucht, die innerhalb des kulturellen Spektrums ihren Ursprung haben, in der Umsetzung freilich abenteuerliche Züge des Trivialvergnügens unternehmen. Magie ist das Schlüsselwort im Kanon einer Rache, die von Rebellen aus gegen das Kaisertum arbeitet. Jenes leitet der Steuern wegen Massaker ein und so kommen die Cousinen Yu Liang (Doris Lung Chun-Erh) und Lu Szu Liang (Chia Ling) Jahrzehnte später zurück, um den Mord an ihrer Sippschaft mit angelernten Kung-Fu-Kräften zu sühnen. Die gehen gewiss aber weiter als es irdische Physik erlaubt - aus dem Stand heraus auf Dächer zu springen, ist da noch die geringste Attraktion. Die Entschlossenheit, die sie dazu gepachtet haben, bringt ihnen im Gegenzug eine gnadenlose Jagd entgegen, bei welcher Carter Wong kräftig als Unterstützer mitmischen darf. Bunter wird es aber fast noch beim Kaiser selbst, dessen Sicherheitsmänner Zorn mit Regenbogenuniformen verknüpfen, während er die kämpfenden Gorillas zweier Geister mit ellenlangen Zungen für sich gewinnt. Das Kräftemessen dazu, im Verlauf eigentlich die irrelevantesten Szenen ergebend, tut sich dann auch keinen Zwang an, unter Tannen die Puppen tanzen zu lassen, auf dass die filmische Verstrahlung sodann noch auf leichtem Fuße und eben mit kleiner Summe verzückt.


Yu und Lu Szu definieren sich ebenso anpackend binnen Stadtmauern, sobald sie in den Palast eindringen wollen, müssen aber erst mal Pläne per Infiltration geschmiedet werden. Also bietet man sich undercover als Hofdamen an, um Fallen kennenzulernen, den Monarchen gar im Bett zu erdolchen, doch da wäre der Film dreißig Minuten zu früh zu Ende. Wäre ja gelacht, wenn ein Werk jener Gattung ohne Längen auskommen könnte, zumindest gesellen sich im Kampfgetümmel einige sehr merkwürdige Eindrücke (Glubschaugen inklusive) dazu, während Support sowie Aufopferung unter Cousinen die empathischen Spitzen des Films finden und die Intrigen des Kaisers verspielte Theatralik (und farbige Rauchwolken) an den Tag legen, als sei er der Regisseur selbst. Am schönsten kreuzen sich jene Wege im Kampf zwischen Yu und den Gorillas, wenn die kleine Kampfgöttin flink gegen die absurden Gegner zu bestehen versucht und die Kamera dies so selbstverständlich binnen klobig goldener Kulissen einfängt, dass man sich zur Aufregung als Kind zurückgeführt fühlt. Will man denn je erwachsen werden, wenn das Blut schließlich in Fontänen aus Gorillaschädeln spritzt und unsere Damen dabei unmöglich in der Luft hängen bleiben? Zumindest für die knapp 80 Minuten Laufzeit kann man gerne drauf verzichten und stattdessen den Wohlfühlfaktor im Eastern-Märchen aufsuchen.




DÄMONEN (DÉMONI 2) - Es ist schon bemerkenswert, wie Démoni 1 & 2 hierzulande von ihren im jeweiligen Narrativ behandelten Medien quasi entkoppelt wurden. Der erste über die Horrormär im Kinosaal kam als Nachzügler in die Videothek, der zweite hingegen durfte initiativ die Leinwand einnehmen. Dabei kommt das höllische Grauen dieses Mal aus dem Fernsehen, eben die nächste Generation an audiovisueller Vermittlung und auch auf narrativer Ebene eine genuine Fortführung. Doch genug der hiesigen Umstände, schließlich ist Lamberto Bava für diese höhere Stufe an Erreichbarkeit auch weiter in den Norden, nämlich nach Hamburg gezogen. Die Bedrängung und gesellschaftliche Teilung durch Mauern hat hier gewiss weniger Gewicht, dennoch stellt sich vor Ort The Tower als Ersatz vor, ein Kristallschloss der Gemütlichkeit, das Wohnkomplex, Fitness-Center, Party-Butze und Familienherberge des Mittelstands in sich vereint. Aus freiwilligen Stücken hat man sich sogar doppelt beschichtetem Panzerglas beholfen, wenn man denn schon den schier unsicheren Zeitgeist der Achtziger geradezu omnipräsent in den Knochen spürt - wahrscheinlich auch als böse Welle aus Berlin (wohlgemerkt nach Tschernobyl) vernimmt, wie es das Intro beschwört -, also ist auch hier die Konzentration des Horror-Genres nicht weit. Schließlich ergibt man sich dem Blutregen nicht mehr im kollektiven Rahmen der Kinoerfahrung, sondern in privaten Zellen, welche ihre Dosis Schrecken über Satelliten empfangen, sich in heimeliger Gesellschaft umso losgelöster an die Passion zur fiktionalen Brutalität machen.


Dabei scheint der Film-im-Film jedoch ein echtes Sequel zu vorangegangen Ereignissen zu sein, jene Postapokalypse wird aber mit vergnügter Selbstverständlichkeit sogar noch dichter ans reale Geschehen montiert. Sicherlich nicht von ungefähr dem Produzenten und Koautor Dario Argento geschuldet, schwingt sich da bis zum Ende hin das Pendel der extremisierten Satire ein, so wie die Grenzen zwischen Welt und Medien hier verschwimmen, um das Böse auf der Erde herauf zu schwemmen. Die Zeiger weisen ohnehin abwechselnd auf „Parasiten-Mörder“ und J.G. Ballards „High-Rise“ hin (Bavas Inszenierung übertrifft sogar die von Ben Wheatley), finden in den Zwischenräumen aber noch weitere Verweise auf kontemporäre Genre-Ausbrüche, von „Evil Dead“ über „Nightmare - Mörderische Träume“, „Videodrome“ bis hin zu „Gremlins“. Eigentlich nimmt Bavas Film auch „Stirb Langsam“ vorweg, wenn man so will, die Anleihen am Desasterkino sind ebenso nicht von der Hand zu weisen, doch jene Orientierung am straffen Hochhausreißer als Eskalation der Gesamtgesellschaft lässt Argentos Faszination mit dem 1978 von ihm betreuten „Zombie“ George A. Romeros noch stärker als beim Vorgänger durchscheinen. Es wird gleichsam finsterer, wenn das Überleben schon vom Eigenheim aus einschlägt, Familien und Jugend vom Teuflischen bedroht werden, welches die kalten monochromen Korridore als Hölle ohne Ausweg zusammenrücken lässt.


Da werden selbst die Punks im Vergleich zum Erstling zur uninvolvierten wie zahmen Nebensache, wenn es hier vom Dach bis in die Tiefgarage brutzelt. Ohnehin gehen viele Personalstränge aus reinem Impuls im Fegefeuer ein, ausgerechnet „Panic“ von The Smiths gibt in vielerlei Hinsicht schon ein frühes Vorzeichen für derartig grausiges Chaos auf der Tonspur ab. Vorerst aber erhalten die Beispiele an Kids und Teens jener Ära ihre flotten Sprüche und bunten Freizeitbeschäftigungen, wobei das verwöhnte (?) Geburstagsmädel Sally (Coralina Cataldi-Tassoni) eher giftig an den eigenen Idealen abprallt, sodann als Erste dem Reiz der Hölle erliegt. Die anderen Zweige im Ensemble kommen sodann durch Löcher an ätzendem Dämonenblut zusammen, wie sie ohnehin allesamt den surreal wirksamen Grusel im Fernsehen verfolgt haben - stärkere Charakterwerte jenseits der Oberfläche bleiben stets wie schon wie bei Teil Eins aus. Zumindest das sympathische Physikstudentenpärchen Georg (David Edwin Knight) und Hannah (Nancy Brilli) erwartet ein Baby im Dickicht von Neon-Reklameschildern, hat jedoch Bock auf Kuchen. Auf dem Weg dorthin verschlägt es Georg in einen festsitzenden Fahrstuhl vom bewährten Formate „Abwärts“, durch weitere urige Umstände bekommt Hannah auch Besuch von einem Mini-Dämon, dessen Geburt in der Abtreibung ihren Meister an Verrücktheit findet. Die italienische Crew spekuliert sich mal wieder eine Menge zusammen, u.a. Säure in der Wohnung, warum auch nicht?


Genauso merkwürdig geht es dann im Fitnessstudio im Keller zu, wenn Bobby Rhodes als Gym-Coach alle Hilfssuchenden (unter ihnen: eine junge Asia Argento und Antonio „Supersonic Man“ Cantafora) zur Verteidigung der Tiefgarage gegen die Mutierten aufruft. Die krasse Zerstörungswut in jenem Szenario lässt jede mögliche Katharsis aber flach fallen, ohnehin besitzt Lamberto Bavas Film eine recht unstete Dynamik, die sich dem Vorgängerfilm gegenüber weniger am erheiternden Rockcharakter in Bewegung setzt, stattdessen die Anti-Euphorie eines Albtraums umsetzt, in welcher Freundeskreis, Kinder und Eltern binnen der Miete in Stücke gerissen werden. Das schleimige Action-Abenteuer daran geht gewiss nicht verloren und zum Ende hin macht der „Dawn of the Dead“ sogar noch den Weg für die Liebe frei, doch gerade dann begibt man sich nochmals in einen bizarren Schlagabtausch an Einschaltquoten zwischen Hoffnung und Terror, leuchtenden und blinden Augen. Die Ungewissheit wird am Phantastischen jedenfalls nur bedingt exerziert, solange die Monolithen der gesellschaftlichen Einmauerung ähnlich der „Night of the Hunted“ Jean Rollins noch um unsere obskur etablierten Protagonisten stehen bleiben.




THE FIRST AVENGER: CIVIL WAR - "[...] Die Belanglosigkeit rührt aber nicht von einer unausgegorenen Charakterzeichnung, sondern einem lückenlos altbackenen Erzählkino, das Zwischentöne und Ambivalenzen der Anbiederung halber eliminiert und die Inszenierung auf Autopilot fahren lässt. Womöglich fühlt es sich auch deshalb an, als würde der Film ein und dieselbe Szene hundert Mal durchkauen, um ein Narrativ zu ergeben. In dieser einen Szene steckt aber genügend Potenzial, um die Fantasie des Superhelden, seine Verantwortung, Reuegefühle und Pflichten zu erforschen [...] Die besten Momente entstehen allerdings gerade dann, wenn die Russos direkt Schmerzen daraus ziehen, den intimen Kampf konzentrieren, sprich die Muskeln spielen lassen. [...] Was seit jeher überzeugend wie unterhaltsam über allen Zweifeln thront, ist Downey Jrs Verkörperung des Tony Stark, der die moralischen Fragen des Vigilantismus mit energiegeladenem Feingefühl vereint und sie am meisten abkriegt; weit mehr als Captain America und dessen Freunde. Diese haben lediglich ihre unverbesserliche Ideologie singulärer Entscheidungsgewalt der Verbrüderung halber anzubieten [...]"



(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)

Sonntag, 17. April 2016

Tipps vom 11.04. - 17.04.2016



WILD - "Dort wo man fickt und kackt, lässt man es auch brennen. [...] So schön die Fantasie eines Wolfs im eigenen Heim auch erscheinen mag – Kraft, Fleischeslust und Lebendigkeit sind der pure Bombast des Primitiven für Anjas einst stillgelegte Welt, die aus jenem Biest die ultimative Selbstentdeckung schöpft. Anteile von Exploitation im Körperbewusstsein spielen da gerne mit, wenn es eine Einheit mit dem Gesamtbild Charakter fördernder Entkopplung ergibt, die das intensive Verständnis zur Natur als profund euphorisiert. Irre sein ist hier sexy und ohne heuchlerischen Pathos für eine Wilde aufgeschlossen, die Fell, Dreck, Blut und rohes Fleisch gegen den trostlosen Horizont aufbietet. [...] Das Bekenntnis zum Eigenen bringt Laune, Lust und Fieber [...]"



(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)




DER FLUCH DER SCHWARZEN SCHWESTERN - Die Nacht hat diesen Film verdient. Regisseur Joseph W. Sarno mag im lupenreinen Erotikfilm aufgeblüht sein, doch hiermit konnte er sich auch als Surrealist bescheidener Mittel beweisen, wie es beinahe zeitgleich auch Jess Franco und Jean Rollin vorzeigten (Werner Herzogs „Nosferatu“ hat später insofern nochmal einen draufgesetzt). Jene Vergleiche kommen nicht von ungefähr, so wie sich „Der Fluch der schwarzen Schwestern“ in finsteren einsamen Gemäuern der Lust der Vampire hingibt. Die Sinnlichkeit von geballtem Backstein im gedämpften Zwielicht, Nacktheit sowie Blutdurst gelangt dabei zärtlich, langsam ansengend, zu jener Destination. Sarnos Sex mit dem Genre ist nun mal intensiv veranlagt, will Umgebung und Nähe spüren, im soften Spektrum schon explizite Ekstasen erschaffen. Wie sich das bewerkstelligen lässt? Nun, indem vielerlei vom Regelwerk gewöhnlichen Filmemachens ins Gegenteil verkehrt wird. Sein Prozedere lässt sich wie ein Kaugummi lasziv zwischen Zahn und Zunge ziehen, ergibt sich streng komponierten Einstellungen binnen einer Art Schlafstarre, die zudem von elliptischen Schnittmustern sowie dem Aussetzen reeller Logik getragen wird.


Nicht, dass letzteres bei einer Filmerfahrung dieser Art besonders von Bedeutung wäre, verschärft es doch den Eindruck vom Wandeln im Traum oder eben der Trance der Vampire. So erlebt man auch das Ensemble wie in einer Hypnose, abgekoppelt vom Alltag, gefangen in den Augen einer omnipräsenten Verführung, für welche sie wie in permanenter Ehrfurcht scheinen, Impulse ausschließlich per Körperfleisch oder Zahnspitzen verwirklichen. Es hilft da gewiss auch, dass die Darsteller beinahe vollständig aus dem deutschsprachigen Raum stammen und in englischer Sprache agieren - übrigens eine der seltenen Gelegenheiten, in denen man Ulrike Butz, Nadia Henkowa, Claudia Fielers und andere Ikonen des teutonischen Sexfilms im O-Ton vernehmen kann. Nur ihre Beschwörungen sind in hiesiger Sprache vorgetragen und sogar derartig befeuchtet, wie es im Kontext kalter Schlossburgen einen allzu reizvoll wilden Kontrast ins Infernale abgibt. Phallussymbole finden sich sodann auch im Feuer der Kerzen, bei individueller wie gegenseitiger Masturbation,wieder. Die Natur flammt hier des Nächtens auf, wenn Erotik eben zum Urtümlichen, zum geheimen Ritus unbändiger Weltmacht erhoben wird.


Sarnos Exzess schielt dabei gewiss auf das Fieber von Penetration und Reibung, gleichsam wirft er ihn nicht mit Zynismus oder Klamauk zusammen, sondern akzentuiert das Stöhnen, legt ein betörend an- und abschwellendes Streicher-Thema unter seine Szenarien, welche dem Willen der Hormone nach wie ein Funke zwischen den Zeiten springen. Das (überwiegend weibliche) Fest von Schönheit und Zweisamkeit wird auch zur Machtprobe, bei welcher das Irdische mit Müh und Not dem Drang ausgeliefert ist, die permanenten Wallungen ihrer Geschlechter zu befriedigen, wenn es nicht bald sein Blut oder das anderer Gefangener freilegt. Die Lebenssäfte sollen in vielerlei Hinsicht fließen, dafür muss der traditionelle Bund der Moral brechen, der die Triebe stets zu geißeln vermag. Die erste Instanz der Opfergabe stellt da die Paarung von Helga (Marie Forså, immens aktiv!) und Peter (Nico Wolferstetter) dar. Die Schwester von letzterem, Julia (Anke Syring), stellt sich schon als Schutzpatron der Geschwisterliebe gegen die blonde Jugend Helgas, bald gegen die Macht der Vampirschwestern über ihren Bruder, obgleich sich ihre innigsten Wünsche mehr um ihn reißen, als sie ihrem vertrauten Realitätsverständnis zusprechen möchte.


Als Vertreterin der Wissenschaft wird sie hier jedoch Zeuge des Unwirklichen, des blutroten Schleiers im Kollektiv der Seelen Luzifers über die Schlossmauern hinweg. Warum sonst würde sie denn solange an jenem Ort verharren, obgleich die kleine Reifenpanne an ihrem Wagen nur eine Nacht Rast bedeutet hätte, wenn sie den Reiz der Dunkelheit, das heimliche Fantasie-Ausleben binnen einer Abkopplung vom Reellen, nicht stets aufs Neue erleben möchte? Das Tageslicht ist gewiss nicht oft anzutreffen, stets lediglich als Diskurs für die nächste Runde im Dunkeln angesetzt, während das wachsame Auge von Wanda Krock (Nadia Henkowa) in Begleitung omnipräsent die Unvermeidlichkeit der Blutnacht ankündigt. Wie sich diese dann auch entfesselt: Der Rhythmus von Brüsten, Hüften und Beats führt allesamt zum Keller der freien Liebe an, auch angetrieben vom Erbe weit zurückliegender Jahrhunderte, in denen Baronessen ungezügelten Hedonismus anstachelten. Jenem übernatürlichen Bann zu widerstehen, ist schon für Sarnos Charaktere eine schwer zu meisternde Aufgabe, so wie selbst Fledermäuse im Angriff Knutschgeräusche von sich geben und Kleider abreißen, auf dass das Koma in den Matratzensport (inklusive suggeriertem Aderlass/Samenerguss/Lubrikation) hinein die Konsequenz schlechthin wird. Wie soll das erst der Zuschauer reflektieren?


Es hat auf jeden Fall mit reichlich Entspannung, Verwunderung und Bewunderung zu tun; das Fließen in Kulissen und Situationen gelingt einem REM-Schlaf ähnlich mit der Sehnsucht zum Sinnlichen. Und Spoileralarm: Erotik erregt! Gleichsam wird das Absurde Herr über dem Geschehen, ein Knoblauchkreuz die letzte Verteidigung vor dem Fall ins tiefe warme Loch der Weiblichkeit. Eben ein mickriges Argument gegen die Unwiderstehlichkeit von Haut an Haut. Zusammen mit der spärlichen Drehbuchsprache sowie der Grundnaivität vom Horrormärchen fern der Zeit ist der Spaß also nicht weit entfernt. Er ist aber auch nur eine weitere Komponente für den Genuss der Verführung, den Sarno in der Grenzenlosigkeit tiefstem Schwarz konzentriert und so still zelebriert, wie er den Film sowohl beginnt als auch beendet. Der Traum ewiger Lust scheint dabei letzten Endes zu versiegen oder eben dem Genre-Topos gemäß als Katharsis der Austreibung stehen zu müssen, doch zum einen hat Sarno für die Befreiten weder Hymne noch Erleichterung übrig, zum anderen findet er in der Eruption des Blutes den größten Aderlass des Films, somit einen Orgasmus übermenschlicher Sorte, wie man ihn nimmer missen will. Und dieses furchtbar unterschätzte Delirium von einem Film sollte man auch nicht missen.




STROMBOLI - Dem Thema begegnet man in der Weltgeschichte wohl häufiger, nicht ohne Grund oder Effekt: Kriegsflüchtlinge. Ingrid Bergman verkörpert hier für Roberto Rossellini sodann eine unfreiwillig Umherreisende nach Ende des zweiten Weltkrieges, Karin, welcher anhand bürokratischer Umstände nicht die Chance geboten werden kann, zu ihren Ursprüngen oder Wünschen eines eigenständigen Lebens zurückzukehren. Daher muss sich die Kämpferin aus Zwang mit Notlösungen zufriedengeben, in aktueller Lage bedeutet dies: Liebe durch den Stacheldraht, sprich die Hochzeit mit dem italienischen Soldaten und Fischer Antonio (Mario Vitale). Die Rückführung in die Zivilisation birgt jedoch nicht die optimalsten Verhältnisse, so wie er sie auf eine verschlafene Insel mitbringt, die zudem stets den Ausbruch eines Vulkans befürchten muss. Karins Odyssee wird kein Ende nehmen, bei der Niederträchtigkeit einer heimatlichen Mittellosigkeit steht ihr deutlich die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Rossellinis daran entspinnendes Melodram hat mit einer Verfolgung ihrer Unruhe durch die Kamera schon früh ein empathisches Ass im Ärmel, die musikalische Begleitung von Bruder Renzo schaufelt ebenso die Schicksalspein auf. Jene Faktoren werden im Verlauf nämlich ausschlaggebend für ein ambivalentes Beziehungsbild, das im Zusammenwirken zwischen Karin und ihrer neuen Heimat Konflikte heraufbeschwört.


So macht sie ihrem Antonio impulsive Vorwürfe, spricht ihre Unzufriedenheit offen aus und gestaltet seinen Haushalt nach eigenem Willen um, was im konservativen Blickwinkel der Ära gewiss keine Selbstverständlichkeit binnen der Pflichten einer Ehe darstellte, womit sich auch die zahlreichen Skandale um den Film zu seiner Zeit erklären lassen. Ohnehin schafft es Karin auch trotz aller Bemühungen nicht, sich anzupassen, bescheiden zu bleiben. Angesichts Antonios naiv liebevollem Gestus mag man ihr da einen Anstrich von Undankbarkeit anerkennen, im Gegenzug ist ihr das Klima teilweise vollkommen grundlos böse gesonnen, was die Spannungen der Lager gewiss ergänzen lässt. Die Frauen im Dorf, selbst Kinder, verweigern ihr das Gespräch, als „Fremde“ passt sie offenbar schlicht nicht hinein und selbst Antonio muss ihrer bloßen Anwesenheit geschuldet unter dem Druck der Gemeinschaft leiden sowie weniger verdienen, was ihn aber nicht von seiner Liebe abbringen kann. Es gibt für sie eben auch nicht nur Feinde auf der Insel, allen voran der einheimische Priester (Renzo Cesana) probiert die Motivation zur Hoffnung und zum Verständnis, doch obgleich das Geistliche hier stille Güte ausstrahlt, weiß Karin um den geringen Einfluss Gottes, wenn dessen Kreaturen sich in ihren Vorurteilen scheinbar verschworen haben.


Der Kochkessel des Eilands ist eben auch Teil der Erde und da lässt Rossellini ein breites Spektrum der Menschheit im Gleichnis repräsentieren, wobei er kritische wie objektive Reflexionen zum Handeln Karins aufstellt. Für die Frau wird es nämlich nicht besser, einer kathartischen Einsicht à la Leinwandtauglichkeit kommt sie ebenso nicht nahe, im Gegenteil: Auf der Suche nach einem Ausweg ins Individuum wird das Ehegelübde nur zur weiteren Hürde, welche sie folgerichtig stärker zu umgehen versucht. Gleichsam bleiben ihre Versuche in die Eingliederung nicht ungesehen, wobei diese einer ländlichen Rohheit ausgesetzt werden, mit der eben nicht jeder zurechtkommt. Es wird immer irgendwo schmerzen, ob nun das niedliche Frettchen ebenso süße Karnickel am Nacken packt oder die glückliche Gunst der Fischerei massiv sterbendes Fleisch ins Boot schleppt: Die Wunder der Natur sind aufregend und grausam zugleich, dementsprechend betrachtet Rossellini seine Eruptionen zu Wasser und zu Lande, wenn der Vulkan Magma und Rauch freilegt, so, dass für Karins Wesen nimmer Frieden herrschen kann. Der Bund durch eine Schwangerschaft verschärft die Lage umso mehr, der Diskurs wird immer unausweichlicher, gleichsam strenger abgewürgt.


Karin wird harsch und die Natur bietet ihr Paroli in der versuchten Flucht, wie viel Barmherzigkeit kann da noch überleben? Rossellini befindet sich ebenso im Zwiespalt, wie er seinem Neorealismus in solcher Krise antworten kann und will, wenn er sich denn solch einer Pflicht in der Funktion als Regisseur bewusst sein möchte. Sein polarisierendes Werk wird symptomatisch davon gezeichnet, inwiefern man Karins Blessuren nachempfindet oder schlicht im Frust erlebt, wie viel Einfluss die Parteien aufeinander im Guten wie im Schlechten ausüben, wann der Zwang der Anpassung und wann die Zusammenkunft zum Gemeinschaftssinn anfangen. Bei den Fragen verliert man schließlich den Kopf, wenn die Urgewalten über einen einstürzen und der Qualm die Zukunft verbirgt. Sind wir ihm jemals entkommen?




DÄMONEN "2" - Das Kino als Ort der Konfrontationen, mit Furcht als Verführer des eigenen Ichs agierend, man, wie herrlich brutal und bunt das ausarten kann! Wer schon „Im Augenblick der Angst“ vom Einfluss der Leinwand übernommen wurde, kriegt mit „Dèmoni“ ebenso einen Terror serviert, der einen im Sessel anspringt und aus Spaß das Sitzfleisch (sowie den Rest des Körpers) verschlingt. Lamberto Bava schließt sein Ensemble an, ich nenne sie mal aufgestumpften, Typen und Mädels schon von Vornherein in der Festung Berlin anno 1985 ein, da werden die übernatürlichen Mauern des Kinos die allzu selbstverständliche Zugabe. Nichtsdestotrotz ist der Ausbruch aus der Hölle anhand eines Mediums durchaus ein universelles Werkzeug Luzifers, von daher wirken die letztendlichen Fratzen der Besessenheit entsprechend altbacken und grotesk im Horror-Genre verankert, woraus sich der Film folgerichtig eine Gaudi erschafft, in der Blut und Schleim wie aus Geysiren suppt. Da braucht es nicht mal stark ausgeprägte Protagonisten, Studentenmaus Cheryl (Natasha Hovey) erhält im Intro aber schon die visuelle Charakterbildung anhand einer Verfolgung durch Visionen binnen einer hingenommenen Gefangenschaft im U-Bahnzugabteil. Das Böse darf sie und ihre Freundin sodann sogar zu weiterem Unheil einladen, wenn ein Gratis-Kinobesuch in Aussicht steht.


Die Jugend will hier eben leben und feiern, mit dem Ansatz packt Bava nicht nur die Zielgruppe, wo er doch sodann auch mehrere Fraktionen des allgemeinen Kinogängers repräsentiert oder sich nochmal ganz spezielle Figuren ausdenkt. Allen voran sei da Bobby Rhodes als Zuhälter Tony genannt, der nicht nur die markigsten Sprüche besitzt („Wir müssen diesem üblen Horror ein Ende machen“ - deklarativ wie jeder Dialog in „Dèmoni“), sondern auch am kompetentesten entscheiden kann, sobald die Katastrophe aufbricht, ehe er jedoch ebenso verspeist wird. Im Kontrast dazu sind die Teens schon vorher eine Einheit aus Unerfahrenheit, Draufgängertum und Anmachsprüchen im 80's Fell, naiv und frech zugleich ganz vorne am Parkett dabei und doch stets die Augen zuhaltend, wenn's mal zu blutig und gruselig wird. Die empathische Beobachtung zum Leichtsinn trifft sodann auf die Verkettung von Medium und Realität, als der dämonische Spuk parallel nach Blut dürstet und allesamt wild durch die Reihen tanzen sowie schreien lässt. Die Zerstörung des Projektors muss daherkommen, während man sich einen Film darüber anschaut - jene Metaebene leitet sogar ganz gewitzt die Pause in der italienischen Originalfassung ein, wo man doch umso gespannter die zweite Hälfte des Cine-Wahnsinns erleben möchte.


Die Hypnose der Bilder, sie reizt selbst in einem derartigen Splatterreigen zum Vergnügen. Als Beigabe gesellen sich sodann noch taffere Jugendgruppen dazu, eben Punks mit Koks in der Coke-Dose, die sich sehr stimmig mit den Hardrock-Nummern des Soundtracks ergänzen, Beleidigungen erster Güte untereinander austeilen und bei der Flucht vor den Bullenschweinen ebenso im Saal des Todes landen. Ganz gleich wer sich ihm in den Weg stellt, gibt es kein Pardon vom Grauen, das auch noch extrem verschärft mit leuchtenden Glubschern durch die Gegend rennt, als wäre es wieder Zeit für die „West Side Story“. Allmählich kristallisiert sich auch ein entsprechender Romeo-&-Julia-Hinweis raus, wenn Final Girl Cheryl mit dem blonden Hünen George (Urbano Barberini) zusammenkommt, während andere Paarungen nicht so glücklich ausfallen, sie hingegen sogar mit einem Motorrad Dämonen zersäbeln. Auch wenn da die schwierige Verantwortung vor verwandelten Freunden sowie deren unvermeidliche Zerstörung mit inbegriffen ist: Ist doch schön zu wissen, dass sich Leute eben im Kino finden können, selbst beim krassesten Eskapismus, den man an sich heranlassen wollen würde.


Um jene Punkte miteinander zu verknüpfen, fehlt es Lamberto Bava mitunter etwas an Tempo und Dringlichkeit, was er mit ausgezeichnet bunten wie kargen Texturen in Architektur, Nachtleben und Blutgekröse zu kaschieren versucht. Dem Ganzen geht in Hälfte Nummero Zwei deutlich die Luft (ebenso Charaktere und Sprüche) aus, doch es wäre falsch zu behaupten, er könnte zum Schluss nicht doch nochmal mit einigen abwegigen Einfällen überraschen - sei es jener des Helikopters oder der Aufbruch einer urbanen Apokalypse mit Twist-Effekt, wie eh und je so abenteuerlich und brachial unterwegs, dass die knapp 80 Minuten wie im Flug vergehen. Kino - dafür und darin werden Filme gemacht/zerfetzt.




BLUTIGE MAGIE - Okkultes vom Mario Siciliano, das kann nur eine heiße Sache ergeben, wenn sie auch beileibe nicht so ideologisch aufgeladen ist wie manch Action-Vehikel seines Gesamtwerks. Das Ungehobelte an der Exploitation holt er hier jedoch gewiss erneut ans Licht und bietet dafür Charaktere auf, wie sie im Kabinett eines 70's Comics italienischer Taktlosigkeit keine allzu schlechte Figur machen würden. Nach einer nächtlichen Exkursion in unbekannte Riten voll nackter wie schaurig schöner Eindrücke wird Hauptprotagonist Peter Crane (Jorge Rivero) hier ungemütlich aus dem Schlaf gerissen. Wo manch unbescholtenes Blatt der Zuschauersympathie normalerweise im einsamen Kämmerlein aufwachen würde, findet sich Peter als markiger Playboy zwischen einem Haufen an Betthäschen wieder, den er mit anderen Mitgliedern des Hedonismus des Nächtens in die Lust des Reichtums eingeweiht hatte. Soviel Übermut macht offenbar der Macht der Gewohnheit wegen jedoch keine große Sache draus und kommt auch ohne den Kater von Robbie Williams „Come Undone“ unter die Dusche, wohingegen eher die Visionen des Satanischen fortan den Tagesablauf Peters heimsuchen. Während das Muskelpaket also versucht, die Dates seiner zahlreichen Liebschaften abzuchecken, wird ihm auf mehreren Pfaden bewusst, dass andere seinen Albtraum teilen und dabei die Schuld vom Schatten der Vergangenheit empfinden.


So greift Peter also bei der ersten Gelegenheit eine Witwe ab, von deren Ex-Gatten er behauptet, dass dieser angesichts der Schönheit der Madame einfach nur dumm sein müsste gestorben zu sein, was alsbald zum Stelldichein auf Tuchfühlung führt. Siciliano ist eben nicht darum verlegen, die freie Liebe der Ära als Schleier für bekloppt sexistische Naivitäten zu nutzen und im Gegenzug einen moralischen Unterton im Wirbelwind der Schauwerte zu begründen, um der Zensur entgegenzukommen. Ein Spuk sucht Peter nämlich heim, der ihn im Rausch des Übernatürlichen als Mörderbestie gefangen nimmt und binnen einer Handvoll Szenarien Rache an Vertretern des gehobenen Sleaze übt, die einst adelig ihre Hände schmutzig machten. Klingt deftig, besitzt jedoch durchaus unbedarftere Qualitäten als man allgemein von Siciliano erwarten würde. So setzt er unter anderem als Kontrast zu Peter den Bullen Tenente (Anthony Steffen) auf den Fall an, der als verheirateter Kerl teils lächerlich spekulative Stichpunkte der Monogamie repräsentiert, dabei als Aktportrait verewigt wird und von seiner Frau sogar aus dem Nichts Tipps bekommt, inwiefern Metaphysisches eine Rolle in der Mordserie spielt.


Garstig kommt dann auch der Butler von Peter rüber, der, soviel sei verraten, falsche Spiele mit ihm treibt und ebenso ein Scheusal sonder gleichen offenbart - kleiner wie großer Mann wetzen hier die Messer, die Geister helfen da gerne à la Rube Goldberg nach. Freunde, Experten und Psychologen um Peter sind letzten Endes auch nicht das, was sie scheinen und zu guter Letzt geraten die Ausmaße des Unglaublichen zur amüsanten Schaubudenkiste, die aus reiner Impulsivität den Schrecken stilisiert. Blasse Geister, selbstständig aufspringende Möbelstücke, aufbrechende Böden, spinnende Aschenbecher: Der Kladderadatsch bewährt sich ausgelassen an der Handlung vorbei; so hämisch und kindisch gestaltet die Leinwand einnehmend, dass es selbst Tenente im Hörsturz erwischt. Keiner weiß sich wirklich damit zu helfen, also gesellt sich Siciliano inszenatorisch auch gerne zu den Hormonen seiner zahlreich versammelten Geschlechter, die Stelvio Cipriani rhythmisch anheizt, um Voyeurismus und Eroberungsfantasien innerhalb kollektiver Geilheit unter einen Hut zu bringen. Doch selbst die heißesten Burschen kommen irgendwann auf den Reiz der einen wahren Liebe und so schleicht sich Peter nach Kommissariat und Krankenhausaufenthalt immer öfter zur Herzensdame ärztlicher Fürsorge, Sarah Turner (Pilar Velázquez).



Nicht, dass sie ihrem Frieden glücklich erliegen werden, dafür sorgt erneut Sicilianos Ungeschicklichkeit im Aufbau eines Spannungsbogens, verbunden mit Langeweile sowie der Willkür von phantasmagorischen Effekten und Subplots (ambivalente Erinnerungen an die Frau Mama mit eingeschlossen), die einige wundersam wunderliche Kohärenzen zusammenfummelt und sie im Schlussakt sodann vollständig in den Shredder schmeißt. Das wahre Glück hingegen erhält derjenige unter der Zuschauerschaft, welcher dem bunten Treiben von Killern, sexy Typen und Damen, schwarzer Magie und europäischem Sonnenstich etwas abgewinnen kann und dafür auch auf Empathie jenseits pubertärer Vorstellungen sowie sonstige Selbstverständlichkeiten filmtechnischer Etikette pfeift. Für Sicilianos Verhältnisse scheint jedenfalls eine Unschuld durch, die er in seinen härteren Beispielen des Trivialkinos mit einer Weltverdrossenheit unterband, hier jedoch für spielerischen Genre-Irrsinn Sorge trägt.




DIE UNGREIFBAREN - Gräbt man tief in den Eingeweiden des italienischen Kriminalfilms vergangener Jahrzehnte herum, kommt man irgendwann auch an Mario Bianchis unglaublichem Œeuvre vorbei (siehe ebenso „Provinz ohne Gesetz“). Der Mann war zu dem Zeitpunkt schon in anderen beliebten Genres, u.a. mit seinem Räudenwestern „Sing mir das Lied der Rache“, unterwegs, hier jedoch im Reißertum von kernigen Killern und Bullen ging er besonders charismatisch auf. Das Charisma beläuft sich dabei wiederum auf Werte wie karge Kulissen mit dementsprechend drögen Landschaften, an zynischen Sprüchen keineswegs geizende Brutalo-Typen sowie Unmengen an Spekulationen zu noch so trivialen Sachverhalten. Beispielhaft dafür, budgettechnisch unterfordert mit der Härte des Zeitgeists zu punkten, lässt sich „Die Ungreifbaren“ sodann bedingungslos empfehlen. Anhand einer Story von Koautor Claudio Fragasso („Die Riffs III“, „Troll 2“) entspinnt sich entgegen der sonst so reaktionären Auffassung zu Gerechtigkeit sogar der Faktor politischer Korruption im Genre-Konstrukt, das in seiner Charakterzeichnung zudem durchweg die Erwartungen um Gut und Böse durchkreuzt, in der Handhabung aber vielleicht nicht ganz so effektiv ausfällt wie erhofft.


Man mag das Tempo des Films an sich ungern verändert sehen, genauso wenig die abenteuerlich spröde Kameraarbeit sowie das scharf an der Überzeugung vorbei spielende Darstellerspektrum, doch sie erschaffen stockende Eindrücke sowie dürftige Effekte für einen Film, der seinen Spaß stattdessen im Brachialton einer fiesen wie kostengünstigen Comic-Variante Italiens vorfindet. Gabriele Tinti gibt da als Tony Lo Bianco (!) schon frühzeitig Orientierungstöne an, als er eine Jungfrau aus seiner Wohnung abweist, da sie ihn für den Beischlaf als zu schroff empfindet. Bald gelangt er in die Organisation von Lucien Maurice (Pino Mauro), der jedem seiner Schergen misstraut und somit auch beim Neuen Tony mit allerlei Drohungen ankommt. Vertrauen ist hier aber auch stets ein delikates Unterfangen, da die Polizei (inklusive Richard Harrison) eben Tony als Maulwurf eingeschleust hat, um den Gangstern mit unkonventionellen Mitteln in die Suppe zu spucken. Die Entscheidung dazu wird eigentlich nachgeholt diskutiert, Bianchi und seine Autoren (neben Fragasso: Antonio Cucca) lassen natürlich nicht davon ab, sie im Detail darzulegen und dabei auf Topoi und Streitpunkte der Selbstjustiz zurückzugreifen, wie man sie nur aus dem Kino kennen dürfte. Das Prozedere bleibt innerhalb dieser ca. 90 Minuten nicht einmalig.


Ab und an gibt sich der Ethos des Ensembles zudem recht locker in seiner Auffassung alltäglicher Zwischenmenschlichkeit, durch die hiesige Videosynchronisation kommt sodann nochmal eine Extraladung ulkiger Deftigkeit hinzu, die sich mit der Mittellosigkeit des Ganzen galant über die Hälfte der Laufzeit strecken kann, ehe die ersten echten Action-Szenen starten. Davor geschehen allerdings noch die interessanteren Umstrukturierungen, wenn unter anderem Gangsterboss Maurice aufgrund seiner Leibesschwäche zum Freund vom ihm helfenden Tony wird, wobei dieser ihn schließlich scheinbar genauso schätzt und dennoch insgeheim fürs Gesetz arbeitet. Gleichsam verguckt sich Tony in die Maurice-Tochter Paulette (Paola Senatore), gebraucht im Umgang mit ihr aber weiterhin Macho-Sprüche sowie Beleidigungen der taktlosesten Sorte, wobei er mit ihr letztendlich die Gerechtigkeit im System falscher Masken zu finden versucht. Zu guter Letzt gibt es dann noch Tonys Schatten, der von der Polizei als Unterstützung angesetzt wird und so ziemlich als einziger ein (im Verlauf bewusst irritierendes) musikalisches Thema erhält, Monti, genannt Der Panther (Tommaso Palladino). Daran meint man einen anstehenden Buddy-Cop-Film zu erkennen, doch obwohl die Zankereien der Beiden komische Früchte tragen, verfaulen diese bald im Angesicht finsterer Hintergründe.


Die Doppelung der Persönlichkeiten macht sich recht oft bemerkbar, sogar verbunden mit freiwilligem Prügelbezug vonseiten Tonys. Das fällt alles ungelenker aus als man es von einem professionellen Film der Ära gewohnt ist, die Sequenzen dazu ziehen jedoch einen angenehmen Bann aus Sleaze, Eigenart, Groschenroman-Dialog und Schnellschussmentalität auf, der seine brutalen wie emotionalen Spitzen beinahe schon im kindlichen Sinne inklusive Knalleffekt vorführt. Ganz bezeichnend sei dafür sodann die Entwicklung von Papa Maurice genannt, die in der Geißelung durch spinale Frakturen Spalten im Realitätsverständnis aufbricht, dass es als psychotronische (und doch ganz natürlich wahrgenommene) Überraschung für die Leinwand geradezu Vorbildcharakter haben könnte. Gleiches gilt für die im Verlauf stetig ansteigende Anzahl an weit hergeholten Unglaublichkeiten, doch Bianchi lässt die Handbremse angezogen, anstatt mit entsprechendem Elan durchzuziehen, solange er eben den taffen Poliziottesco heraushängen lassen muss. Zumindest kommen innerhalb der Tristheit einige tolle Pointen des Zynismus ans Tageslicht, die sich sogar mit einer unterkühlten Selbstverständlichkeit von Romantik anschleichen, ehe sie Blei, Schnurrbärte und Whiskey zum Friedhof auffahren lassen. Das Herz der Naivität steckt hier eben im Genre-Exkurs, da ist es dann auch nicht allzu schlimm, wenn es durchweg im Mantel des Nihilismus posiert, den es sich am Grabbeltisch eingesammelt hat.




DIE ZUHÄLTERIN - Stelvio Massi und Maurizio Merli können auch anders, möchte man in der Anfangsphase von „Die Zuhälterin“ meinen, die aus dem Schnauzbart tragenden Detektiv Wally (Merli) einen gewitzten Verbrechensbekämpfer in Latzhosen stilisiert, der sich lieber Fußball als Damen ohne Unterwäsche anschauen will (jedenfalls tut er so) und mit seiner Karre in ulkige Verfolgungsjagden gerät, die in der deutschen Kinofassung fehlten, um die Härte des Gesamteindrucks beizubehalten. Das M-Duo kommt im Verlauf aber unweigerlich zu seinen Wurzeln zurück, wobei das Intro schon als klare Ansage fungiert, so wie Merli dort in berauschender Zeitlupe ein Trio an Entführern im Alleingang nieder ballert. Fokus dieses Szenarios ist hier bereits der Schutz von Kindern, dem Themenkomplex wird sodann verstärkt nachgegangen. Vorerst dreht sich der Fall noch um die verschwundene Tochter des Wiener Millionärs Von Straben, Annaliese (Annarita Grapputo), die Wally wieder auffinden soll, um damit auch seine Miese machende Detektei wieder auf Vordermann zu bringen, wo er mit seinen Methoden doch schon längst als Kommissar ausgedient hat. Im Zusammenspiel mit seinem Assistenten leistet er sich so manch streitlustige Routine, Wortspiele und allgemein gelungene Witze, bei denen Merli mal den Sympathischen geben darf.


Alsbald führt ihn die Spur zu den Hare Krishna sowie der darin gehirngewaschenen Annaliese, die aber keineswegs an eine Rückkehr zu ihrem Vater denkt. Just im Moment ihrer Flucht wird sie jedoch von Gangstern aufgeschnappt, die mit Werner Pochath den gemeinsten aller Schurken der jungen europäischen Sleaze-Leinwand inne haben, aber nur binnen weniger Sequenzen herausholen. Sobald Wally nämlich nach Wien kommt, gedenkt Von Straben (Alexander Trojan), alleine mit den Bösen zu verhandeln und die Polizei zum Stillschweigen hin zu honorieren. Wally und sein Wiener Kollege Karl (Gastone Moschin) riechen zwar den Braten, doch in bester „Convoy Busters“-Tradition wird der Fall für einen anderen Zweig kaltgelegt, der sich Merlis Detektiv zufällig ergibt, als er einer Dame aus der Wiener Nachbarschaft zuhört, die nicht an den Unfalltod ihrer eigenen Tochter glaubt. Dafür vergessen er und der Film sogar die dringlichen Finanzen seiner Detektei, eigentlich sogar die humorvolle Ader der Charakterzeichnung, je ernster sich Wally ins Zeug legt, ein Netz an finsteren Gestalten und systematischem Kindermissbrauch aufzudecken.


Da dürfen Flirtereien mit Karls Assistentin nicht fehlen, zur Recherche auch gewiss nicht der Besuch von feschen Strip-Lokalen - und ja, da kommt schließlich Joan Collins als reiches Luder Brigitte ins Spiel, deren Hintergründe an dieser Stelle nicht weiter verraten werden (das hat der Verleihtitel schon erledigt). Der Spannungsbogen besitzt dabei eine respektable Kohärenz, selbst mit den Schauwerten wird sich entgegen der allgemeinen Genre-Haltung zurückgenommen, wenn auch Suggestion und Verknüpfungen einiger Unterweltmilieus wahrlich düstere Aussichten bereithalten. Jasmine Maimone, die in der jugendlich angelegten Figur der Renate handgreiflich wird, gibt insofern besonders schmierige Auskünfte und Mechanismen preis, aufgedeckt in Rückblenden, wie sie auch einem Massimo Dallamano angerechnet werden könnten. Ausschlaggebend für die richtige Menge an Ernst und Aufrichtigkeit zeigt sich dabei Stelvio Ciprianis überdurchschnittlicher Score, der in einer Sequenz sogar für eine der dringlichsten Momente im Schaffen Massis sorgt. Entgegen des geläufigen Image rennt sein Merli nämlich vor Gangstern weg, findet Zuflucht in einer Telefonzelle binnen eines U-Bahnhofes (inklusive „Atomkraft? Nein danke“-Sticker) und muss hoffen, nicht von Pochath und Konsorten entdeckt zu werden, was in der Licht- und Schnittdramaturgie zu einem Highlight simpler, gleichsam effektiver Spannung führt.



Leider lässt sich das nicht von jedem Krimi-Element des Films sagen, zumindest aber führt er die losen Enden seiner Fälle aber zu einem Ganzen zusammen, um daraus einige durchaus obskure wie brachiale Konsequenzen zu ziehen. Vielleicht lässt sich darin dann noch ein bisschen nachgeholter Humor vorfinden, bis dahin sowieso reichlich unvorhersehbare Pfade, die sich selbst erfahrenen Genre-Afficionados nicht auf Anhieb ergeben dürften. Was Konsistenz und Dynamik angeht, sind die Italiener mit ihren Polizeifilmen eh eigen und nicht selten gemein, was Weltbild und zwischenmenschlicher Umgang angeht. An diesem Beispiel erlebt man noch eine gemäßigte Variante von allem, anfangs zudem etwas leichtherzig, später mit Ansätzen der Betroffenheit im komplex verschnörkelten Geheimgesellschaftsbild untermalt. Eben nicht derartig von der Leine losgelassen, wie die wahren Selbstjustiz-Reißer von derselben Belegschaft - das muss ja nichts Schlechtes heißen.




DER TAG DES SÖLDNERS - Der Rolf (Antonio Marsina) hat es schon schwer, von daher wurde „Der Tag des Söldners“ im Original auch nach ihm benannt, so zentral sein Martyrium hier von Autorenfilmer Mario Siciliano aufgezeichnet wird. Fabio Frizzi stellt als Komponist durchweg eine ebenso wehmütige Ballade für den gepeinigten Helden bereit, nicht minder hoffnungsbefreit zeigt sich das um ihn entworfene Weltbild, anhand dessen dieser Actionfilm italienischer Küche und Härte arbeitet. Nach Jahren des unehrenhaften Söldnerlebens an der tunesischen Küste aufgeschwommen, bringt Rolfs gegenwärtiger Job als Fliegerkurier mühsame Plagereien mit sich, während die Polizei vor Ort ihn ohnehin auf den Kieker hat und für jede Schweinerei verdächtigt, anhand derer er ständig seine Fingerabdrücke per Kot abgeben darf. Sein einsamer Sonnenstrahl stellt Bardame Joana (Ketty Nichols) dar, mit welcher er zusammen Momente der Freiheit genießen kann, obgleich im Dialog stets die Vergangenheit beider aufgegriffen wird, welche, wie man sich vorstellen kann, recht dunkle Schatten wirft. Rolfs Schilderung zum Dasein seiner Mutter erhält von Siciliano dann auch eine rekreierende Szene, in welcher der kleine Rolf zusieht, wie sie von ihrem sadistischen Zuhälter eine Überdosis verpasst bekommt und daran stirbt. Sie liebte ihren Peiniger - und Liebe begegnet hier ohnehin mehrmals dem Sprengmeister.


Weitere Stationen des Vergangenem, wie etwa seine Einsätze in Afrika, melden sich bei Rolf sodann mit Ex-Kamerad John zurück, der in seiner ehrfurchteinflößenden Statur Rolf dazu überreden will, Drogen zu schmuggeln. Weil dieser aber gemessen an seinem Trauma mit der Mutter ablehnt (gegenüber John aber nie davon erzählt, was bei einem „Batman v Superman“ zur Deeskalation geführt hätte), kriegt er sodann die volle Härte der Überzeugungskraft zu spüren: Im Hinterhalt wird sein Körper dermaßen in Mitleidenschaft gezogen, dass er sich in quälend zähem Detail aufzuraffen versucht und dennoch im wilden Gras landet, wo er bis in die Nacht von Würmern angeknabbert wird. Sicilianos minimalistischer Kameraeinsatz zwingt den Zuschauer mit dreckiger Optik in den Bann der Schmerzen, anhand dessen Frizzis Synth-Sequenzen nur hart vorbeiknacken können, als wäre aus dem Jungen nichts mehr herauszuholen. Je enger sich im Verlauf auch die Schlinge um seinen Hals zieht, seine Wut gegenüber dem erneut aufkeimenden Hass die grausamsten Opfer hervorbringt, stellt Siciliano auch nur geringfügige Mengen an Katharsis in Aussicht, obgleich das Schicksal der Bösen, welche untereinander keine Ehre kennen, ebenso großflächig brutal erwirkt wird. Die gnadenlose Art Sicilianos kann ihr Mitleid dann auch meist nur in Stille oder in musikalischer Synthese zeigen, während die stoischen Mimen im Zwielicht endlos eingebrannter Einstellungen verharren.


An Übertreibungen mangelt es dabei nicht, der Hass setzt jedoch stets dermaßen deftig einen drauf, dass an keiner Stelle sowas wie Unterhaltungswerte oder gar Spaß aufkommen könnten - geschweige denn anhand einer Erzählweise, die ihre wenigen Szenarien aufs Maximum streckt, während Siciliano dabei im schäbigen Schein verlorener Menschlichkeit nur wenige visuelle Spitzen vorweisen will. Die Zutaten eines gängigen Rachethrillers sind durchaus der Antrieb, an dem er sich austauschbar orientiert, doch jene Verkettung an Gewalt, Folter, Jagd und Flucht könnte sich nicht weniger um den Zuschauer scheren, sie stapelt höchstens noch an Geschmacklosigkeiten auf, dass einen Ekel und Fassungslosigkeit packen. Rolf will einem da Leid tun, doch seine Desillusionierung birgt ebenso tief schürfende Misanthropie, die er selbst vor Freunden nicht abschalten kann und ihn kälter als Eis in der Tiefe seiner selbst verweilen lässt. Auch, wenn Rolf in seiner Essenz für die Gerechtigkeit einzustehen versucht: Mit solcher Verdrossenheit hat Siciliano binnen seines Gesamtwerks gewiss nicht gespart und so ist auch sein Schlussakkord nochmals ein Hort voll Zynismus und menschlicher Bestien, die im permanenten Extremfall Drogen verschlingen, Frauen missbrauchen und sich gegenseitig im Dickicht des Dschungel zerfleischen.



Wenn dann zum Schluss die Sonne aufgeht, kann sie nur trügen, wenn Rolf ihr mit zerschossenen Händen, verlorenen Freunden und Feinden sowie einer unausweichlichen Gefangenschaft entgegen blickt. Dieser Film schmerzt und stößt ab in seiner Endstation menschlicher Erfahrungen, ist in Sachen inszenatorischer Sorgfalt sowieso immens verbesserungsfähig, plump und widerlich seiner Drastik ausgesetzt - somit eigentlich auch derartig schmierig, dass er seine eskapistische Funktion als Gewaltfilm vollständig aus dem Innern heraus zersetzt. Auch eine Leistung und rückwirkend ohnehin reizvoll, inwiefern man das Schicksal der Charaktere und deren Umgang durch die Stimme des Autoren binnen eines solch grenzwertig exploitativen Films reflektiert. Die Erkennung der Absicht einer solchen Konsequenz kann aber schlussendlich nur vom Zuschauer abhängen, so offen sich „Der Tag des Söldners“ in die Schäbigkeit verliert, von daher sollte man hier nur ein zweifelhaftes sowie garantiert nicht unproblematisches Vergnügen erwarten.




DAS AMULETT DES TODES - Alles müsste gemessen an den gegebenen Faktoren hinhauen: Rutger Hauer als verschmitzter und gejagter Hero im Hessischen unterwegs, sogar begleitet von der herzallerliebsten Vera Tschechowa, die unter Regisseur Ralf Gregan tatsächlich einige Male blank zieht (ihre Lust darauf mal dahin gestellt), dazu ein kosmologisch verstrahlter Synth-Soundtrack, Ballhaus-Kamera und Räudenlocations vom Anfang bis zum Ende im stilechten 70er-Jahre-MAZ-Look. Wäre das Narrativ doch nur nicht derartig belanglos ausgewalzt und gleichzeitig streng nachverfolgt, sogar per Rückblenden ungelenk nacherzählt (!), dass man dort abdriftet, wo man sich eigentlich in die Atmosphäre lauer Roadtrip-Zweisamkeiten und in spukenden Ruinen abgehaltenen Abhängphasen hinein verlieren könnte. Aiaiai, mich müsste sowas doch interessieren! Und manchmal ist es auch so, allen voran in der Chemie zwischen Rutger und Vera, die eigentlich unvereinbar (gewiss auch eintönig) scheint, jedoch um eine Verbundenheit im Vergangenen der Träume spekuliert und letztlich sogar einen Beischlaf herbeiführt, bei dem Rutger eher zum Schrei ansetzt, weil Sie sich an seinem eingeschossenen Schulterblatt reibt. Diese harten Zärtlichkeiten sind für wahr die Höhepunkte eines naiven Thrillers, der in etwa dem Tempo der Serie "Merkwürdige Geschichten" entspricht, mit den Gangstern Arthur und Stazi zeitweise noch mehr oder weniger erheiternde Eskapaden der Verfolgung und Ausspähung bereit hält, zudem für einen gesonderten Moment der Exploitation sorgt.



Ohnehin lässt sich einiges wunderbar knallrotes Kunstblut bewundern, ebenso raue Mengen an kernigen Sprüchen vom Durchschnittsgroschenroman im Kiosk um die Ecke, doch wie so viele Zutaten dieses Abenteuers herrscht gedämpfte Aufregung, die noch in ganzen drei Jumpcut-Montagen sowie einer beinahe Rolf-Olsen-verdächtigen Operation unterbrochen wird. Gregans Film gibt sich bescheiden und liefert Entspannung beim Versuch der Spannung, doch eine Teilnahmslosigkeit seiner selbst (bei Gregan abseits von Arbeiten mit Dieter Hallervorden leider kein Einzelfall) lässt nicht nur genuine Gefühle vermissen, sondern auch einen Ansporn jenseits der Oberfläche. An sich natürlich weiterhin ein legitimes Produkt seiner Ära und für den Genrefreund ein willkommenes Stelldichein unter dem Schatten eines Bösewichts vom Formate Horst Franks, wenn auch angesichts der Ressourcen überraschend spröde geraten und unausgegorenen im Ergründen eines Falls um Entführung, Sorgsamkeit und versteckter Millionen. Konzentration, Euphorie, Zynismus, Realismus, Sex & Crime, Rhythmus und Herz - zumindest in Portionen könnte man sich hier für jene Ansätze begeistern lassen, aber es gilt: Hansdampf in allen Gassen. Unbedingt dran bleiben für den Schlusspunkt auf dem Pfad zur Reflexion von Eskapismus, Realitätsverdrossenheit und/oder magischer Love Connection (es kann nämlich sein, dass sich Vera als gelangweilte Ex-Hausfrau eben nur einen langweiligen Traum ausdenken kann)!


Bonus-Zeugs:

Schon wieder mache ich es mir einfach in der Gestaltung eines Videos und präsentiere alle binnen des letzten Monats angesammelten Medien mit einer Mindestmenge an Information und Meinung. Bitte nicht einschlafen!