Sonntag, 26. Juni 2016

Tipps vom 20.06. - 26.06.2016



VOR DER MORGENRÖTE - Manchmal darf man das ja ruhig festhalten, wenn die filmische Umsetzung einer historischen Biografie weder auf Klischees setzt noch binnen einer Verkünstelung der Steifheit anheim fällt. Maria Schrader gelingt sodann eine Beobachtung zum Autoren Stefan Zweig (Josef Hader), welche sich nicht am rein Äußerlichen abarbeitet, Pathos und Bestätigung bedienen möchte, im Gegenzug auch keinerlei Behauptungen aufstellt, das Innere jenes Mannes entschlüsseln zu können und die Tragweite seiner Werke auf das Intime herunter brechen zu wollen. Vieles an „Vor der Morgenröte“ erscheint stattdessen beiläufig, dramaturgisch kaum auf von Vornherein bestimmte Nenner gebracht und doch in jeder technischen wie empathischen Hinsicht bezeichnend für einen Zustand, dem Zweigs Persönlichkeit im Exil nicht zu entkommen in der Lage ist. Vor dem Nazi-Terror auf der Flucht bleibt der zurückgelegte Weg nie hinter ihm, genauso wenig Mitmenschen wie auch die unvermeidliche Ungewissheit vor der Zukunft. Der Empfang in Brasilien zum internationalen Literaturkreis lädt zum Neuanfang ein, zum Treffpunkt vielerlei Kulturen für eine Sache, so selbstverständlich friedlich untereinander vereint, wie Zweig und Kollegen ebenso damit hadern, das Grauen selbst aus der Entfernung als Politik beurteilen zu können, so nah es Flüchtigen wie ihm noch in den Knochen steckt, obwohl das Freisein Sicherheit verspricht.


Schon früh zeichnet Schrader eine offene Wechselwirkung von äußerem Frieden und innerer Verzweiflung, die sodann keiner externen Emotionalisierung bedürfen, höchstens in stilistisch konkreten Sequenzen Universalität und Gesichter vorführen. Mehrere Sprachen, Höflichkeit, Vernunft, Menschlichkeit und Hoffnung untereinander: So umtriebig die ersten Minuten selbst in einer starren Perspektive schon mit schlichter Güte zur Tat schreiten, scheint man gewiss weit entfernt von geißelnden Bildern der Einsamkeit, wie sie ein Haneke oder Seidl binnen jener Kadrierung anwenden würden. Der Status der Angst kommt jedoch nimmer abhanden, so wie Zweig seine Rolle als Mitgefangener des Unrechts auf diesen Wegen auch stets verinnerlicht, wie ein jeder zwar mit den Umständen umzugehen versucht, sie jedoch gewiss nicht ausblenden kann. Regisseurin Schrader braucht dann auch keine Eskalationen und Entscheidungsmomente in ihren (übrigens enorm kurzweiligen) Kapiteln vom Weg des Herrn Zweig zwischen 1936 und 1942, um dessen verlorene Seele verständlich zu machen oder gar eventuell relevante Bezüge zum tagesaktuellen Geschehen zu schaffen. Die kommen allesamt aus der Reflexion menschlicher Erfahrung in geduldiger Charakterisierung ohne Ankündigung zusammen (ein Vorteil gegenüber den mit ähnlichem Ansatz ausgestatteten „Steve Jobs“), weshalb sich Schrader auch nicht auf ein exklusives Gemüt einschwört, vielerlei Faktoren der Freiheit anbietet, die jedoch von einer unausgesprochenen Vergänglichkeit gezeichnet sind.


Die Gewissheit bleibt Zweig, seinen Verwandten und Leidensgenossen erhalten, wenn noch soviel Zurückgelassenes existiert, nach Rettung strebt und im Kreise der Generationen vor allem nicht vergessen kann. In ausgewählten Momenten (u.a. mit Barbara Sukowa) bricht jener Schmerz daran prägnanter aus, als es die sonstige Subtilität des Stoffes eher vermeidet, doch Schrader mag die Wahrheit genauso wenig ausblenden wie sie gleichsam eine Entlastung im Zusammensein aufspüren kann, die in sich dennoch die Entkopplung der eigentlichen Sicherheit in sich trägt, Umgewöhnungen begegnen lässt sowie die Vorzeichen des Üblen auf einer familiären Vorsicht der Bescheidenheit zum Alltag trägt. Mitten drin dabei: Hunde, bedingungslos zutrauliche Freunde des Menschen, die keine Ideologie kennen und nicht dauernd das Weltverständnis vor Augen haben müssen, dem sich Zweig sowohl als Erdenbürger als auch Künstler nicht verweigern kann, so sehr der Wunsch ihn auch zur Natur führt. Dieses Verhältnis eines Zwischenlebens zu durchlaufen, ist für Regisseurin wie Ko-Autorin Schrader angesichts des bitteren Selbstverständnisses kein Anlass zur Dramatisierung, mehr für eine Nähe untereinander, wie klein die Welt doch sein kann, wie sich Gefühle in jenen Perspektiven schüren, der Unterschied zwischen geographischer und emotionaler Distanz herauskristallisiert, eben unbemerkt wie eine Bombe einschlagen und im Nachhinein erst herausgelesen werden kann. Stille und Leben können nicht ohne einander, das lässt sich hier auch ohne Hinweise sentimentaler Eindeutigkeiten feststellen, sogar ohne Kenntnis von Werk und Wirken des Herrn Zweig, das hier weniger ausmacht als eben die menschliche Erfahrung innerhalb/zwischen dieser Rollen.




THE NEON DEMON - "[...] (Ein) Film, der seine Dynamik stets zur Zeitlupe streckt, ehe der Weg des unschuldigen Opfers zur Schlachtbank nach zwei Stunden vollendet wird. [...] Der Wahn zur Perfektion: Refn fängt an, sein eigenes Wesen als audiovisueller Fünf-Sterne-Koch anzuerkennen und in diesem Rahmen zu reflektieren. Für dessen Sprung ins Wasser braucht es aber auch eben solches, ohne bricht es sich die Knochen. Dementsprechend kurz gedacht scheint Refns schleichende Paranoia des Glamours, wenn sie in der taumelnd bunten Neonröhre aus Marmor, Kleid und Teint das geläufigste Ideal auswählt: Je jünger, desto besser, desto reizvoller, desto zerstörenswerter. [...]"



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Sonntag, 19. Juni 2016

Tipps vom 13.06. - 19.06.2016




WIENER-DOG - "[...] Im Land unbegrenzter Möglichkeiten sind eben auch Konformität und ein gebrochener Wille erforderlich, sofern man nicht doch im Stillen nach der Güte schaut, die sich des kollektiven Drangs wegen nicht weiter als vor die Haustür trauen mag. Die Gesellschaftsmodelle, Symbole, Hunde und Menschen verlaufen hier nahtlos und doch still im Nirgendwo, dass eben das eintritt, was die erste Episode prophezeite: Die Gnade in der Emotion gegenüber der Sterblichkeit [...] Und obwohl Solondz an jener Stelle nur bedingt mit der „Happiness“ kokettiert, bleibt er human und in entscheidenden Momenten zärtlich, den Außenseitern verpflichtet und doch nicht so voller Ernst geladen, wie es ein Robert Bresson gezeichnet hätte. [...]"



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SCHAU MICH NICHT SO AN - "[...] Sex ist Sex, scheiß auf die Scham; auch davor, vielleicht nicht jede Nuance mit absolutem Realismus zu treffen. Dem Spaß kann es nicht schaden, Borchu lässt das Spannungsfeld der Verhältnisse jedoch nicht aus den Augen. Kontraste und Erwartungen von Beziehungsmodellen lassen sich auf eine Begegnung ein, die nur allzu konsequent den Mächten von Zweisamkeit und Willkürlichkeit erliegt und einen Konflikt erschafft, bei dem sich kein Mittelweg finden lässt. Wo die Liebe hinfällt, kann ebenso die Enttäuschung, ein Wandel ohne Wiederkehr, Vertrauensbruch und Gift entstehen. [...] Da sie weder auf Ziellandungen noch auf Belanglosigkeiten setzt, besitzt ihr stringentes Chaos Format, so wie die Erdenbürger der Postmoderne gegenwärtig doch verstärkt ungewiss der eigenen Rolle gegenüberstehen, diese infrage stellen, Umstrukturierungen beinahe tagtäglich erleben und erwirken. Dem Zwiespalt noch mit Pietät begegnen zu müssen, wäre da nur widersinnig [...]"



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MONSTER DOG - Nun, wie soll man an genau dem Film vorbei kommen, wenn er nicht bloß die audiovisuelle Handschrift eines Claudio Fragasso trägt, sondern auch noch Alice Cooper als Hauptdarsteller beherbergt, dessen Rollenname ausgerechnet Vincent Raven (!) lautet und sowieso einige Eckdaten aus Werk & Wirken der Hard-Rock-Legende übernimmt? Der gotische Appeal in dessen Aufmachung schlägt dementsprechend auch in Fragassos Horror-Abenteuer ein, so energisch dieser seinen Aufhänger nutzt und nicht bloß als Nebenrolle mit Star-Status abkanzelt. Ehe man nämlich herausfindet, inwiefern die titelgebende Bestie mit dem Mann hinter „School's Out“ zusammenhängt, überlässt Fragasso seinem Vincent die Bühne für ein Musikvideo voll gespaltener Identitäten. Die Hinweise zur inneren Fassung unseres Helden lassen sich hier schon erahnen, womöglich auch die Impulsivität des Films an sich, der mal dies, mal das versucht und im Kampf um das eigene Image ein recht bissfestes Gesamtbild ergibt. Vom bunten Kostümspiel verschlägt es ihn nämlich alsbald in den Nebel der Nacht, hinein zu Fragassos herzlich naiven Genre-Vorstellungen, die Herrn Raven sodann in Begleitung der Liebsten, Sandra (Victoria Vera), sowie einiger weiterer Freunde im Van heimsuchen, obgleich die Herrschaften nur dort einen neuen Videoclip drehen wollen, wo Vincents Familie einst berüchtigterweise residierte.


Viele Vorboten tragen aber schon die Missgunst mit sich, als im Radio von mordenden Killerhunden die Rede ist und selbst die Autoritätspersonen wenig Vertrauenserweckendes mit sich bringen. Fragasso's Rednecks sind dabei eine besondere Gattung - irgendwo zwischen Western-Machismo, Heugabel schwingenden Vertretern des Aberglaubens und sleazigen Home-Invasion-Räuden verordnet, sind sie jedoch anfangs kaum involviert, später umso überraschender ein entscheidendes Handlungsmittel. Viel mehr bahnt sich der Schrecken aber noch in zerfetzten Wandlern an, von Flüchen erzählend, während ringsum die bösen Kläffer zuschlagen, optisch natürlich wie die niedlichste Ballung von Schäferhunden, Rottweilern, Riesenschnauzern und Co. erscheinen. Der undurchsichtige Terror daran inspiriert Fragasso zu Jumpscares, die auch in heutiger Relation eine passable Figur machen, während der Schnitt sich manch hastige Entscheidung erlaubt (was offenbar aber zeitweise dem Verleiher geschuldet ist) und dennoch verstärkt traumwandlerisch Eindrücke der Verlorenheit aufnimmt. So kommt unser Raven-Trupp trotz reichlich unheimlicher Geschehnisse wie selbstverständlich beim Anwesen an und blendet alle Verdächtigungen aus, obwohl Vincent das Areal mit der Schrotflinte erkundet, nicht von ungefähr an „Resident Evil“ erinnert und auch dann nicht Ruhe lässt, sobald sich seine Erinnerungen um den Mythos des Werwolfs kreisen (und Fragasso dafür sogar ein Lon-Chaney-Porträt zur Beweisführung ausgräbt).


Die verborgene wie ungefähre und unfaire Schuld, der Zweifel am Innern - das vermittelt ein Cooper so klein und effektiv, wie er auch zur zweiten Hälfte hin ganz er selbst wird, wenn der mörderische Trip um ihn herum seinerseits ohne Fragen in Make-Up und Leder-Outfit ausgeführt wird. Jene Linie allein wäre schon obskur genug für jeden Film, doch Claudio Fragasso rast durch mehrere lebhafte Adern des Unwirklichen, wie die albtraumhaften Visionen Angelas (Pepita James), die im zeitweise kaum trennbaren Rahmen mit der Filmrealität Gewalt vorherrschen lassen und dort mit Metaphysik verstrahlen, wo eine Sandra mit dem Beharren auf technische Zugänglichkeiten der Moderne für Rationalität einsteht. Letztere Ambitionen nimmt man dem Spiel von Frau Vera kaum ab, erst recht innerhalb der Umstände von Fragassos Spukschloss, das Monsterköter auf Gemälden verewigt und den Schauer bestätigt, wo sodann ein makabres Musikvideo Platz finden soll. Mit Musikalität kann sich der Film übrigens ganz hervorragend brüsten, sobald er eine visuelle Sequenz des Schaffens im Rhythmus unheilvoller Synths in voller Länge ausspielen lässt und unbedarft der Zwischenwelt frönt, wie sie Vincent sodann auch von der Schminke zu Blut und Blei führt, die menschlichen Monster einlädt und gnadenlos zerschießt, wie auf einmal auch die Hunde ihre Fresssucht binnen dynamisch abgelichteter Mauern beweisen.


Das Reißerische am Creature-Effekt kommt dann auch noch zu Besuch und liefert sogar im Gegenschnitt zum normalen Hunde eine so natürliche Pointe, wie sich im Folgenden auch die Legende in Vincent fortsetzt, der diese nie inne haben wollte und weit mehr Verstoßung suggeriert, als der Film auszusprechen vermag. Umso reizvoller wird seine unsichere Miene, sodann erst recht sein Standbein voll greller Unerklärlichkeiten im Türrahmen unter Tieren. Da kommt selbst Sandra nicht mehr mit, die im Verlauf auch öfter fast ihren inneren Reißzahn herausfetzt und sich doch letztenendes so erledigt im Niemandsland vortastet, dass man selbst Fragasso Erschöpfung attestieren könnte. In dem Sinne hat er von Vornherein aber Energien abgesondert, welche in dieser Konstellation wie gehabt bei ihm eine ganz eigene Variante von Leben und Kino denkt, Taktlosigkeit per Wahnwitz kaschiert und jede Ebene des Genres aufwendet, um sie gewiss etwas planlos, aber nicht ohne Herzblut gegen die Leinwand zu fahren. Ein faszinierendes Unikat!




CENTRAL INTELLIGENCE - "[...] Der Vergleich zwischen Mini-Neurotiker Hart und Pain-&-Gain-Sympathikus Johnson kommt natürlich auf eine Dynamik à la „Twins – Zwillinge“ – vielerlei Pointen brauchen lediglich Referenzen an vergangene Filme, um die Lachquote aufrechtzuerhalten. Da wird’s entsprechend plump; doch manch Charakterzug übertrumpft solch fades Namedropping. So ist es reizvoll, wie bedingt schlau man daraus wird, warum Bob seinen Golden-Jet-Schwarm mit grinsendem Sadismus zu tödlich gefährlichen Abenteuern verleitet und in eine Angelegenheit internationaler Größenordnung hineinzieht [...] Nicht, dass Regisseur Thurber die volle Route Political Correctness beschreitet, doch auf halbem Wege fängt er durchaus Empathie ein, wo der Schritt zum Zynismus ein ach so leichter wäre – und manch leichten Weg lässt der Film trotzdem über sich ergehen, damit Klischees eben nicht Mangelware bleiben. Damit geht ein gedrosseltes Tempo einher, das vor allem im letzten Drittel geradezu wie in Portionen den Agenten- und den Komödienanteil separat zu erfüllen scheint. [...]"



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Sonntag, 12. Juni 2016

Tipps vom 06.06. - 12.06.2016

Diese Woche sieht es einigermaßen mager aus mit der Ausbeute an Tipps, Grund hierfür sind nun mal einerseits die Arbeiten, mit denen der Lebensunterhalt gedeckt wird (sieht nächste Woche ebenso gut ausgefüllt aus), andererseits tut sich so manch Liebevolles im Leben, das ausnahmsweise wichtiger scheint als dieser oder jene Film, aber die Balance muss sich auch einpegeln lassen. Dieses Mal hat es noch nicht so ganz geklappt, was den Schreibfluss angeht (genug andere gute Filme habe ich ja trotzdem gesehen, nur nicht die Zeit zum Durchdenken), daher gibt es noch einige Bonus-Sachen im Anhang, während zumindest noch ein auf den letzten Drücker geschriebener Text das Hauptaugenmerk dieser Ausgabe ergibt:




DIE QUAL VOR DEM ENDE - Was für ein Titel und was für potenzielle Mengen an forcierter Stilistik in einem Film dazu vorherrschen könnten. Regisseur und Autor Maurice Pialat greift zwar durchaus auf einige erzbitter autobiographische Erfahrungen zurück, um eine zentrale Situation des Leidens binnen familiärer Verhältnisse zu erschaffen, doch von Pathos oder audiovisuellem Sadismus ist weit und breit keine Spur. Der zwischen Stadt und Land verteilte Haushalt à la Bastide ist mit seinen zwei in den Fokus gerückten Männerbildern, Vater Roger (Hubert Deschamps) und Sohn Philippe (Philippe Léotard), nun mal Personen auf der Spur, die beidesamt keine Beziehungstypen per se darstellen, eher uneins der Bindung zu einem sie liebenden Wesen gegenüber stehen. Umso zerrissener beutelt sie das langsame Krebssterben von Ex-Gattin bzw. Mutter Monique (Monique Mélinand) - ein Umstand, dem sie innerhalb ihres sprunghaften Wesens ungern mit der eigenen Verletzbarkeit begegnen wollen; der zwar zeitweise das Taktgefühl anpackt, bei dem sie jedoch scheinbar mehr dem eigenen Leben verpflichtet bleiben wollen, als sich vollends auf das Unausweichliche zu konzentrieren. Pialats Film zeichnet sich bei der Aneignung des Sachverhalts dann ebenso nicht durch eine Romantisierung aus, wie man sie selbst in ähnlich thematisierten Beispielen wie „Die Reise nach Tokio“ oder Michael Hanekes „Liebe“ vorfindet, vielmehr differenziert er in seinem Realismus die Wege der Individuen, wie sie sich dem Tode eines Anderen nähern oder eben ihren Selbstverständlichkeiten nachgehen.


Gleichsam löst sich Pialat von vorhersehbaren filmischen Zwängen, wenn er seine anfänglichen Longtakes mit immer kurzweiliger geschnittenen Szenarien vermengt, zwar stets auf externe Emotionalisierungen verzichtet, aber eher freiläufige Grundlagen der Dramaturgie nutzt und bodenständig bleibt. Die beste Art der Dramaturgie ist nämlich auch irgendwie diejenige, die sich nicht als solche erkennen lässt, von daher ist „Die Qual vor dem Ende“ auch ein Hort provinzieller Belanglosigkeiten, lockerer Damenbekanntschaften und redseliger Impro-Sektionen der Zwischenmenschlichkeit. Jene verlaufen sich aber nie ins Leere, sondern schielen effektiv auf die Angst vor dem Zerfall, dem gleichzeitigen Wiederaufbau der Liebe, dem Roger und Philippe sowohl die Stirn zu bieten scheinen, als auch Angst vor ihm haben - wie der Vater, so der Sohn. Verdrängen ist jedoch vergebens, das signalisieren schon die ersten Sequenzen, die uns anhand von Kleinigkeiten und vertrauten Tönen an das Wesen der Mutter führen und dabei ziemlich direkt wie gegenwärtig Nachvollziehbarkeit evozieren, wo ein anderer verkünstelt auf den Zauber des Menschseins hinweisen würde. Doch bei Pialat ist dessen Sterben erst recht hässlich und blass am Keuchen zwischen den Mauern der Gewöhnlichkeit, wie soll man da abseits der Fassungslosigkeit funktionieren? Auch wenn die innere Empathie dabei von außen hin kühl wirkt, sind eben das Ziellose an der Männlichkeit und das mangelnde Bekenntnis zum Gefühl (man bemerke Philippes rastloses Durchblättern alter Fotos) die schwierigsten sowie lohnenswertesten Beobachtungen des Films, der sich in seinen knapp 80 Minuten Laufzeit jedoch nicht bloß auf diese Haltung der verleugneten Verzweiflung einpegelt.


Die Leichtigkeit und die Atmosphäre der Ländereien zurück zum Ursprung der inneren Gemeinsamkeiten und psychologischen Konflikte (wohlgemerkt ohne forcierte Streits der Konfrontation), der unbekümmerte Sex zwischen Weinstöcken und mehreren Partnern, die liebenswerte Undurchsichtigkeit Rogers mit permanenter Fluppe im Mund und Schnapsglas in der Hand: Alles überraschende Faktoren, die das Prozedere so lebhaft am Laufen halten, wie sie sich irgendwann eben auch von der Macht des Todes überwältigt sehen müssen. Da ist es dann hin mit der Abgeklärtheit und mit dem Unmut, nach dem die Angelegenheit doch endlich zu Ende sein möge, allerdings wird da an Menschlichkeit gewonnen, wo sich im Folgenden die Schlinge der Einsamkeit anzieht. Die Lösungen liegen nicht immanent auf der Hand, während der Schmerz eben die Parteien ausbluten lässt, doch Schritt für Schritt verläuft das Leben wie das Sterben. Dafür hält Pialat authentische wie minimalistische Gesten ohne Reißertum sowie ohne Pardon bereit, auf jeden Fall blickt er innig und erwachsen auf den Verlust des Gegebenen, ohne die Aufgabe des Eigenen an vorderster Stelle einzubinden, sowohl auf Figurenebene als auch in inszenatorischer Hinsicht. Demnächst sollte an dieser Stelle also mehr über das Werk jenes Regisseurs stehen, der erste Eindruck ist auf jeden Fall eine stille Wucht, mitten aus dem Zentrum der Siebziger Jahre - immer für neue Aspekte gut!


Bonus-Zeugs:




Weil ich meinen Lesern gerne mal was Gutes außerhalb der Textform tun will, komme ich mal auf eine Show zurück, die mir in letzter Zeit reichlich Lachtränen beschert hat, bei der aber vielleicht der richtige Einstieg vonnöten ist: "Downtown no Gaki no Tsukai ya Arahende!!" aus japanischen Gefilden, eine bereits seit Jahrzehnten andauernde Varietätensendung, bei der Game-Show-Charakter, Sadismus, Sketche, Challenges, teils schier Abartiges sowie Lockeres ein abwechslungsreiches Bündel an Humor und Energie ergibt, das hauptsächlich von seinen fünf Stammmitgliedern getragen wird. Zum einen wären da eben Downtown, aus Masatoshi Hamada und Hitoshi Matsumoto bestehend, wobei man letzteren hierzulande eher als Regisseur von Klassestreifen wie "Der große Japaner", "Symbol", "Saya Zamurai" und "R100" kennt. Hosei Tsukitei sowie das Comedy-Duo Cocorico (Naoki Tanaka und Shozo Endo) ergeben sodann die regulären Mitspieler voll uriger Talente und liebenswerter Schlagabtauschqualitäten, doch das Zusammenspiel lässt sich weniger erklären als erleben, so wie man beim Einblick in die Unterhaltungskultur Nippons mit westlichem Blick immer eine gewisse Schnupperphase in Kauf nehmen muss. Wie weit die Wonne aber reicht, je tiefer man die Eindrücke über sich ausbreitet und Verbindungen ansetzt, die über den Lachfaktor hinausgehen, darf mMn nicht bloß eine mir sowie bereits Eingeweihten vorbehaltene Erfahrung bleiben, daher mal eine kleine Reihe an Videos, mit denen der Weg zu "Gaki no Tsukai" herzhaft gelingen dürfte:

Zunächst mal ein (subjektiv gesehener) Klassiker, mit dem ich relativ früh angefixt wurde und schon einiges an geballten Irrsinn mit wunderbarer Konzeption vereint - Hamadas Sleep Endurance, eine Gratwanderung im Selbstbewusstsein zur Inszenierung und dem Stellenwert menschlicher Reaktionen:



Der Sadist in Hamada scheint hier schon sehr bezeichnend durch, wie es sich auch kollektiv an folgendem Meisterwerk situationsbedingter Emotionsentsagung abzeichnet, an dem für Matsumoto der typische japanische Alltag zum fiesen Kuchenfest, eben der Pie Hell mutiert. Schon wird man dann auch vertraut mit dem Konzept des Batsu Games, eine von langer Hand geplante Bestrafung für die Niederlage nach einer Wette oder anderen Herausforderungen, bei denen auch mehrere vom Stab teilweise mitmachen müssen. In diesem Sinne favorisiere ich zufälligerweise Matsumotos Martyrien, wie sein Aufenthalt in der Spukpension, der wie die meisten Batsu-Brutalitäten auch an die 24 Stunden andauert. Er bleibt gewiss nicht der einzige, der den Horror abkriegt, dazu lässt sich auch Hoseis unfreiwilliges Piano-Konzert als Beispiel hinzuziehen. Reaktionen und Emotionen behalten jedenfalls stets Überhand im Gewinn an ausgelassenster Komödie, die sich im wilden Topf ausgefallenster Prüfungen und Sadomasochismen selbst per Schweigen zur Krönung des jungshaften Spaßes auflehnen kann - siehe dazu auch die Reihe Silent Library, die sich gleichsam profund um die Gewichtung des emotionalen Ausbruchs zwischen Kichern und Schmerzen dreht, wie eben jene Batsus, bei denen das Lachen verboten ist und meist mit Schlägen bzw. Thai Kicks auf den Hintern bestraft wird. Aber es geht auch anders:



Letzteres ist seiner Form witzig, auch in anderen Gelegenheiten voller Handgreiflichkeiten, insbesondere im Rahmen einer Landeskultur des Zens, der Demut und Ehre. Man lernt ohnehin vieles anhand der Begegnung mit dem Gaki-Team, so auch die empathischen Brennpunkte, wenn ein Wettbewerb um die Crying Performance angefechtet oder Hamadas fünfzigster Geburtstag als Anlass für enorm persönliche Briefe genutzt wird (Part 1 und 2). Das sind aber nur mal einige übergreifende Einblicke in das Werk dieser tollen Typen binnen ihres bunten Formats, da gibt es noch reichlich mehr zu entdecken - sobald man sich da auf Youtube wund gesucht hat, müssen sodann auch weitere Quellen her, so unergiebig die Sendung für Nicht-Einheimische verfügbar ist, was man ja auch an den Verzweigungen meiner Links zu etwaigen Videos erkennt (zudem muss man auch Glück haben, Untertiteltes vorzufinden). Aber das Internet kennt kein Erbarmen und so gibt es auch kein Ende darin, Neues zu entdecken, erst recht, wenn "Gaki no Tsukai" noch immer am Laufen ist. Kampai, Kawaii, whatever - ein jeder möchte seinen Horizont doch irgendwo erweitern, warum nicht also hier hineinschauen?

Sonntag, 5. Juni 2016

Tipps vom 30.05. - 05.06.2016 (Dreimal-Agnes-Edition)

 

RAUS AUS ÅMÅL - Nicht nur das Debüt von Lukas Moodysson, jenem Mastermind hinter „We are the best!“ und „Lilja 4-Ever“, sondern auch so eine ganz knuffige und ungekünstelte Beobachtung in die belastenden Tücken des schwedischen Dorftrotts hinein. Dort hat es die frisch 16-gewordene Agnes (Rebecca Liljeberg) enorm schwer, ihre Liebe zum umgarnten Schulmädel Elin (Alexandra Dahlström) einzugestehen oder überhaupt Freundschaften zu knüpfen. Mitten in den Trends der 90er eingelagert, ist das Provinznest drum herum nämlich auch auf ein Spießertum angelegt, das sich ebenso in den Idealvorstellungen der Kids niederschlägt und Außenseiter genauso kategorisch an die frische Luft setzt, verarscht und piesackt, wie die bornierte Moral und Nettigkeit der Elternschaft nur noch halbgar vom Konzept Verständnis eine Ahnung hat und es eher per Hausarrest umsetzt. Moodyssons Film ist daher von Vornherein klein und wütend im Intimen unterwegs, Handkamera-bewusst, aber demnach auch nicht von außen hin affektiert, sondern authentisch im Frust der Teen-Angst rumorend. So wie er seine Gefühle aus dem Geheimen heraus zeigt, werden Geheimnisse auch enorm wertvoll in jenem Ambiente und umso hastiger von der eigenen Verletzlichkeit sowie Verletzfähigkeit eingeholt.


Das gilt sodann nicht nur für unsere zentralen Protagonistinnen und es schmerzt sowieso recht nachvollziehbar, wenn das Zwischenmenschliche hier Zweifeln, Notlügen und sozialen Stigmata ausgeliefert ist, wie es sich in der Langeweile kalter Nächte von der Kindheit bis zum erwachsenen Furz spüren lässt. Und da will letzterer noch behaupten, dass mit der Zeit alles Vergangene anders aussehen, hinter einem liegen wird und Glück eben Geduld erfordert - doch Moodysson, bewusst über die Haltbarkeit seines Mediums und der Universalität seiner Geschichte, weiß, dass jeder JETZT glücklich sein, vom Moment ergriffen sein will. Also scheiß auf Barrieren und Hemmungen! Ehe jener Punkt ausgeführt werden kann, bleibt Herr M. dennoch im Kurzweil unterwegs, stilistisch nicht so streng wie das Martyrium an verhaltener Zuneigung und Cliquen-Terror einwirkt sowie beinahe schon im ersten Akt Richtung Freiheit unterwegs. Ein Road-Movie unbedarfter Fantasien kündigt sich fast an, wie es der Jugend so einfach passen könnte, doch die Spießer holen nun mal jeden ein, selbst wenn diese nicht wissen, warum. Daraufhin soll man eben wieder in beengtem Kreise lumpige Geburtstage feiern, bei Muttern zuhause gleich neben dem IKEA-Wandschrank stumpf am Sekt nuckeln und mit halbstarken Pseudo-Machos das Knutschen üben, weil einem nichts anderes übrig bleibt. Um Gottes Willen, Fucking Åmål!


Die ganze Mentalität vor Ort ist der Feind, nicht unbedingt ein einzelner Mensch im Ensemble, genauso bittersüß verschieben sich auch die Sympathien im Wechselbad geduldeter Gewöhnlichkeit und erfüllten/unerfüllten Erwartungen der Geschlechter, an denen man sich so oder so klammern muss, um die Furcht vor dem Alleinsein schon im Kindesalter vermeiden zu können - die Rasierklingen und Shoegazer-CD's sind da nicht weit, genauso wenig das Klopfen am Fenster anhand von hochgeworfenen Mini-Steinen. Das kommt romantisch und warm, aber nicht romantisiert, wenn man sich die Katharsis um Agnes und Elin wünscht - eben eine Empathie, die nicht bloß den Blick auf Frau-zu-Frau oder Mann-zu-Mann, sondern eben von Mensch zu Mensch anwendet. Für einen Tabubruch darin interessiert sich Moodysson sodann auch nicht, so natürlich er die Verhältnisse empfindet und unter Ausschluss von Reißerischem zeigt, eben auch das erste Mal fern vorgehaltener Hand thematisiert, aber keine Darstellerleistung à la Offenbarungseid hinzuziehen muss, eher verbal austeilen lässt. Und wie manch gefallener Satz eben Personen wie Gift auseinander reißt, auch schlicht Aufgeschriebenes gleichsam aus der Seele heraus (auch gut gemeint) als Angriffsfläche missbraucht wird: Harter Tobak - leichtfüßiger (wohlgemerkt nicht heuchlerisch) verpackt, als man annehmen würde und zudem nur binnen ausgewählter Sequenzen extern in der Gefühlsregung unterstützt. Und doch will man am Ende nur fragen: Sich verlieben und against all odds gemeinsam vom verklemmten Schulhof schlendern, was könnte cooler sein?




JE M'APPELLE HMMM... - Dieser Film von Agnès B. alias Agnès Troublé ist schon durchaus ein Schatz. Er ist einer dieser Überraschungen, die man zufällig aus dem Regal der Bücherhallen fischt und allein an seiner Handlungsstrippe erkennbar stark daher kommt, so auf eine „Alice in den Städten“-Art mit einem jungen Mädchen auf dem Roadtrip der Sorgen und Freiheiten. Sowas kann natürlich Richtung Pathos gehörig in die Hose gehen, erst recht, wenn sich daran zudem Themen wie Kindesmissbrauch, Kidnapping, Vernachlässigung und die ewige Mauer des Schweigens abzeichnen, doch Frau B. hebt sich in vielerlei Form von jenen Vorstellungen ab, wie man mit jenen Zutaten umzugehen hat. Ihre einsteigende Charakterzeichnung bietet zwar den spärlich sprechenden Alltag des gedämpften sozialen Miteinanders, wie es gerne auch per Statik als Aura des Zwangs dargelegt wird, doch ihre Pointen der Beobachtung (aufschlussreich via less is more) verbindet sie mit einem lebhaften Ensemble, das weniger einen Rollentypus festlegen mag, als eine bereits lebendige Person. Gerade daraus schnürt sich Regisseurin B. (eigentlich eine Modedesignerin!) einen emotionalen Würgegriff erster Güte, wenn man den allzu lichten Schattenseiten vom Haushalt der elfjährigen Céline (Lou-Lélia Demerliac) begegnet, die ihrer stets arbeitenden Mutter (Sylvie Testud) sowie anderen Mitmenschen jenseits der primären Sorge verborgen bleiben - mit einmaligem Nachfragen und der Verneinung von eventuell tieferem geben sich die meisten hier geschlagen.


Diese Umstände begründen sich allen voran an den Handlungen des Vaters (Jacques Bonnaffé), doch anders als ein Monster voll vorbestimmtem Antagonismus ist seine Persönlichkeit eher voll belasteter Schuld, Angst, Druck von außen sowie Einsamkeit als zerrende Spannung schlechthin, wie sich dieser Mensch aufgrund seiner Taten eben nicht verständlich machen kann, ohne die schlimmsten Urteile erwarten zu dürfen, wie auch Céline als Kind nur geringe Mengen an Glaubwürdigkeit entgegenkommen und alles mitunter schlimmer machen könnten. Jenes Gewissenskonstrukt soll man jedoch nicht als Entschuldigung empfinden, eher als Kompass zum Verständnis innerhalb einer nur bedingt emotionalisierten Stilistik, die sich selbst zudem noch weniger diktieren wird, als im Umgang mit den Konflikten im Figurenkreis. Etwas auf Dilettantismus, Dadaismus oder gar Oliver Stone anspielend, schlagen im Verlauf stetig Impulse des Stilbruchs ein, die teils wahllos wirken, manchmal aber auch mit solch rohem Blick ins Intime, Zwischenmenschliche schauen oder schon wieder extradick prätentiös auftragen. Das ergibt ein umwerfendes Wechselspiel mit einer zärtlichen Menschlichkeit im Fokus, welche anhand ihrer Sprachlosigkeit einfach alles sagt, so wie sie mit dem Truck von Peter (Douglas Gordon) mehrere Runden im Kreisverkehr dreht und die Entscheidung abwägt, ob man jenes binnen der Dunkelheit aus dem Herzen verlorene auf Umwegen einer urigen und garantiert brüchigen Selbstverständlichkeit rekreiert.


Es geht sodann auch darum, die Sprache wiederzufinden, aus Gegensätzen ein Ganzes zu machen und Gefühl fürs Leben jenseits der Barrieren zu erlangen, abgekoppelt von der Vergangenheit und den Pflichten der Einsamkeit die Freeze Frames im Angesicht von Strand wie Fahrerkabine zur Poesie zu knipsen. Vieles daran ist kackfrech, auch drollig und eskapistisch in die Winde verstreut, für manche Parteien auch bitter, auf dass sie nach Angst riechen, zumindest ist die Grundstimmung der Flucht immer als Spannungsbrennpunkt vorhanden, nur eben nicht in Eskalationen ausartend wie der ähnlich durchs französische Landkolorit fahrende „Our Day Will Come“. Stattdessen geht es unbedarft zum kurzweiligen Naturalismus über, zur unbedingten Liebe und schlussendlich auch zu einer Einigung über die Wahrheit hinweg - letzteres fast schon melodramatisch in seiner Drastik, aber eben auch still am Rande der Verzweiflung. Da sind sie dann wieder: Der Würgegriff, die Wut und die Furcht, die anderen eigenen Welten und Perspektiven eines jeden Individuums. Doch der Traum Célines, so vergänglich er auch erfüllt wurde, bleibt - und das nicht etwa als große Geste der Leinwand: Eher wird genau diese nochmal in beengterem Format sogar übersättigt/entfärbt und abgefilmt. Nur die Stimmen bleiben mit Nachdruck per Tonspur direkt und eindeutig präsent - selbst wenn sie ins Nichts flüstern: Wir sind noch da und kriegen die Empathie volle Breitseite ab, wie einfach und stark man eben noch ans Kind glauben könnte.




INTERCEPTOR – PHANTOM DER EWIGKEIT - Jeder kennt das Covermotiv, doch manch einer wie unser Witte schiebt so einen Film gerne vor sich her, selbst die Kritik dazu, obwohl sie schon seit zwei Wochen auf sich warten lässt. Doch alles sollte sich ändern, genauso wie anders jenes Werk an sich schon ist. Als Erfahrung lässt sich die mehrdeutige Genrekiste eben schwer beschreiben, wie es dem obskuren Märchen um eine Stadt ohne Gesicht nur schwer gerecht werden dürfte, das einen scheinbar aus dem Totenreich wiedergekehrten Rächer mit Auto und Motorrad gegen eine Räudenbande antreten lässt, welche laut Screentime eigentlich die Protagonisten sein müssten. Nick Cassavetes gibt da als verrückter Straßenking Packard den Ton an, wetzt Klingen an Hälse und tritt mit Leder in Mägen, wenn es um die Vorherrschaft über Freundin Keri (Sherilyn Fenn) oder allgemein den Frieden aller geht, sofern sich die gesamte Jugend am Burgerschuppen Big Kay's versammelt, der einem Maya-Tempel nachempfunden zu sein scheint sowie Fratzen wie Skank und Gutterboy mit ihrem dementsprechend krassen Mundwerk anzieht. Anzumerken sei dabei auch, dass Charlie Sheen ebenso als geheimer Retter auftaucht, doch sein Auftritt ist so minimal gestaltet, wie es das Hauptaugenmerk eben hauptsächlich auf Packards Gang abgesehen hat und sich in deren Alltagsmechanismen einnistet. Letztere werden sodann von einem Todesrennen nach dem anderen gezeichnet, deren Ablauf in verlängerter Action-Bereitschaft zwar keine allzu vielen stilistischen Spielereien hervorruft, aber weit mehr explosives Feuer, als man es der eher kleineren Größenordnung des Films zutrauen würde.


Er mausert sich ohnehin glücklicherweise oftmals zu einem Dialog-Spektakel voller Gefahren sowie deftiger Rückblicke, in welche sich die Teens wie benommen verirren oder - dem bösen Wolf Packard entkommen wollend - ihr Versteck in den Mauern von Eigenheim und Burgerbude aufsuchen, deren Inneres oder gar Familiäres strikt ausgeklammert bleibt. Konterkariert wird diese dringliche Furcht sodann vom Geist des Interceptors, der im Neon-Licht unbarmherzig zuschlägt, einen nach den anderen dahin rafft und surreale Zerstörungsarien per Schrotflinte und Cyber-Anzug einflattern lässt, wie sich Mike Marvins Film ohnehin einer Fantasie verschreibt, die fern von gewöhnlicher Erzählung auf die irrationalsten Wünsche Wert legt sowie diese erfüllt. Wohlgemerkt ist der Weg dorthin trotzdem keiner voller hoffnungsvoller Happy-Teen-Momente, sondern stets ungewiss einer Zukunft zwischen Nebel, Grabstein, Wüste und brennendem Asphalt unterwegs, unter denen man zwar Liebe am Wasserfall üben kann (diese ganze rituellen Treffpunkte der Kids!), doch stets am Tod vorbeizuschrammen droht - das Gesetz von Randy Quaid tönt da zwar laut nach Gerechtigkeit, doch die Macht des Übernatürlichen übertrifft jene passive Strenge. Dass sich die Leichen dabei auf der Seite der Bösen stapeln, ist auch gar nicht mal so befreiend gestaltet, eben voll dröhnender Michael-Hoenig-Synths und angesichts der extensiven Charakterisierung mit leichtem Hang zur Ambivalenz sogar enorm abwegig, gar mit perplexen Brüchen in genuine Verzweiflung ausgestattet. Und dennoch strahlt die Schönheit des Sternenhimmels seine Liebenden an, erst recht mit dem ganzen kalifornischen Flair im Rücken und dem geballten Flammenmeer im Rückspiegel, der ansonsten reichlich blendende Strahlen der Rache reflektieren lässt.




WANG YU – STÄRKER ALS 1000 KAMIKAZE/DUELL DER 7 TIGER- Soviel sei gesagt: Nicht bloß vom Titel her spricht ersterer Film erneut den Hass des titelgebenden Hauptdarstellers auf Japaner an. Sobald er nämlich Fäuste und Füße vom Kämpfen ablegt, lässt sein Charakter auch schon von Anfang an kein gutes Haar an den Bürgern von Nippon, von denen manche sein gesamtes Dorf vernichtet und somit als „räudige Hunde“ den Tod verdient haben, gar auch die ganze „Rasse“ an sich. Gottseidank lenkt schon bald ein weiser Mann ein, der den Hitzkopf von der Bösartigkeit des Menschen jenseits des Stellenwerts seiner Herkunft lehrt und angesichts der Handlungsentwicklung lernt Wang Yu (so auch der Rollenname) auch Freunde unter jener Nation kennen, doch dieser Film ist gewiss nicht Sydney Pollacks „Yakuza“, wurde stattdessen in Taiwan gedreht und lässt trotz aller kultureller Emulation nichts unversucht, seine japanischen Charaktere einerseits möglichst unvorteilhaft zu präsentieren (inklusive Hitler-Bärtchen) sowie andererseits davon zu überzeugen, dass sie von einem Chinesen wie Wang Yu noch eine Menge lernen können. So schlägt er nicht nur mit Leichtigkeit Tonnen an Sumo-Wrestlern, sondern hilft auch noch mit Akupunktur sowie Arm-Einrenkungen aus und lässt dort wieder Hoffnung schöpfen, wo im nächsten Moment beinahe Seppuku begangen worden wäre. Er bringt den Kampfgeist, wo Japaner vor Demut schwächeln würden - auweia. Mal davon ab ergibt die Regie von Lung Chien ein souveränes Scharmützel unter schwüler Sonne voll malerischer Inseln und pappiger Kulissen, bei dem die Kampffreude sogar mit einigen fantastischen Elementen aufschlägt, die Geschichte darum in ihrer Uneinigkeit jedoch gestreckter wirkt als man von den 96 Minuten Laufzeit ausgehen würde. Wang Yu's Freundschaft zur dieberischen Waise Yen Tza (angesichts ihrer charakterlichen Ausarbeitung eine starke Frauenfigur) scheint anfangs noch einen Fokus zu ergeben, der sich einer Art Rache für die Armen hingeben würde. Eine Portion Kindermord will da auf die Tränendrüse drücken, am nächsten Ramen-Karren ist die Last aber wie vergessen und der Weg so undurchschaubar, wie sich die Handlung auch immer mehr von Wang Yu abzukoppeln scheint (siehe „Interceptor“) und stattdessen das Ensemble um ihn durch mehrere Zweige schickt und dramaturgisiert, wobei die Blutmengen konstant hoch bleiben und es dem Melodramatischen durch geklaute „Todesmelodie“ sowie „Spiel mir das Lied vom Tod“-Soundtracks auch gar nicht mal an symbolischer Kraft mangelt. Den Höhepunkt liefert jedoch ein Showdown auf und um einen fahrenden Zug, der mehrere Ebenen Dynamik auf einmal vereint und von den Stunts her sogar ein bisschen auf den Spuren von Buster Keaton fährt, ehe der Kampf zum Wasser hin mündet.


Erwähnt werden sollte dabei auch die Fantasie, mit welcher manch Martial-Arts-Manöver hier ins Absurde abdriftet, doch das ist gewiss kein Vergleich zu Chuan Yangs „Duell der 7 Tiger“, der diese Woche vor allem in der Hinsicht für eine ganze Menge mehr unbedarften Spaß jenseits politischer Zwiespältigkeiten sorgte, stringender und ganz nach dem Konzept der „Sieben Samurai“ mehrere Meister der Kampfkunst für die Gerechtigkeit zusammentrommelte (dies sah ich diese Woche zufälligerweise auch Bruno Mattei und Claudio Fragasso mit einigen Spitzen und toller Videokindheitsmentalität in „Die sieben glorreichen Gladiatoren“ versuchen). Narrativ gesehen bot er nur minimalistische Anknüpfpunkte, dafür ein unbedarftes Verharren in seinen Sequenzen, die er derartig verspielt ausbaute, wie er auch völlig ungeniert seine Kulissen genoss. Dasselbe Argument machte ich jüngst beim „Tödlichen Duell der Shaolin“ und es wirkt auch hier, dass exzessive Exposition kein Widerspruch zu reizvoller Atmosphäre ergeben muss, wenn zudem noch obskure Kameratricks und andere Spielereien für eine gar kindliche Aufregung des Abenteuers genutzt wird - umso vergnügter empfindet man dies, wenn man bedenkt, wie langwierig der Vorspann darauf aufmerksam macht, in welchen realen Disziplinen seine Hauptdarsteller Meisterleistungen errungen haben. Das macht ihre Zaubertricks in Fights zum goldigen Ereignis - ganz zu schweigen von den Slapstick-Einlagen, die sie als in den Fluss geschmissene Heroen zu bewältigen haben. Richtig beeindruckend geben sie sich jedenfalls erst nach der 50. Minute, doch dann verläuft der Kampf gegen einen tyrannischen Karate-Meister eben auch zu einer Machtprobe von Kurzfilmlänge, ehe alle sieben, folgerichtig durch ihn gebrochenen Kräfte, in einem Individuum zum Sieg angeübt werden sollen. Alles sieht dabei aus, als ob es am selben Tag gedreht wurde, aber zumindest stets an der frischen Luft und nicht in der theatralischen Studiomatte der Shaw Brothers. So interessiert man das Training verfolgt, so beiläufig leitet sich sodann der Endkampf ein - immerhin wie bei den obigen Kamikaze direkt am sowie ins Wasser. Was für ein nettes Kleinod!


Bonus-Zeugs:




AGNES - "[...] Nun kann es durchaus reizen, wenn ein Film seinen inneren Diskurs offen an die Oberfläche dringen lässt und über passionierte Figuren zum Expressionismus ansetzt. „Agnes“ vermittelt jedoch den Eindruck, dass der Subtext als aufgedunsene Leiche angeschwemmt kommt. Jede Faszination, ob nun zum Tode, zum Metaphysischen oder zur Zukunft, wird wie auf Stichwort aufgesagt und kommt eher behauptet an, als dass sich eine wahre Leidenschaft im Ensemble abzeichnen würde [...] Aber soll ja so, könnte man meinen, dass Schmid sein Paar als Extremfall des Introvertierten präsentieren möchte. Ein legitimer Ansatz, der Feingefühl erfordert, hier jedoch als externe Emotionalisierung auf Hochtouren betrieben wird. [...] Das Reelle birgt aber auch bei ihnen harte Konsequenzen – und so weiß der Film trotz aller Traumtänzerei nur zu gut, dass er nur skizzenhafte Beweggründe, Inhalte und Gefühle vorweisen kann.



(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)