Sonntag, 7. August 2016

Tipps vom 01.08. - 07.08.2016



HEAVEN'S GATE - DAS TOR ZUM HIMMEL - Gesichtet im Metropolis Kino Hamburg von 35mm, projiziert zu Ehren des jüngst verstorbenen Regisseurs.

Michael Ciminos unverhoffte Bremse für seine eigene Karriere kam offenbar zur falschen Zeit und mit viel zu schlechter Presse an die Öffentlichkeit, berichtet jedoch von einem Kino, wie es in dieser Form seitdem leider kaum noch angetroffen wird: Ein Epos unkonventioneller Erzählart vorbei an der Sentimentalität und anderer Genre-Topoi-bedienender Gefälligkeiten, in Produktions-technischer Manier zudem so dick wie minutiös aufgetragen, dass die Nähe zum absoluten Realismus gar nicht mal mehr so fern scheint, während die Verinnerlichung jedes einzelnen Charakters an vorderster Stelle steht, ohne die Etablierungskeule in greller Stumpfheit schwingen zu müssen. Solch kostspieliges Experiment hat beinahe ein ganzes Studio gesprengt und quasi eigenhändig die Ära des Autorenfilmers im New Hollywood beendet - an mangelnder Qualität hat es jedoch keineswegs gelegen. Ciminos allumfassende Vision der Wurzeln Amerikas in all ihren perplexen und pervertierten Ambivalenzen erfordert nun mal außerordentlich viel Sitzfleisch mit knapp 219 Minuten Laufzeit (und wird nicht einfacher, falls man versucht, dies in einer Kritik zusammenzufassen) - was in hiesigen Zeiten des Binge-Watching wohl aber keine große Problematik mehr darstellt. An einer Überforderung per ausgewaltzer Belanglosigkeit hat er allerdings auch kein Interesse, dafür strahlt er eine Hingabe zum Komplex Szene aus, welche sich ihre Gefühle mit Geduld verdient und nicht durch stichpunktartige, externe Emotionalisierungen.


Es entstehen im Endeffekt gar nicht mal derartig viele Szenarien, an Kurzweil sparen sie aber ebenso wenig. Die Kohärenz dazu schöpft Cimino zudem nicht als Vielfraß an Dialogen, manchmal auch gar nicht aus dramaturgischen Funktionen; er pocht nicht auf formal-forcierte Gleichgültigkeit, sondern passt die Perspektiven seinen Figuren an, wird fiebriger, sobald sie vom Unausweichlichen eingeholt werden. Sein Augenmerk liegt auf dem, was Kino in seiner Kunst grundsätzlich seit jeher zu finden versucht, nämlich die Wahrheit - und diese lässt sich eben nicht aus Eindeutigkeiten destillieren. Es gehört dabei nicht nur zu Ciminos Film, dass sich hierin mehrere Individuen um ihre Ideale streiten, ungewiss am Tore zur Zukunft stehen, auf diesem Flecken Erde ihr Hab und Gut verteidigen, während sich daraus auch Bündnisse sowie Verschwörungen schöpfen. Dass letztere nicht ausschließlich der bösen Absicht entspringen, zeigt sich bereits am Prolog der enthusiastisch vorausschauenden Hoffnung mit Intellekt in der Tasche, welcher doch im besten Falle auf die gesamte Menschheit übertragen werden könnte. Der Missbrauch dessen im Kampf um die Oberhand des eigenen Glücks macht sich hier allerdings schon spielerisch unter Studenten bemerkbar, wird im Verlauf um 1890 sodann für eine Elite missbraucht, die das Gesetz auf ihrer Seite hat. Das Menschliche wird in der Regelmäßigkeit eines behaupteten sozialen Gleichgewichts mit den Füßen getreten, Migranten im Zwang des Verbrechens auf eine Todesliste gesetzt, die Dampflock pustet ihre Rauchschwaden direkt in die Gesichter hunderter auf dem Zugdach verharrender Leidender - das macht Ciminos Film nochmal aktueller, obgleich seine Bilder des Leidens wie allgegenwärtig in der Menschheitsgeschichte angesiedelt sind.


Zwischen den Welten agiert dabei James Averill (Kris Kristofferson) in der Wahrung jener Werte, die ihn vom humanistischen Studium aus auf den weiteren Weg vorbereitet haben und nun in der amerikanischen Wende der Zuwanderung schwer gegen die Verrohung anzukämpfen haben, obgleich er in Konflikten stets den kühlen Kopf und den gemeinsamen Frieden zu finden versucht, ohne an Kernigkeit zu verlieren. Ein bisschen vom Befreier-Märchen steckt schon in jener Figur, doch sie wird nur selten Gelegenheit haben, sich so zu entfalten. Denn trotz der unnachgiebigen Panorama-Tragweite Vilmos Zsigmonds - binnen des Pioniergeists unter Tälern und Pollen der Prärie voller Statisten - sowie den detailverliebten Setdesign-Nachbildungen vergangener Jahrhunderte ist die nüchterne Realität von Gefangenschaft und Verfolgung ein ständiger Begleiter zwischen eingepferchten Flüchtlingslagern und privilegierten Gewalttätern. Gegen das Blei ist die Natur machtlos, selbst innerhalb ehemaliger Einwanderer wie Nate Champion (Christopher Walken), die für ihre Chance auf die Ahnung vom amerikanischen Traum gleichsam Landmänner töten. Ciminos Darlegung und Motivation dieser Verhältnisse ist jedoch der Fokus seines Films, nicht die Exploitation an der Eskalation. Mitten drin steht eben noch die Hoffnung, u.a. anhand von Bordellchefin Ella Watson (Isabelle Huppert) - eine Unternehmerin der Natürlichkeiten, auf einem von Averill angekauften Stück Land neben der Gemeinde osteuropäischer Einwanderer beheimatet und selbst unter Androhung nie von dort weichend, in ihrer euphorischen Nacktheit (ein Geschenk Ciminos, diese Zeitkapsel der Schönheit) das Fleckchen Erde vertretend, nach dem sich sowohl Averill als auch Nate sehnen. Mit solch einer Romantik im Herzen werden die letzten Stunden vor dem Kriege nicht leichter, selbst wenn man den Rollschuhtanz zum Geigen-Beisammensein in seinen Sepia-Farben als letzte schöne Erinnerung verewigt (in Heimkino-Veröffentlichungen so wohl nicht mehr gefiltert) oder den Flachmann zum Diskurs auspackt.


Die Ermattung im letzten verzweifelten Strom an Zärtlichkeiten wird dem Kampf nicht entweichen können, gleichsam trifft Ella die Entscheidung, in welcher möglichen Zukunft weniger Risiko schlummert, obgleich alle Persönlichkeiten in ihrer Verletzlichkeit einig sind, sprachlos das Gegebene teilen und schweren Herzens nicht umhin kommen, jeden Einzelnen zu benennen, der auf der Liste steht, wie auch exklusiv in den höchsten Kreisen, Stimme für Stimme, solch ein blutiges Unterfangen entschieden wurde. Die Gewichtung des Einzelnen ist bei Cimino der Aufwand wert, genau dies per Kamera, Schnitt und Schauspiel so intensiv einzufangen sowie die Schönheit in den kleinen Gesten und Geschichten zu maximieren (z.B. wie Geoffrey Lewis einen Wolf bezwingt), bis das Ausmaß der Brutalität in all seiner persönlichen Angriffsfläche präsent wird, in Verzweiflung und Chaos - auch untereinander - mündet. Umso stärker schmerzen die Konsequenzen des legitimierten Tötens, wenn diese sich einen nach den anderen vorknöpfen, die Hölle mit Überschwang anliefern und in Ciminos direkter Drastik jeden Pathos zersieben. An dieser Schlacht zeigt sich kein Triumph, weder Gewinner noch Verlierer, sondern schlicht das menschliche Versagen in der Ballung ideologischer Intoleranz sowie des Fatalismus im Überlebenswillen - eben profunde Schwächen der Zivilisation. Der Wahnsinn wird erst in der Bürokratie gestoppt, statt an der Gerechtigkeit - jenes bittere Trauma klingt dem Zeitgeist gemäß nach Vietnam, doch darauf lässt sich der Film nicht reduzieren, so selbstsicher und eigenwillig sich Cimino nicht an der kalten Rationalität der Politik misst, sondern an der Sehnsucht des Herzens nach dem allzu vergänglichen Frieden, wie sich auch an Averills Umgang mit seiner Involvierung in dieses Stück Geschichte/Amerika/Seiner Selbst zeigt. Vielleicht wird es daher auch für manch einen Zuschauer Zeit, sich an diesem inneren Prozess zu beteiligen und Ciminos verstoßenens Werk schätzen zu lernen.




PAUL - Echte Anarchie im Medium Film zu erleben - das Eintreten jener Erfahrung kann man wahrscheinlich, wenn überhaupt, an einer halben Hand abzählen. Schließlich müssen in dem Fall gleichwohl die Regeln sonst wie konstruierter Erzählmuster ausgehebelt sowie den Charakteren in ihrer Eigenart das Feld überlassen werden, ohne dass die auktoriale Deutung als solche wiederum abschwächt. Wie eine Vermeidung dessen mit Regisseur, Laufzeit und Co. möglich ist, steht womöglich immer noch in den Sternen, so wie sich die Kunst höchstens als virtuelle Kapsel der Freiheit behaupten und zumindest in der Vermittlung des Gefühlsspektrums eine Entsprechung über die Form hinaus finden kann. Ein rares Beispiel dessen sowie der Konfliktbildung dazu findet sich in Klaus Lemkes Film von 1974, der sich erneut binnen Hamburg unter die Leute mischt, die Typen des Milieus aufspielen lässt und vom reinen Handlungsverlauf her zwar einen klassischen Weg des Gangsters zeichnen könnte, das Leben in den Zeilen dazwischen jedoch zum Vorherrschen freigibt. Der Ursprung des inneren Zwangs (auch zum Komplex Kino) klatscht allerdings sofort auf die Leinwand, sobald Paul (Paul Lys) aus dem Knast entlassen wird, mit nicht allzu erfreulicher Miene in eine Zukunft zweifelhafter Hoffnungen tritt. Der Empfang seiner alten Kumpels, Damen und Kollegen wie z.B. Jimmy Braker aus dem Umfeld der St. Pauli-Action probiert zwar die lockere Wiedererweckung anhand Schnack wie Trank, doch der sporadische Adrenalin-Tinitus auf der Tonspur bringt Paul ab und an schon beiläufig auf die Spur des Verrats, wenn er vergeblich seine Kohlen von einst einsammeln will, die Killer jedoch schon an der Hoteltür stehen.


Bei Lemke ist die Eskalation schon früh gegeben und in Sachen Genre-Brutalität ein gnadenloser Reißer, allerdings mehr durch die ungezähmte Wildheit Pauls, so farbig fordernd und handgreiflich in seiner allzu natürlichen Art keine Grenzen an Schroffheit mehr gegeben scheinen, wie er sich seinen Weg bahnt und die Kamera förmlich hinter sich her zieht. Wie hypnotisierend bringt er uns sodann im tosenden Sturm mit der Lidl-Tüte an der Elbe entlang zu einer Party innerhalb einer Villa, in deren Gesellschaft er mit seinem Arsenal an Konfrontationen eigentlich kaum reinpasst, nach einer Art belustigender Duldung vonseiten der Gäste aber schnell die Aufmerksamkeit auf sich selbst steuert, jenen Suff aber gleichsam nicht fürs Ausleben eines Klassenkampfs à la Al Pacino in „Scarface“ gebraucht. An Aggressivität büßt er gewiss nicht ein, dennoch verschieben sich die Verhältnisse des jeweiligen Gegenüber zum gemeinsamen Genuss via Gastgeber Herr Murnau (Friedhelm Lehmann, mit einem bezeichnenden Rollennamen zum delikaten Aufmischen von Opas Kino), bis der Anstand binnen mondäner Mauern endlich mal seinen Halt verliert und in einem Rausch an Freundschaft dem Wesen Pauls zugetan wird. Die eindeutigen Gesten bleiben dazu aber aus, wie Lemke auch kein Interesse an einer Klammer-auf-Klammer-zu-Charakterisierung hat und eben das Selbstverständnis echter Laien durch die Räume schweifen lässt, sich selbst auch zugesteht, die Kontrolle zu verlieren und von Paul anstoßen zu lassen, dass die beobachtende, nicht auffordernde Perspektive des Films konsequent durchgezogen wird.


Das verleiht dem Ganzen neben der Note des Exzess auch eine Leichtigkeit, die einen unglaublich witzigen Grundtenor zeichnet, inwiefern man alle Player als sich selbst definiert sehen und zuhören darf, wie diese rotzige Sprüche über den Knigge schmeißen und von flapsig-entschlossener Männlichkeit zeugen, gleichsam aber auch voller Schmutz in die Gartenbestuhlung rasseln oder verballert die Treppen zum zurrenden Neon-Chic hochsteigen. Folglich kann Paul auch nicht angewurzelt bleiben in diesem Wahnsinn der wohl vergänglichen Klassenkeile und nimmt das Interesse jener Frau (Sylvie Winter) des Gastgebers an ihm zum Anlass, ihn ins Gefängnis zurückzufahren. Da will man ihn aber nicht mehr haben, ist ja schließlich kein Obdachlosenheim, aber nach sieben Jahren Absitzen stellt Paul in seiner perplexen Verzweiflung schön bissig fest: „Das ist also der Dank dafür!“ Also geht’s wieder ab in den vertrauten Moloch, zu den Freunden des Kiez, am Kneipenhahn süppelnd und im Zauber des Striptease verlierend, obgleich sich die Gewalt weiterhin zur Wabbeligkeit der Umstände ergänzt und reizt. Das Beste kommt aber erst noch, wenn das Räuden-Ambiente im Verlauf nochmals von der Villa-Baggage besucht und sogar nach Hause eingeladen wird, die totale Entfaltung von leichten Mädchen und harten Kerlen heraufbeschwört, die beidesamt nicht auf den Mund gefallen sind und doch so wahrhaftig miteinander umgehen, wie auch der vermeintliche Adel auf sich selbst einwirkt, die gegebene Logik des Konzepts Film zu torpedieren.


Brüste und Musik, Backpfeifen und Schampus, Butler Winfried und die spontane Versöhnung - es geht drunter und drüber, jeder redet sich ins Wort und man hängt als Zuschauer so willig im Chaos mit, wie sich das Ordinäre auf Augenhöhe mit dem State-of-the-Art trifft, fern der Betroffen- wie Verquastheit schlicht die Fassung verlieren will. Für die jeweiligen Charakteristiken des Einzelnen gibt es dann auch nicht unbedingt Erklärungsbedarf, sie sind einfach schon da. Jemand wie Paul als Mittler scheint in seiner Position aber nicht zurechtzukommen, nagt weiterhin an der Enttäuschung und dem Mangel an Perspektive, der sich beim Taumel der Rationalität feststellen lassen könnte, eher allerdings die Impulsivität seinerseits ins Leere zu schießen droht, obgleich Lemke ihm auch reichlich bedrohliche Gänge Richtung Kamera überlässt. Also kommt unverhofft das Maschinengewehr ins Spiel, der Film kann da einfach nicht aufhören, mit direkten Signalen (sich selbst) zu begeistern und kernige Dialoge wahr werden zu lassen, auf dass die dramaturgisch unaufdringliche Dramaturgie ihr Fanal am hellichten Tage auf den Alkohol-Amok im Hans-Albers-Eck ansetzt, im Zwielicht verkorkster Ehre wohl kaum von Siegern und Verlierern sprechen will, stattdessen die Wahrheit im Uneindeutigen aufholt, bitter in der Natürlichkeit nimmer ultimativ umfassender Menschlichkeit aufschlägt.




NORDSEE IST MORDSEE - Ich erzähle niemandem etwas Neues, wenn ich Hark Bohms Film als aufregendes Zeitdokument unter Hamburger Jungs auszeichne, obwohl die dortige Ära an Kids jetzt nicht zum eigenen Erfahrungskreis zählt, so wie sich manch dargestellte Verhältnisse eben seitdem nicht unbedingt oder nur schwer änderten. Wenn die jungen Leute jedenfalls hier schon am Kräftemessen werkeln, Mutproben und Gewalt zum Selbstbeweis des Alltags gebrauchen müssen, um untereinander klar zu kommen, Macker wie Anführer wie potenzielle Herzblätter festzustellen oder dem Elternhaus so die Stirn bieten zu können, ist hier die Sozialreportage nicht weit und gewiss nicht um einen deftigen Wortschatz verlegen, welcher sich neben malerischem Slang-Schnack des Nordens auch dem rassistischen Kanon bedient. Anders sein ist hier sowohl Ausdruck des Aufsässigen, als auch Stigma binnen sozialer Ungerechtigkeit, die hier schon in Milieu wie Zeitgeist begründet wird, ehe die Tristesse des Arbeitsmarktes voll zur Geltung kommen muss, auch wenn er seine mangelnden Optionen in einmaligen Szenarien konzentriert. Bohm ist aber auch kein Uwe Frießner, wenn er zwar die Chancenlosigkeit im Angesicht eines Säuferdaddys (Marquard Bohm) per Kinnhaken austeilt, jedoch durchaus zur Differenzierung in spaßigere Gemütszustände hinein fähig ist, die sich aus der Abwechslung der Lebensbalance ergeben, das Mini-Rebellentum aus dem Klassenraum hinaus zum Knacken von Kneipenautomaten verleiten und auf die Fahrräder schwingen lassen, von denen man endlos viele rotzige Sprüche losfetzen kann.


Die Jeansjacken-Coolness jener kleinen Vorstadtrocker um Uwe (Uwe Bohm) macht da leider auch (zumindest vom Film nicht verharmlosten) Terror gegen den stillen Migranten-Sohn Dschingis (Dschingis Bowakow) und wird zudem handgreiflich im gleichsam unbedarften Ekel der Jugend, verletzlich und verletzend abseits der sozialen Norm bzw. etablierter Erwachsenheit, die innerhalb jener Plattenbausiedlung ebenso kaum angekommen ist. Dabei zeichnet Bohm von Vornherein (sogar anhand eines Posters zu „Die Bruce Lee Story“) parallel Gemeinsamkeiten des Leidens, naiver Sehnsüchte und Konflikte des Unverständnisses, denen die Außenwelt meistens nur restriktiv zu begegnen imstande ist. Wie gesagt ist der Zustand aber kein Anlass zum formellen Zwang der Gestaltung, die in diesem Fall erst recht zum Rocken bewegt wird, den frühen Udo Lindenberg vom Ausreißen singen und Autos klauen lässt, nachdem Uwes makelreicher Paps ihm auch mal das Kutschieren der Karre zum Spaß zugesteht, anhand der Stilisierung sodann von Bildern der Freiheit umgeben wird. Dschingis plant selbige im Bau seines chaotisch-funktionellen Bootes „Xanadu“, evoziert Erinnerungen an Karl May gleich am Deich neben dem Industriegebiet, die Uwe auch nicht entgehen und mit seiner Gang aufmischen lässt. Es kommt zur Konfrontation, nach den ersten kindlichen Kabbeleien auch zum regelrechten Karatekampf zwischen den beiden Welten, die binnen der Weltstadt Hamburg eigentlich eine starke Einheit ergeben müssten. Über Umwege und profund-triviale Rituale kerniger Erdung finden sie auch allmählich zueinander, wobei Bohm seinen Darstellern stets einen natürlichen Umgang miteinander erlaubt, dies auch glänzend in Einklang mit seinem dramaturgischen Kurzweil bringen kann, bei dem sich die Ausbruchsfantasien zu etwas Wahrhaftigem ballen, nachdem die sozialen Härten schon in ihrer bitteren Echtheit eingefangen wurden.


Sodann wird die Elbe angepeilt, deren Strom aber nur schwer aus der Stadt führt, zwar die Bindung vorantreibt, genauso aber von Vergänglichkeit zeugt. Im Glück der Naivität jedoch bleibt die Frische der Aufbruchstimmung erhalten, zwischen Jux und Hoffnung zudem spannend, wenn die Polizei ihnen auf den Fersen ist, so dass Entlastung, Abenteuer, Ungewissheit und Zukunftsängste nah beieinander bleiben, während die Freundschaft zur Selbstverständlichkeit aufblüht und ihr Anliegen zumindest so weit nach Impuls ausleben kann, ehe Bohm es als ultimative (Auf-)Lösung oder gar halbgare Desillusionierung nach Hollywood-Format mit Epilog und Co. versuchen würde. So erwachsen in der Vermittlung der Unangepasstheit und doch stets an den Charakteren orientiert, erschafft er jedenfalls eine Leichtigkeit, wie sie jede Altersklasse empfangen möchte, Kumpels in praktischer Zweisamkeit empathisiert sowie zu Selbstversorgung und gegenseitigem Respekt animiert, während das Zeitkolorit gewiss nicht an gegebener Unterdrückung spart, keiner jedoch im Sinne der Schuldigkeit aufeinander zeigt, so offen sich die moralischen Schlüsse auch aus dieser Geschichte ohne Ende ziehen lassen. Wenn sich aber zumindest anhand dessen zeigt, wie sich aus dem Bodensatz des Lebens Poesie schöpfen lässt, so wie Nordsee eben auch Mordsee ist, das von der Elbe umgebene Hamburg einen in seinem Konvolut an Kulturen und Möglichkeiten in Mauern drängen sowie ausbrechen lassen kann, kriegt man mit hohem Energie-Level Werte auf den Weg, die weder abgebrüht noch behauptet werden müssen, um die Gerechtigkeit der Gemeinsamkeit zu finden. Eben ein Film für Träumer und echte Kerle, die sich gewiss nicht gegenseitig ausschließen müssen.




AMORE - Diese Cleo Kretschmer hat es wohl faustdick hinter den Ohren! Zumindest versteckt sich hinter der etwas gewöhnlichen Erscheinung eine ganz liebenswert-schrullige Draufgängerin, wenn man ihren Charakter nach ihren Rollen beurteilt. Wenn sie denn schon für einen Klaus Lemke dreht, der dauernd nach Typen Ausschau hält, die was drauf haben, muss man eben von solch einer Realität ausgehen - nicht umsonst waren die Beiden einst ein Pärchen und obwohl der Laie in ihrem Spiel deutlich zum Vorschein kommt, ist manch freche Geste schon ein Aufreißer ganz natürlicher Fassung. Das mag aber schon am dargestellten Ambiente liegen, so wie ihr hiesiger Alltag als Einzelhändlerin vom Familienkiosk in München von leichtfüßiger Abgeklärtheit zeugt, im Auftrag des WDR ohnehin mit der kostengünstigen Nähe der 4:3-Optik binnen der späten 70er Jahre aufwartet und alsbald einige Rock'n'Roll-Oldies aus der Kiste aufspielt. Schon von der ersten Szene an wird dabei deutlich: Die lässt sich nichts von Kerlen erzählen, billig sexualisieren und anmachen, da übernimmt sie als Maria ohnehin schon genug an Arbeit von ihrem Herrn Vater (Peter Kienberger), den sie hingegen ohne sein Wissen demnächst zu verkuppeln versucht. Soll ja nicht immer alles an ihr hängen bleiben, bis dahin heißt's aber selbstverständlich um vier Uhr aufstehen, den Laden aufschließen und auf dem Großmarkt die Waren einkaufen. Irgendwie ein Dorn im Auge: Der stets flirtende Pietro (Pietro Giardini), an den auch bald die gute Freundin Bärbel (Brigitte Platzer) gerät, welche sich unverhofft einen guten Kasten Kummer auflädt, sobald sie von den ganzen Affären jenes Hallodris erfährt und doch irgendwie schwachen Willens bei ihm bleibt.


Da würde Maria ganz andere Saiten aufziehen und allmählich wird doch klar: Auf den Typen steht sie ein wenig, doch das Neckische an ihr will sich eben auch nicht verarschen lassen. Im Verlauf des Films entspinnen sich sodann Pläne in der Farce der Geschlechterrollen, auf Eifersucht gebaut und doch fern vom moralischen Fingerzeig frei nach dem Credo Femme Fatale (Kommentare zu ihrem potenziell tollen Hintern z.B. beeindrucken sie kaum) sowie den Destruktionen der Emotionen, wie sie sich ach so gern an solchen Ausgangslagen dramatisieren lassen. Hier braucht niemand, allen voran nicht Maria, vor der Kuppelei kapitulieren, ehedem bleibt sie ja ohnehin stets Mensch, wenn sie sich mit der Strafzettel-schnellen Politesse verbündet, um den Vater von Stammtisch und Kegelabend weg in Unternehmungen zu zweit zu überreden oder wenn sie die Bemühungen des schüchternen Kassernenheinis Franz (Wolfgang Fierek) schätzt, aber eben nicht von der echten Liebe ablassen kann. Jener Kerl ist aber an sich schon eine starke Portion von Männerbild: Ohnehin auch eher von Marias Vater dazu angestachelt, mit ihr zu zusseln, bringt er jedes Mal wie ein Kind Blumen mit und stapelt unsicher Sympathien auf, wenn er mit seinen Schützenfähigkeiten gerade so einen Teddy auf dem Kirmes erbeutet, im Oktoberfest-Zelt von Marias wilden Küssen übermannt wird, aber nicht mitkriegt, wie sie Pietro damit eins auswischen will. Sobald jenes Ziel erreicht ist und sie abdampft, ruft der Franz ihr sogar „Cleo!“ hinterher. Der Herr Fierek ist offensichtlich auf den Typ besetzt und ein ebenbürtiger Chaot zu seiner Rolle, in der Konsequenz können Film und Zuschauer ihn ebenso nur liebgewinnen, keineswegs zynisch abspeisen, sondern als etwas hoffnungslosen Fall an die nächste weitergeben - schließlich ist er doch noch immer in die Bärbel verschossen.


Im Endeffekt ist der ach so kecke Pietro ihm auch gar nicht mal so unähnlich, wenn er sich mit Maria einlässt, die ganz unverhohlen gegen ihn anstinkt und die Macho-Ehre demontiert, wenn sie den Casanova abblitzen lässt und über Umwege die Suggestion vorantreibt, wie reich und bequem ihr jemand anderes den Hof macht. Als Charakter mit südländischem Flair muss er sich jedoch auch nicht ständig als Witzfigur beweisen, schließlich bleibt Lemke auch ab und an bei ihm im Arbeiterzirkel hängen, bis dann ebenso ersichtlich wird, wie der Vater ihm im Nacken sitzt. Doch allem Trotz getrotzt geht Pietro die Frau nicht aus dem Kopf, die ihm sodann jenen verdreht und der Rom-Com ihr Genre-gemäßes Spiel treiben lässt, ohne jedoch per se auf ihre Verletzlichkeit als Frau hinzuweisen, auf der in biederen Kino-Kreisen andauernd die Hetero-Abhängigkeit gegründet wird. Kretschmer gibt daher den gewitzten Aggressor voll weiblichem Willen, der so schön im regionalen Dialekt der Sprunghaftigkeit aufgeht, wie ihn jeder im Ensemble lebhaft pflegt und natürliches Sein auf die Sperrspitze der Erfahrung setzt. Wie soll denn auch Tristesse aufkommen, wenn Lemke derartig temporeich mit den Blenden um konzentrierte Szenarien boxt, den Charme der reellen Gewöhnlichkeit unter 72 Minuten Laufzeit hält und sogar kurzfristig nach Venedig entführt, nachdem sich Maria durch die halbe Weltgeschichte fingiert sowie mit auftuschierten Weiblichkeiten zur Weißglut entzückt hat? Ein Heidenspaß halt, wie weit man mit ein bisschen frou-frou kommen kann, ohne ideologische Entrüstungen fürchten oder gar zu konstruiert auf die lieben Kleinigkeiten unter kleinen Leuten deuten zu müssen.




DER SCHATZ - "[...] Hält sich jedoch weder mit der existenziellen Last seiner Charaktere in Schulden und Hypotheken auf, noch stilisiert er das Männerunternehmen als erzwungene Farce mit Haudraufhumor. [...] Mit gemächlichen Alltagsschritten, motiviert durch fehlende finanzielle Flexibilität, gibt man sich dem Absurden hin, stellt logische Fragen und wartet die Eventualitäten eines kaum auf Filmlogik geeichten Narrativs ab, bis es doch zum (nicht eskalierenden) Streit kommt, ehe dieser in minimalistischer Haltung zum Ende kommt. Das Unaufgeregte an diesem Verlauf lädt trotz kontemporärer Tristesse mit Leichtigkeit zur Identifikation fern der Betroffenheit ein [...] hat seine Schlusspointe doch eine süße Empathie inne, um die sich manch anderer Film mit Sturm und Drang bemühen müsste. [...]"


(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)


Bonus-Zeugs:




JAMES WHITE - "[...] Von den Darstellern und dem Dialog wird alles mit einem (scheinbaren) Minimum Konstruktion ausgelöst, was durchaus Wahrhaftigkeit motivieren könnte, würde der Stil nicht seinen Voyeurismus mit Charakternähe verwechseln. [...] Jene Darstellung kann man mutig nennen, als direkten Draht zur Konfrontation mit Tod und Verderben im Medium Film. Bei allem Bezug zur seelischen Reportage verhindert „James White“ es aber, dass die Tragweite dieser Lage, ob nun in den Charakteren oder sich selbst, resonant erfasst werden kann. [...] Die einseitige Präsentation vom Innen- und Außenleben Whites sowie seiner Mitmenschen lässt jedenfalls nur wenige Deutungen zu, die über die Beschissenheit der Dinge und der Vergänglichkeit der Hoffnung hinausgehen, bei denen jeder auf sich allein gestellt sein muss. [...]"


(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)




TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES: OUT OF THE SHADOWS - "[...] Die Motivation zeigt sich allerdings so hohl, wie der Soundtrack Steve Jablonskys zu neunzig Prozent oberepischen Ernst vorspielt. Was als Herzstück unter muskelbepackten Turtle-Bros bleibt, pocht nur marginal, wenn die mutierten Jungs hadern, ob sie nicht bei Tageslicht an die frische Luft und somit ihren wohlverdienten Heldenstatus einnehmen sollten. [...] Es lässt sich von Glück reden, wenn manch menschliches Verhalten hier wie eine Karikatur wirkt, während reichlich Juxeinlagen stets auf die gleiche Art in Fremdscham versinken und somit lachhaft werden. [...] Bei jener Aufdringlichkeit, die jedes Dezibel auf einmal aufspielt, bleibt aber kein Grund mehr, warum diese Überforderung durch Nichtigkeiten noch von Belang ist, wenn sich alles nur dem Standard gemäß abspult, mit dem Willen zum Selbstbewusstsein zwar flirtet, aber keinerlei Augenkontakt (auch nicht mit dem Zuschauer) herstellt. [...]"



(Die komplette Kritik gibt es auf CEREALITY.NET zu lesen.)

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