Sonntag, 23. Oktober 2016

Tipps vom 17.10. - 23.10.2016

Lybe Leser,
wo wart ihr letzte Woche? Ich will jetzt keine konkreten Zahlen nennen, da diese bei Blogs wie diesem ausnahmslos armselig ausfallen, aber bei der zweiten Ausgabe des SPEKTAKEL USA! haben so wenige geklickt, wie das letzte Mal so niedrig bei der großen DC-Berichterstattung im August. Erinnert ihr euch noch alle an diese magische Zeit? Offensichtlich nicht bei der nachweisbaren Abwesenheit. Hat der Filmfreund dieser Tage etwa die Schnauze voll vom guten alten ehrlichen und verzweifelt abgeranzten Amerika, das sich in den Facetten jener Zelluloidwerke zeigt? Dabei war dieser Tage doch die dritte Debatte zur Präsidentschaftskatastrophe in Aussicht, also kann von irrelevanter Berichterstattung eigentlich kaum die Rede sein – what's going on?! Natürlich kann ich mir vorstellen, woran sich die starken Gefälle in manchen Wochen erklären lassen, wenn ich mir so die Statistiken und Suchbegriffe angucke, anhand derer auch viele Italiener, Amerikaner, etc. zuschalten, während die Deutschen vor allem nach den perversesten Begriffen schlechthin suchen und hier mehr oder weniger fündig werden. „Devote Haltung“, „Coming of Age Filme mit Jungs Masturbation“, „Bruce Lee Todesfoto“ - das sind nur einige sexy Beispiele an Google-Eingaben, welche hier die Klicks bringen und verstärkt nahe legen, dass der Großteil der Leserschaft wegen der schönen bunten Bilder, weniger wegen meiner inhaltlich brisant-geilen Schreibkünste an Ort und Stelle aufläuft. Ich kann es keinem verübeln, aber was soll ich aus diesem Feedback herleiten? Und vor allem: Warum bin ich noch immer so furchtbar dumm, kein Geld aus meinen Ressourcen zu schöpfen? Tja, da ich nicht rein auf Porno umsteigen möchte und trotz meiner unverkennbaren Affäre mit den USA nicht alles auf englisch niederschreiben will, wird die Entscheidung schwierig, ob eine Neuerfindung stattfinden muss oder mir schlicht egal sein kann, was ich dem Leser vorsetze. Ich denke, eine gesunde Kombination aus beidem dürfte die Lösung bringen – auf den Punkt genau, damit sich auch niemand um seine kostbare Zeit geprellt fühlen muss. Ich versuche mich mal ans Umstellen, in der Zwischenzeit könnt ihr ja in Martin Hentschels neues Buch zur Eis-Am-Stiel-Reihe, „Zitroneneis, Sex und Rock 'N Roll“, rein lesen, das vor kurzem auf Amazon erschienen ist.


Kostet € 19,99, ist 382 Seiten dick und bietet eine unvergleichlich umfassende Chronik zu jenen deutsch-israelischen Produktionen, die von den Siebzigern an bis zu den späten Neunzigern für frivolen Coming-Of-Age-Spaß mit sexgeilen (vielleicht sogar masturbierenden) Jungs gesorgt hat. Biografien, Interviews, Infos zu Trittbrettfahrern, zahlreiche Behind-The-Scenes-Unglaublichkeiten und seltene Abbildungen vervollständigen das Bild für jeden Fan, der die ganze nackte Wahrheit auch vertragen kann. Wer im Jahre 2016 lebt, hat manchmal eben keine andere Wahl.




Aber keine Sorge, manch Jahr wie z.B. 2001 war auch nicht gerade die Krönung der Leichtigkeit, so wie einige Krisen aus jener Zeit bis heute noch nicht überwunden wurden. Ganz recht, ich rede von Jon Favreaus erster Regiearbeit fürs Kino, „Made“. Letzte Woche schon nach meiner Sichtung von „Swingers“ befürchtete ich die Begegnung mit einem weiteren kultverdächtig dialoggeladenen Ableger der Scorsese/Tarantino-Tradition, der sich seinem Infantilismus nicht ansatzweise so bewusst ist wie z.B. Eli Roths Kurzer „Restaurant Dogs“ (1994) – und, wer hätte es geahnt, Favreau war wieder mal ganz er selbst. Dabei mangelt es ihm gar nicht mal an Vorteilen, so wie sich sein Narrativ - um zwei in den Mechanismen der Unterwelt herumgereichten Boxern voller Geldsorgen - von der Hommage abgrenzt und scheinbar weniger behauptet vom Lauf der Welt phibrosophiert, stattdessen aber nun belanglos in der Faszination zum gefährlichen Gangster-Gestus herumeiert. Buddy Vince Vaughn vermasselt ihm mit großer Fresse wie gehabt oftmals die Tour, aus der Dynamik entwickelt sich für den mitgehangenen wie mitgefangenen Zuschauer sodann die Art turbulente Nacht, bei der so unbeholfen oft der harte Macker markiert wird, dass der Film sich im Kern eben immer wieder von vorne aufdreht und daraus schlussendlich einen moralischen Kodex unter wachsenden Kerlen zu destillieren glaubt. Wenn man mit P. Diddy durch Clubs marschiert, mehrmals die ganzen „Faggots“ von sich abgrenzt und untereinander wie die gesamte Kundschaft einer Bostoner Bar kabbelt, ist's doch noch etwas weit bis zum liebenswerten Charakterbezug, doch wenigstens bleibt noch soviel Selbstreflexion, dass Vaughn als vermeintlicher Womanizer stets die Arschkarte zugereicht bekommt und sich allesamt letzten Endes auf das Erziehen eines kleinen Mädchens konzentrieren – inklusive drolligen Malkursen und Umarmungen. Seitdem ist Favreau auch mehr der Kinderfreund unter seiner Generation an Kollegen geworden, schließlich kann man von diesen mehr lernen, als von der hier geballten Versager-Macho-Attitüde, die u.a. Famke Janssen als zentrale Frau zur Stripperin und somit schlechten Mutter stilisiert. Ganz schön kapital versumpft.




Erheblich aufregendere Minuten verbringt man hingegen mit Shun'ya Itôs „Curse of the Dog God“ aka „Inugami no tatari“ von 1977. Die japanische Gruselgeschichte voll moralischer Bange ist vielfach auf den Hund gekommen und allein deshalb schon sehenswert, bietet aber auch kulturbedingt überschäumende Wellen der Gnadenlosigkeit, sobald drei rücksichtslose Uran-Kapitalisten den kleinen Akita eines noch kleineren Jungen überfahren und nacheinander vom titelgebenden Fluch heimgesucht werden. Neben der Belagerung durch zig Schäferhunde ist oftmals Seppuku angesagt, nachdem jeder spontan der Unterlicht-Seuche verfällt, die mit ein bisschen Make-Up, Schatten und Farbtemperatur filmtaugliche Krankhaftigkeiten stilisieren kann, in jener „Exorzist“-geschwängerten Ära der Besessenheit aber alsbald auch von ihren Herzdamen übernommen wird, deren Opferbereitschaft sich zudem gerne von der Dorfgemeinschaft betatschen lässt. Itô-san, Regisseur der „Sasori“-Reihe, macht in der sozialen Gefangenschaft der Frau schließlich keinen Halt vor exploitativen Eindrücken, holt Brüste raus und fährt maskierte Räudenbiker zur Drangsalierung zwischen Fluss und Klippe auf, anhand dessen natürlich bewusst wenig Ehre fürs männliche Geschlecht übrig bleibt. 


Jenes hat ja auch schon Natur, Religion und Hochzeitsriten beleidigt sowie Familienbanden getrennt, kriegt dafür explosive Unfälle zu spüren, schlägt im Gegenzug aber mit abergläubischen Racheaktionen zurück, die allerdings noch üblere Geister aus dem Wind des Waldes heraufbeschwören. Die Effekte steigern sich Richtung Finale sodann mit unglaublichen Eindrücken, fliegenden Hundeköpfen und bisher verheimlichten Familienmitgliedern ins melodramatische Schauerstück, bis das kleinste Mädel der Familie mit roter Robe durch die Nacht springt, grell attackiert sowie mit übler Zunge spricht, ehe der Antiheld ganz nach dem Formate Vater Karras' die Schuld auf sich nimmt. Das Feuer unterm Arsch hört danach aber gewiss nicht auf, weiß man ja schon aus „Jigoku“ - an dessen Tempo, Stilsicherheit und Zeremonien der Doppelmoral erinnert der Film hier sowieso, obgleich der Faktor des Umgangs mit der Atomkraft hier einen Zusatz kritischer Belehrung darstellt, genauso einige Bremsschwellen im Spannungsbogen hinterlässt, wenn Itô-san manchmal zu konventionell Schuld und Sühne abarbeitet. Doch wenn er mal entschlossen im Blut herumstochert, ist der rote Geysir mit voller mystischer Pumpkraft in die kalte Schnauze des Zynismus gerichtet.




Bleiben wir asiatisch, aber etwas problematisch, um mal wieder bei Tsui Hark vorstellig zu werden, dessen erste drei Teile der „Once Upon a Time in China“-Reihe wirklich eine Probe der Ambivalenz darstellen, erst recht wie ihr Regisseur politisch steht. Klar, man muss wirklich nicht alles am Kino politisieren, aber in diesem Fall wird es schon trotz aller kultureller Schönheit nach wenigen Minuten unumgänglich. Chinesische Filme, insbesondere solche Action-orientierten im historischen Rahmen, haben irgendwie immer etwas Nationalistisches und Xenophobes an sich, wenn dann auch noch von ikonischen Helden wie Ip-Man und Co. die Rede ist – man braucht seine Fühler auch gar nicht mal so weit ausstrecken, um jene Tendenzen bei Werken von Jackie Chan, Wang Yu oder gar Bruce Lee festzustellen, wo vor allem Japaner dem zweiten Weltkrieg wegen allerorts zum Abschuss freigegeben werden. Dennoch sind die Plattitüden jener Ideologien im ersten Teil der von Jet Li verkörperten Wong-Fei-Hung-Abenteuer expliziter als der gewöhnliche Antagonismus zum Westen sowie eine gesteigerte Liga der Widersprüche, wenn sich Harks Regie mit enorm visueller Aufregung dem Zuschauer von außerhalb öffnet, in der Anwendung internationaler Techniken jedoch schamlose Propaganda austeilt (immerhin um ein Vielfaches stimmiger und beherzter als „Die letzte Schlacht am Tigerberg“). Plumpe Gwailo-Stereotypen, konstruierte Horror-Szenarien und gleichsam deftige Entmystifizierungen der pazifischen Nachbarn als Hort der Folter lassen sich keineswegs einfacher entschuldigen, wenn man auch vom reellen Rassismus und Kolonialismus der Besatzer weiß – so sehr treibt Hark den Hass auf die Spitze, dass er die Melodramatik der Heimatehre noch freiwillig dazu addiert und stets betonen lässt, wie der Verlust der eigenen Sprache und Kultur schon von Vornherein bejammert, insofern auch bekämpft werden muss. 

 
Die ideologische Schiene ist eben zu hardcore auf rechte Anbiederung und manipulatives Kalkül aus, geradezu kongruent energisch zum visuellen Ereignisreichtum aufwendigster Sorte - ein großzügiges Budget vonseiten Golden Harvests weiß sich zu nutzen. Jackie Cheung z.B. kehrt zwar mit dem perfekten Umgang der englischen Sprache zurück, stottert seine Muttersprache aber nur schwer an der cartoonhaften Trottelfigur vorbei, was Wong Fei Hung wenigstens noch als verbesserungsfähig toleriert und gegenüber absoluten Räuden verteidigt. Tante Yee (Rosamund Kwan) wird das Leben ihrer Kamera sodann wichtiger im Angesicht eines Großbrands als der traditionelle Fächer, der abgefackelt als Symbol brachliegen muss, um Jet Lis Charakter auch endlich mal zu einem Ausbruch gesteigerter Wut zu verhelfen, obwohl sie eigentlich in ihn verschossen ist. Seine Darbietung ist leider größtenteils eher stoisch in der selbstverständlichen Weisheit denn wirklich dreidimensional definiert, lebt wie vieles am Film erst in der Akrobatik des Lokalkolorits auf und hat daher narrativ enorme Schwierigkeiten, einen neben der beeindruckenden Kampffähigkeiten am Ball zu halten. Kurioserweise scheint er zur zweiten Hälfte hin sowieso mehr nur im Geiste anwesend zu sein, sobald Verräter unter den Weißen und Kollaborateure aus einheimischen Schutzgelderpressern eine Massenverschleppung von Frauen zur Zwangsarbeit nach Amerika konzipieren, vorher schon die vermeintlich gefährliche Bevölkerung dezimieren und dabei noch von einem scheinbar unzerstörbaren Kung-Fu-Meister angeleitet werden. Irgendwie gerät der Film eben so episch bei all diesen Strängen, dass er zeitweise seinen roten Pfaden verliert, verwirrt um die nationale Identität wettert, dann aber wieder einen gütigen Priester von außerhalb präsentiert, mit westlichen Klamotten kokettiert und schließlich in seinen besten Szenen noch als aufreizendes Wirework-Showcase herausstechen kann. Davon mal ab ist das Titelthema ein regelrechtes Ohrwürmchen im Chorus unentschlossener Signale.




Wie wankelmütig sich Hark auch wandeln kann, beweist der Nachfolger, in dem Wong Fei Hung ausgerechnet die Weißen, nun Kollegen seiner medizinischen Ambitionen, vor den rechtsextremistischen Anschlägen der „Weißer-Lotus“-Sekte beschützt. Wie aufrichtig Hark diese Gegenthese nun meinte (wirklich echt lässt sich keine Begegnung mit Vertretern von außerhalb empfinden) oder das unvermeidliche Arrangement mit kulturellen Einflüssen anhand einer Serienstruktur motivieren wollte, sei mal dahingestellt – auf jeden Fall erlaubt es einen, unbelasteter an eine stringendere Geschichte heranzutreten, in der sich Tante Yees Liebe zu Wong Fei Hung mit festen Schritten weiterentwickelt und konzentrierte Szenarien der Belagerung einen sympathischen Beschützer aller aus eben diesem Herren machen. Für Hark bietet sich zudem manch Projektionsfläche für morbide Eindrücke, die am frühesten Anfang seiner Karriere noch omnipräsent waren, hier Häute abziehen, in der Rücksichtslosigkeit der Sekte Kinder durch die Helden umbringen lassen oder auch mal Hunde zu Menschenfutter verarbeiten. Donnie Yen ist als verräterischer Kommandant ebenso vor Ort, bedingt dann auch Angriffsflächen für luftige Kampfsequenzen, die höchstens noch von sporadischen Honk-Momenten übertroffen werden („Ihr seid alles Flaschen!“). Nichtsdestotrotz bleibt der Eindruck, dass Teil Eins trotz aller Hässlichkeit nicht ganz so blass war wie sein Nachfolger, zumindest wilder auf Eigensinn pochte als dieser Kompromiss einer Annäherung durch Akupunktur und Kampfgeist. Der dritte Teil hingegen begibt sich von den Feindbildern und nationalen Empfindungen her wieder mehr ins Territorium des Erstlings, beschränkt sich dabei aber hauptsächlich auf interne Intrigen und Kampfschulenrivalitäten, weniger auf Generalisierungen ganzer Kontinente anhand plumper Propagandaphrasen. 


Wesentliche Variationen von Altbekanntem bleiben aber ebenso aus – Tante Yee und Wong Fei Hung reden zwar inzwischen schon von Heirat, bleiben im Endeffekt aber immer kurz davor; ihre Kamera nimmt sie noch immer enorm wichtig, inzwischen wird das Medium Film aber auch gerne zur Verewigung der Kampfkünste und stichfester Beweise genutzt, damit Hark nicht ganz der Hypokrisie beschuldigt werden kann. Tolle Löwentänze lassen sich neben all dem noch als Highlights der gewohnten Schauwerte feststellen, doch bei einem Film, der wie alle Teile an die zwei Stunden Laufzeit innehat, verlaufen sich die Zwischenräume dazu immer wieder in konventionelle Bahnen, die den gesamten Streifen letztlich als Lückenfüller erscheinen lassen. Zwar ein solider Lückenfüller, aber keiner, nachdem man noch mehr von Wong Fei Hung sehen zu müssen glaubt - zwei weitere Filme und einige Trittbrettfahrer sollten dennoch folgen. Kurios ist die Reihe an sich allerdings durchaus und bestimmt nicht ohne einige Höchstwerte des Charmes umgesetzt, auch wenn sie mir hauptsächlich eine stärkere kritische Distanz zu Tsui Hark beigebracht hat. Niemand bleibt unschuldig in dieser Welt, aber so ein wechselhafter Bezug zum Werk eines Regisseurs ist nicht die schlechteste Sache. Mehr über die Gründe für solch ein Hin und Her bei gerade diesem Mann lese ich wahrscheinlich demnächst eh im von Esther Yau herausgegebenen Sammelband analytischer Essays zur Hongkonger New Wave nach - „At Full Speed“, so der Titel. Was ich der Vorschau da an lesenswertem Potenzial entnahm, würde ich Euch da draußen ebenso gerne ans Herz legen.




Danach versuchte ich mich jedenfalls wieder ein Stück weit mit Guy Maddin zu versöhnen, dessen „My Winnipeg“ sich vom stilistischen Ansatz her dermaßen schnell totreiten ließ, dass die inhaltliche Ebene, so sehr ich mich auch für diese interessieren wollte, geradezu ersoffen war im Arsenal verquaster Sperrigkeiten und narrativer Abzweigungen. Immerhin kamen dann auch Pferdeköpfe vor, die aus dem ganzen gefrorenen Fluss herausragten - in jedem Übermaß lässt sich eben doch noch was finden, was bei einem hängen bleibt. Mit ähnlichen Problemen hat sodann auch „The Saddest Music in the World“ zu hadern, die geradliniger auf den melancholischen Irrwitz Winnipegs zusteuert, mitunter aber weiterhin an der Hektik ihres Autoren scheitert. Maddin wechselt die Formate wie ein waschechter Oliver Stone, will sich aber in einer Variation des Screwballs à la Old Hollywood wiederfinden, der er ein wildes Schnittgewitter aus statischen und entfesselten Kamerabewegungen aneignen möchte, beinahe gleichsam überladen auf der Audioebene mitgestaltet, während die optischen Filter schlicht keine Ruhe finden. Diese grundlegende Dissonanz des Äußeren zum Inneren ist auf die Dauer natürlich anstrengend, bis dahin kommt aber durchaus so manch genialer Witz aus der Mischung des Naiven mit dem Profanen heraus, wie absurd die Ära der großen Depression in einen Wettbewerb um das traurigste Lied der Welt verwandelt wird, zu dem sich alle Nationen des Globus am Gipfel des schlichten Leidens, Winnipeg, antreffen.


Im charakterlichen Ensemble sind die vergänglichen Beziehungskreise zwischen Chester Kent (Mark McKinney), seinem Vater Fyodor (David Fox), Bruder Roderick (Ross McMillan) sowie den Frauen derer aller Leben, Lady Helen Port-Huntley (Isabella Rossellini) und Narcissa (Maria de Medeiros), ohnehin tolle Spannungspunkte für den Flirt mit der Tristesse und der Verklärung wahnsinniger Einsamkeit bis hin zur Musicalnummer der Todessehnsucht mit einer ordentlichen Portion Pazzaz - gerade mal etwas über dem Status einer Karikatur hinaus und doch so gepeinigt vom Schmerz des Planeten, dass dem Kurzweil ständig zugespielt wird und gleichsam keine Zeit zum Atmen bleibt. Manchmal eine echt tolle Sache und innerhalb der großen Kulissen mit Stock-Footage-Vermengungsflair als Bündel an hysterisch schönen Einfällen aus dem Stand heraus ein Knallbonbon, teilweise aber auch bis zur Redundanz hektisch überdreht bzw. am Zuschauer vorbei inszeniert. Was hätte Maddin denn zu verlieren, wenn er sich ein bisschen mehr Erdung und Sinnlichkeit erlaubt, um sein surreales Großwerk greifbarer, gar pointiert durchscheinen zu lassen, als dass er es immer wieder in der Überhöhung des Überhöhten zu verschleiern versucht? An jenem Rätsel verfremdeter Schönheiten wird der Widerspruch von Showfaktor und Misere vielleicht gänzlich vervollständigt, kann und soll sodann ja nicht weniger als delirierend-frustrierend wirken. Auf jeden Fall eine gute Erinnerung daran, dass der Winter kommt und sicherlich keinerlei Übel der Welt verstecken können wird.




Zurück zu Jet Li und dem Jahr 2001, schließlich verschlägt es den guten Mann zu mehreren Welten, da James Wongs „The One“ zur Jagd durchs Multiversum ansetzt. Als Superverbrecher Yulaw entledigt er sich dabei Stück für Stück seiner parallelen Pendants, um die durch alle alternativen Fassungen seiner selbst aufgeteilten Kräfte in sich zu vereinen. Er ist quasi der Kurgan, wenn dieser jedes Mal sich selbst enthaupten würde – übrigens auch eine tolle Gelegenheit für Li, sich in dutzende dumme Posen einzuleben und generell engagierter als ein Wong Fei Hung aufzuspielen. Gejagt wird er dabei von seinen ehemaligen Kollegen des MBI (Multiverse Bureau of Investigation), Roedecker (Delroy Lindo) und Funsch (Jason Statham mit bereits schütterem Haupthaar), die Yulaw davor aufhalten wollen, auch seine letzte Gegenvariante zu vernichten, da dies ungeahnte Folgen für die Galaxis bedeuten könnte. Doch wie das High-Concept so will, entkommt er und bedrängt nun den ausgerechnet enorm gesetzestreuen Polizisten Gabe Yu Law im Los Angeles unserer Erde, welcher außerdem ebenso unglaublich starke Kräfte besitzt, sich aber keinen Reim darauf machen kann. Die actionreiche Konfrontation der Beiden ist unausweichlich, für eine Spielfilmdauer von unter 90 Minuten recht optimal ausgefüllt und voller Missverständnisse, bei denen die Polizeikollegen und Freundin T.K. (Carla Gugino) erst recht nicht wissen, wie ihnen da zumute sein soll. Solch einer Prämisse nicht total unterhaltungsorientiert zu begegnen, wäre James Wong jedenfalls nimmer eingefallen, weshalb man sich mit der Transparenz des Ganzen recht schnell verstehen kann, nicht unbedingt anfreunden muss. Sein Film ist zudem recht jugendlich getrimmt, stets auf Schauwerte zusteuernd sowie die inzwischen typischsten Nu-Metal-Anlaufstellen auf dem Soundtrack vertretend, was ihn zum Relikt seiner Zeit, aber auch ein gutes Stück unbedarft macht. Einige Merkmale sind rückblickend dennoch leicht bemerkenswert, wenn man sie Witte-mäßig aufbauscht: In jedem Universum, ob es nun von Al Gore oder George W. Bush als Präsidenten der USA geführt wird, setzt Wongs Perspektive zur Etablierung stets auf die jeweiligen Gefängnisse an, in denen Fernseher mit den jeweiligen Staatsoberhäuptern laufen. Das Problem der Mass Incarceration, das sich hier schon prophetisch abzeichnet, ist inzwischen ein hitziges Wahlkampfthema angekommen, hier zudem von einer durchgängigen Gewalt gegen Autoritäten unterstrichen, bei denen der Status der Uniform in Fakern wie Yulaw ohnehin ambivalent aufgefasst werden kann. 


Was für ein düsteres Gesellschaftsbild, das hier jeweils zugrunde liegt, selbst im comichaften Ausbau des suburbanen Normalolebens nie vollständig aufgehoben wird. „The One“ mag in dem Gefühlsarrangement zwar auch nur ein Produkt seiner zeitgeistlichen Symptome sein, Ästhetik und Milieu irgendwo zufällig zwischen Rodney King und „Matrix“ gefunden haben, aber es wirkt jedenfalls nicht vollkommen abwegig, dass der PG-13-Film von der FSK weiterhin erst ab 18 freigegeben ist – die damalige Begründung stützte sich angeblich auf das Echo zu den Amokläufen in Erfurt und Columbine, irgendwie verliert der Film diese Bezüge auch dann nicht, wenn die Versionen Jet Lis - ob gut oder böse stets obercool - hier manch physikalischen Wahnwitz abziehen. Multischläge im Speedrausch, Supersprünge, mit Leichtigkeit metallbiegende Tritte oder auch das Zerquetschen des Gegners mit zwei Motorrädern in den Händen – bei der Bandbreite an Manövern dürfte Terence Hills „Supercop“ bestimmt ebenso der letzte seiner Art im Multiversum sein. Gleichsam schnippisch arbeitet sich der Film durch sein Sci-Fi-Action-Prozedere, wie es ein ähnlich konstillierter „Demolition Man“ noch satirisch gefüttert hätte, hier stattdessen mit einer Naivität funktioniert, die in ihrem Jungskino auch soweit ist, keine Aufmerksamkeit auf Gabe Yu Laws asiatische Herkunft lenken zu müssen oder gar Rassismus zu thematisieren, da die multikulturelle Kollegenschaft sowie Freundin T.K. wie selbstverständlich eher vom gegenwärtigen Fall der Identitätskanonade eingenommen werden. Vielleicht spielt der Film doch in einem vorteilhafteren Paralleluniversum zu unserem eigenen, höchstwahrscheinlich Kino genannt. Okay, ich spare mir jetzt noch weiteren schnulzigen Pathos zum Medium, schließlich muss man nicht mehr als nötig aus einem eskapistischen Reißer wie diesem rausholen. Aber man darf schon zugeben, dass die Actionszenen - vor allem im Duell Li gegen Li - in ihrer eleganten Klarheit weiterhin frisch mitziehen lassen, das Narrativ voller Klischees und Grellheiten ohne jeden prätentiösen Ernst launig zur Tat schreitet, allerdings auch den Spagat zwischen Unschuld und reeller Zwiespälte repräsentiert, wie er ab 2001 immer präsenter, gar aufgehoben wurde. Oder könnte man sich nach z.B. „The Dark Knight“ noch einen solchen Film wie „The One“ vorstellen? Gut, beide besitzen eine hohe Anzahl an Hunden (siehe „Der Hund im Film“, Achtung Eigenwerbung).




Apropos, wie unmöglich wäre inzwischen eine Verfilmung wie jene von Kenneth Branagh zu „Mary Shelley's Frankenstein“? Im Zuge von „Bram Stoker's Dracula“ produzierte Francis Ford Coppolas American Zoetrope auch diese Adaption als eine Operette für die Leinwand, bei der von Vorlagentreue nur oberflächlich die Rede sein kann, während im Innern pausenlos das Herz der um Aufregung bemühten Neunziger pocht. Branagh erlaubt sich vielleicht weniger expressionistische Spielereien und Effekte als Kollege Francis Ford, doch die Unmengen an Zoom und Bang, die in seiner Interpretation vorherrschen, definieren Horror auf eine Art, wie er seitdem nimmer mehr so romantisiert und brutalisiert zugleich auf den Mainstream losgelassen wurde. Nun sollte man nicht soweit gehen, das Ganze in „Meat Loaf's Frankenstein“ umzubenennen, schließlich ist das Monster (Robert De Niro) zwischen allen Ambitionen des selbst inmitten der Cholera flamboyant besessenen Viktor Frankenstein (Branagh selbst, dauernd mit nacktem Oberkörper unterwegs) für ein relativ zärtliches Portrait des vom Halbgott verstoßenen Menschenwesen gut, das vielleicht einen bedachteren Film erfordert hätte. Der Brite Branagh agiert in seiner Führung allerdings so amerikanisch, dass er sich nicht schneller an die Kreation des Unmenschen machen könnte, obgleich die Rahmenbedingungen entschieden vom Gros an Adaptionen abweichen, vermeintlich introspektiv bei der Kindheit Frankensteins ansetzen, seine erste Begegnung mit Adoptivschwester/zukünftige Ehefrau Elizabeth (Helena Bonham Carter) sowie den Tod der Mutter knapp 20 Jahre später aufzeichnen, an deren Grab er schon explizit proklamiert, dass er nach einem Ende des Todes suchen wird. Solche plakativen Kernsätze wie später auch „I will have my revenge, Frankenstein!“ ergänzen sich mit Szenen, in denen er anhand einer einzelnen blitzenden Wolke (witziger Effekt, ne) seinen Bezug zur Elektrizität herstellt, während sich die Kamera schon schwindelig dreht, um die Fassung der Charaktere darin zu begreifen. Das hört auch dann nicht auf, wenn der gute Viktor aus der Schweiz zum Studium nach Ingolstadt zieht und dort solange von den Professoren zum Thema Leben und Tod ignoriert wird, dass er sich an den leicht abtrünnigen Dr. Waldeman (ein unerkennbarer John Cleese) hängt und dessen Experimente mit dem Nachleben zu beerben gedenkt. 


Doch hätte er mal auf die Vorzeichen des Films gehört, die eine elektrisch wiederbelebte Affenklaue zum Knochenbrecher machen und eine gleichsam reanimierte Kröte mit Glas-sprengenden Kicks ausstatten, dass man schon die Ninja Turtles erwartet. Das audiovisuelle Konzept platzt ohnehin fast aus allen Nähten, so kinetisch und detailreich Branagh die Gotik als Abenteuer streift, Blut sowie Fruchtwasser spritzen lässt und Patrick Doyles Musik einen rührseligen Bombast in Richtung altdeutscher Dramatik à la Wagner thematisiert; in all dem Trubel aber fast schon vergisst, welch philosophische Kernspaltung in Shelleys Stoff gebettet ist. Wenn er selbst als Schauspieler involviert ist, versucht er dieser zwar in ausgewählten Szenen mit theatralischer Routine entgegenzukommen, doch die Motivation zu Manie und späteren moralischen Zwiespälten kann sich schon vom gehetzten Drehbuch nimmer glaubwürdig gewichten, höchstens nach CliffsNotes-Manier kohärent/spontan zusammenfassen, was ihn zum Zerstückeln von Gliedmaßen gebracht hat und vor allem mit was für einer unerklärlichen Apparatur er die Wiederbelebung ausführt. Zwischen den Zeilen ist insofern nicht viel zu holen, packend kommt das trotzdem halbwegs auf den Punkt, dass da ein Halbgott dem Tod trotzen will, dem profunden Grauen seines Handelns aber erst in dessen allzu menschliches Gesicht blicken muss, um seiner Verantwortung dafür aus dem Weg gehen zu wollen, nachdem er sich allen anderen verschlossen hatte. So hilflos der Mensch eben in die Welt geboren wird, ist auch das Monster nun verloren zwischen Leben und Tod, seinem Aussehen nach von allen verjagt und zwischen den Leichenbergen der Cholera versteckt, ohne Sprache, nur mit „The One“-artigen Kräften binnen der Verwahrlosung ausgestattet, wie Branagh das frühe 19. Jahrhundert eben auch in der extremsten Kluft zwischen Arm und Reich stilisiert, Frankenstein selbst quasi zum Bösewicht/Feigling der Vernachlässigung formt. Später wird sein Monster ihm auch klar machen, wie sehr es zwischen unbändigem Zorn und unendlicher Liebe pendelt, vom Vater eine Weisung braucht, ihn für seine Existenz hasst und doch ergeben um ihn trauern wird. 


Das Monster als empathisch-humaner Kern, abgekoppelt vom künstlichen Nabel eines Göttergleichnis, funktioniert eben auch, weil es als einer der wenigen Faktoren des Films langsam ist, Zeit zum Wachstum erhält, sich von Grund auf gut für eine armselige Familie im Wald einsetzt, die Belohnung einer kleinen Rose im Ärmel pflegt und dann doch von deren Reaktion auf seine Erscheinung enttäuscht wird. Klar kann man da amerikanisiert heraus lesen: „Anders sein tut weh.“, doch das Verständnis für den Außenseiter - auch anhand eines blinden Mannes, der sein Mitleid in der Abtastung des Gesichts ausspricht - kauft man noch am Ehesten ab, ehe Elizabeth ihrer Sehnsucht für Viktor nach zur Hochzeit bewegen will (klingt nach „Immensee“, ebenso voll mit Tänzen, Erinnerungen und rahmenbildenden Flashbacks im Schnee) und ansonsten nicht damit leben könnte, was er vor ihr verheimlicht. Die anschließende Hochzeitsnacht inklusive Coitus interruptus ist durchaus wieder Meat-Loaf-verdächtig auf den Spuren anderer Romanverfilmungen nach Movie-of-the-Week-Prinzip unterwegs, demnach der kitschige Kontrast zu Begegnungen im Eis, die Frankenstein mit seinem verlorenen und wütenden Monster eingeht, um weitere Todesfälle (nach Viktors kleinem Bruder und einer Bediensteten) im Nachspiel seiner Verantwortung zu vermeiden. Wie in Coppolas Dracularama ergibt sich eine Dreiecksbeziehung zwischen Mann, Frau und Monster, was die Angelegenheit für Frankenstein selbst noch mal pointierter ins Herz schneiden lässt, aber eben wieder auch auf Branaghs operettenhafte Attitüde zurückweist - allein diese riesige Treppe und manch ausgeschrieenes „No!“ inklusive Kamerafahrt in die Lüfte. Die Vermengung dieses brachial zelebrierten Körpers mit der durchaus präsenten Gehirnmasse an existenziellen Dilemmata scheint nicht durchweg reißfest, enthusiastisch und doch verhalten, manchmal sogar passiv am Dasein seiner Kreaturen interessiert. Es mangelt an Intimität, doch genau die sticht im Kanon des Expressiven am Gelungensten heraus, bis die Schlussminuten beides konträr wie stimmig als Klimax leidenschaftlicher Gewalten vereinen. Ganz nach Art des Monsters: Durchaus optimierbar, als Imperfektion dennoch sehenswert.

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