Sonntag, 12. März 2017

Tipps vom 06.03. - 12.03.2017


Ieelb Eelsr,

lasst mich von Vornherein klar stellen, dass ich mich selber wieder mal am meisten glücklich schätzen kann, dass aus dieser Ausgabe überhaupt etwas geworden ist, denn im Endeffekt hatte ich meiner grandiosen Planung wegen hauptsächlich erneut nur am Samstag hierfür Zeit, eben Texte, Bilder und Erinnerungen zusammen zu tragen sowie als wöchentliche Revue salonfähig zu machen. Ich zweifle sowieso schon an mir selbst, warum ich dauernd so schwer mit der Clock umgehen kann und sogar glaube, dass ich mir mit der Banner-Erstellung noch mehr davon wegnehme, anstatt gute Filme zu sichten und auf kritischer Ebene durchzuargumentieren. Wäre ja im Grunde kein Ding, sich mit den potenziell starken Stoffen sowie einem geregelten Raum fürs Schreiben entspanntere Stunden zu leisten, aber nee: Man muss ja länger als nötig ausschlafen, dann noch an die Arbeit denken, von der das Einkommen herrührt sowie auf Einladungen eingehen, die man gerne auch ausnahmsweise einmal auslassen könnte, wenn man denn nicht so ein Gewohnheitstier wäre. Quatsch mit Soße, für solch eine Selbsterkenntnis bin ich nicht qualifiziert genug – zu alledem weiß ich auch jetzt schon wieder, dass nächste Woche mit einem Übermaß an Filmen angereichert sein wird, also: Be careful what you wish for – richte ich übrigens hauptsächlich an mich selbst. Ein Tag hatte es dieses Mal aber besonders in sich, nämlich der Dienstag. Nach einigen Monaten an Komplikationen und verschleppten Arztbesuchen begab ich mich endlich zu einem Kieferchirurgen, der mich von meinen grausamst vergammelten Weisheitszähnen am Oberkiefer befreien sollte. Außer den Milchzähnen wurde mir noch kein Beißer herausgezogen, also war dieses erste Mal solch eine Granate an Ungewissheit und Angst, dass ich nicht wusste, ob ich a) in die richtige U-Bahn eingestiegen bin, b) mir die richtige Uhrzeit zum Termin abgespeichert hatte, c) erst ein Vorgespräch haben oder gleich zur Behandlung übergehen sollte, d) Betäubung und Schmerzen aushalten könnte. Voilà, eine mittelschwere geistige Umnachtung verfolgte mich bis in den Behandlungsstuhl, dass ich kaum sorgenlos mit jemandem kommunizieren konnte, beim Lesen des Buches „Glorious Technicolor“ und Ausfüllen des obligatorischen Fragebogens zur Person endlos nervös überflüssige Zittrigkeiten vollzog.

Die 'Magic Hour' in Hamburg, geschossen am Donnerstag

Dann kam der Doktor, sah sich das Elend an, meinte dann, dass erstmal nur ein Zahn gezogen werden könne und spritzte schon beinahe unbemerkt das Betäubungsmittel ins Fleisch. Ein paar Minuten Wartezeit brachten die Wirkung an den Mann und nach gefühlt zehn Sekunden und einigen beherzten Griffen/Zangen an der Kauleiste war der Übeltäter auch schon rausgebastelt, obgleich das Knirschen und Brechen des Zinken noch den ganzen Tag über im Ohr blieb. Die Moral von der Horrorstory: Nach dem Eingriff gings mir in etwa nie besser und auch sobald die Betäubung wieder außer Kraft war, konnte ich mich weder über Schmerzen noch über Blutungen beklagen. Also: Ab zum Filmclub am selben Abend! Der Weg dorthin wurde lediglich vom Konvoi des türkischen Außenministers unterbrochen, der dank seiner Räudenpropagandatour mittelschwere Staus verursachte und eine Handvoll fahnenschwingender Dösbaddel inklusive Ghettoblaster mit Polizeischutz adelte. Live vor Ort einfach dran vorbei gehen, hat auch was für sich, aber ansonsten ist ja wie schon alle Wochen zuvor nicht gut Kirschen essen mit der ganzen Problematik. Zumindest kann ich noch froh sein, mir eine Krankenversicherung und derart unkomplizierte Zahnbehandlungen leisten zu können, anstatt mich der brandaktuellen Trumpcare geschlagen geben zu müssen. Das deckt soweit den persönlichen Bezug zum Weltgeschehen dieser Woche ab, ansonsten gab es noch soviel an Mord und Totschlag und allerlei, das ihr sicherlich schon im Nachrichtenportal eures Vertrauens nachgelesen habt, also: Geschenkt! Wem aber noch vertrauen, wenn die CIA überall ihre Lauscher auf hat, hmmmmmmmmmmm? Man, dieser Assange; ein Tool muss eben tun, was ein Tool so tool muss, selbst wenn's wie mit Hillary mehr als wackelig und parteiisch ausschaut. Boah, verschon' uns mit deiner halbgaren politischen Bildung, Witte, höre ich euch da jetzt sagen – Euer Wunsch sei mir Befehl! Schließlich habe ich ja noch die eine oder andere Kuriosität aufgegriffen (ergo nicht unbedingt nur die Blödheiten der Goldenen Kamera), wie diesen einen Totalausfall, der Pro7 bei der Ausstrahlung der Simpsons am Montag ereilte – Klickt hier für einen Eindruck jener Dauerwerbesendung für Le Snotterie. Außerdem:

Und sowieso hoffe ich natürlich, dass ihr alle einen schönen Weltfrauentag am Mittwoch verleben konntet! Zu Ehren jenes Tages kommt diese Ausgabe an besprochenen Filmen ja sowieso schon zu spät, aber in zwei Titeln ist jeweils eine Ikone der Weiblichkeit genannt, im Werk dazwischen sind allenfalls noch leichte Damen zugegen. Wie gesagt, gute Vorbereitung ist nicht unbedingt mein Steckenpferd, dennoch hoffe ich, dass diese Tipps, von denen zwei ja auch noch etablierte Klassiker sind, ein jeweils aufregendes Klettern in sozialen Strukturen darstellen, von denen unsere Titelhelden Sehnsucht und Eigensinn abkriegen, nicht nur unbedingt Schüsse ins Bein, ins Fell oder glatt durch den Schuh, sondern anhand eines spannenden Umgangs mit ihrer natürlichen Umgebung sowie eines erkenntnisreich verrückten Konflikts mit bislang unbekannten Neuigkeiten auf dem Pfad der (Selbst-)Zerstörung! Also dann: Paris, Hamburg, New York, Skull Island, ihr Weltmetropolen unserer Zeit – wir sind startklar!




Die schönste surreale Komödie kann ja nur von Louis Malle kommen, direkt um 1960 eine vorzeitige Überhöhung des Nouvelle-Vague-Schnittprinzips anleitend, sobald das deftig turbulente Top-Kid „Zazie“ die Metropole Paris aufmischt. Den kompletten Titel inkl. deren Zustand „in der Metro“ wollte man sich zur hiesigen Erstaufführung wohl der reinen Faktenlage wegen nicht gönnen, dafür die FSK-18-Freigabe angesichts einer Slapstick-Anarchie im Überschallmodus, welche Alltag, Autoritäten und Co. kreuz und quer ins audiovisuelle Tohuwabohu jagt, den urbanen Schlafrock der Identitäten sowie sozialen Muster bis in die Nacht hinein abschält. Nicht mal ansatzweise so maßgeregelt leichtfüßig wie z.B. „Tatis herrliche Zeiten“, gibt sich die Stadtdynamik urigster Typen, Mädels und allem dazwischen zu alledem auch gerne dafür her, eine Kanonade der Enthemmung binnen permanenter Reibung zu bilden, eben eine Zufriedenheit im Überschäumen der Energien darzustellen, wenn sich Liebe, Frust, Arbeiterklasse, Rotlichtmilieu, Tourismus und viel zu volle Vehikel auf allen Wegen treffen, in den Straßen ineinander verkeilen sowie an der Spitze des Eiffelturms balancieren. Bei Ein- und Ausfahrt in jene Gegend kriegt man noch nen wohligen Pfiff mit auf den Weg, das Tempo wird beim Empfang durch Onkel Gabriel (Philipp Noiret) aber schon an jeder Framerate vorbei geschossen, wo auch der Umgangston dazu, wer wie stinkt, in eine rhetorische Pointe von vielen mündet. Erwartungen lassen sich zwar gerne etablieren, doch die Göre (Catherine Demongeot) und ihre Gesellen umspielen jede reelle Schlussfolgerung per Fingerschnips der Inszenierung – Positionensprünge, Stopptricks, ein Stimmungskaleidoskop in Eastmancolor: Wo Stummfilme und Zeichentrick zuvor schon des Mediums Lust am Experiment zum Eskapismus ausgelotet hatten, bringt Malle seine Demontage/Glorifizierung der Stadtvielfalt aus der Kinderperspektive zur Eskalation, ohne es auf das gesellschaftskonforme Ideal des Kindseins zuzuschneiden, stattdessen dessen Chaos der Fantasie einen Spielplatz anzubieten, der sich selbst stets zur Jagd aus Leidenschaft zum Gegenüber, Überfluss und Geltungsdrang motiviert. Exemplarisch dafür geht auch Vittorio Caprioli auf die Barrikaden, sich mehrfacher Rollen anzunehmen, im Wirrwarr der eigenen Antagonistenfunktion jeweils den aristokratischen Kidnapper, Markthändler, Flic und Fascho mit wie ohne Bart zu steigern.


Kleider, Kohärenz und individuelle Stilführung verknoten sich da voller Selbstverständlichkeit zur Lächerlichkeit, ebenso die Kulissen in einer Montage unmöglicher Höhenflüge und spontaner Transformationen, bis auch der typischste Klamauk aus dem Kintopp knallrot wird, Zazie alles und jedem ein „Leck mich am Arsch“ gönnt, durchweg keck und froh auf Reisen jenseits jeden Streiks und aller Physik geht. In der boulevardesken Posse (nach dem Roman von Raymond Queneau) drum herum wimmelt es dann natürlich auch von Stereotypen erwachsener Verzweiflung, ebenso überzuckerter bis pathetischer Träumerei, die sich zeitweise noch scheut, ihr wahres Gesicht zu zeigen, u.a. Zazies zig Fragen zur Homosexualität ausweicht, obgleich das (ohnehin androgyne Jeans-) Kind von allem gespielten Regelzwang Bescheid weiß, sodann die Befreiung anstichelt, so wie die Travestie darauf schon aus der Litfaßsäule springt bzw. zur Nacht hin die große Feier vorausschickt. Da lässt sich zeitgleich die Mütterlichkeit, Würde und Ruhe der Freundin Gabriels, Albertine (Carla Marlier), gewiss nicht verpassen, sobald an ihr und dem verrückten Ensemble drum herum der Jazz zum Zeitraffer der Neon-Strahlen angestimmt wird, das wilde Leben binnen der Reizüberflutung in Geborgenheit bettet. Doch auch wenn der lange Tag der Blödelballerei irgendwann sein Ende in der Vervielfachung und Erschöpfung des Enthusiasmus finden muss, kann sich der Zuschauer schlicht keiner Ruhepause ausgesetzt fühlen, so wie sich das Tänzeln der Entrückung auf viele kleine Schönheiten und Überraschungen stützt, in seiner Entladung das Spektrum filmischer Erzählung verquickt und dessen Mittel bricht, ehe die große Keilerei zum Schluss wiederum das Erwachsensein im Kreise der Kindlichkeit feststellt. Prompt fallen alle Ziegelwände, sodann knallen Schüsse aus der Schuhsohle und Rückprojektionen um die eigene Achse, dass sich das ganze Studio aus den Angeln hebt. Auf die Frage der Mutter hin, was sie so alles erlebt hätte, hält sich Zazie dennoch halbwegs unbeeindruckt zurück, schließlich sei sie vor allem um einiges gealtert. Was für ein Troll, aber zumindest einer, der uns am Wunderland herzlicher Frech- und Freiheiten teilhaben lässt, bis die Schwarte kracht.





Ein paar neue Gestalten sollte man ja immer Woche um Woche mit ins Boot holen, daher begrüße ich Walter Bockmayer und seinen Lebensgefährten Rolf Bührmann, die anno 1983 als Regisseure und Autoren im „Kiez – Aufstieg und Fall eines Luden“ aufgeräumt haben, eine Chronik von hoher Absturz- wie Pointenleistung zu installieren. Bockmayer inszenierte zuvor schon die Bühnenfassung der Vorlage aus der Feder Peter Greiners, für die Leinwand begibt man sich jedoch umso effektiver in die steilsten Ecken der Siffigkeit, welche Hamburg für den Berliner Cowboy Knut (Wolf-Dietrich Sprenger) zu bieten hat. Der hagere Antiheld mit Dalton-Brüder-Schreckschussvisage knüpft sich jedoch so fix wie er ins Ambiente reinräudet gleich ein Opfer vor, dessen ausgebeutete Naivität im Grunde schon jedes Mitleid in die Theorie verfrachtet, ganz gleich, welch brutale Prozesse der Film an ihr via punkiger Gnadenlosigkeit (u.a. von der Gruppe „Die Partei“, einigen Hafenschenken-Evergreens und Pete Tex) amplifiziert: Heinke (Katja Rupé), frisch vom Dorf in den Kneipen verloren und direkt in den Kerl verliebt, weil der tagein tagaus rödeln kann und einen als erste sexuelle Erfahrung scheinbar blind bumst, trotzdem kaum noch ein Frühstück, geschweige denn Kost und Logis des Stundenhotels abbezahlen kann. Also gibt es von ihm ganz kalt und manipulativ verklickert die Forderung, dass sie doch auf den Strich gehen könne. Tja, das soziale Elend nimmt seinen Lauf und fetzt sich von Freier zu Freier, was seine Wahrhaftigkeit spätestens dann gegen „Babystrich im Sperrbezirk“-Vibes eintauscht, sobald die Synchro einige Kleindarsteller äußerst drübber übernimmt und ohnehin durchweg das Spencer/Hill-Klatschen für Prügeleien einsetzt. Nicht, dass die Milieu-Situationen zudem spekulativ ausfallen würden, doch der Umgangston scheut sich vor jeder noch so subtilen Exposition, wenn er stattdessen verbale wie non-verbale Eskalationen en masse anleiern kann.


Passt ja auch zu der asozialen Klientel, mit der sich Knut allmählich so vertraut macht und trotz aller Querelen als quasi-familiäres Bündel bewandert/anschnauzt. Da lässt er sich sogar eine Zigarette auf dem Arsch ausbrennen, um als Aushilfsbarkeeper die paar Kröten eines Saftladens vor Gangstern zu verteidigen, die allerdings auch nur von Kumpel Nil (Rainer Philippi) angeheuert wurden, welcher ihm jene Stellung ohnehin der reinen Schuldentilgung wegen verschafft hat. Der Macker mit Sonnenbrille, Hut, schroffster Tanztalente und übertrieben abgeklärter Attitude kreischt tatsächlich die verrücktesten Ausbrüche ins Geschehen hinein, bringt Knut aber noch zum Dreier binnen der Verführung Minderjähriger in die Kiste, wie er ihm auch die im Innern ausgehöhlte Ditte (Brigitte Janner, fast schon einer älteren Schwester Rupés gleich) sowie einen Klunkerraub von bisher ungesehener Grobschlächtigkeit andreht. Letzteres bringt Kurt dazu, ihn zu verpfeifen, was nur bedingt vom Ehrgefühl eines „Scarface“ zeugt, als von einem unausweichlichen Hang zur Konfrontation mit Ego-Vorteil. Knut scheißt auch partout auf die Haus- und Kinderträume von Heinke, schlägt bei schreienden Nachbarn pflichtgemäß beinahe alle Wände ein und bölkt die Vermieterin mit fuchtelnd behaartem Gehänge an, wenn er müde und mit vollen Taschen aus der Nacht zurück getorkelt kommt. Der Mann ist eine schön hässliche Vollkatastrophe, der Lage entsprechend auch auf Prügelkurs mit sich sowieso gegenseitig fetzenden Transvestiten, die nicht bloß jede Beerdigung mit Schmackes aufstacheln können, wenn sie im Dauerzustand der Hysterie dieses Films - wie schon die Gespräche unter Frauen - auch nur als kleinere Flamme agieren (Auftritte der Bockmayer-Entdeckungen Hella von Sinnen und Dirk Bach sind trotzdem zu begutachten).


Kleinere Durchhänger in der Dramaturgie werden ohnehin nicht vermieden, schließlich ist eher der „Fall des Luden“ die vorherrschende Gefühlslage bei dem Arsenal an Notlügen, polierten Fressen und Exploitation, das den Vergewaltigern Heinkes eine Buddel aufmacht, später auf der Flucht mit Ditte in den Geldbeutel der Schwester/Schoß des Schwagers greift, um sich beim Saus und Braus vom Fick und Sauf schließlich in die Haare zu kriegen. Scherge Charly (Karl-Heinz von Hassel) ist mit „geilen Porno-Stories“ und Eichelcreme allerdings dann noch der treuere Dreh- und Angelpunkt für Geschäftsniete Knut, der die Schnauze wie auf Knopfdruck irgendwann auch wieder voll hat und Ditte zum Ausraster einer ohnehin schon verlorenen Existenz verleitet, der sich vielleicht Caterina Valentes „Kismet“ drüber legt, jener Romantisierung - wie man sie auch dem ortsansässigen Kintopp von Rolf Olsen ansah - aber kaum noch gerecht werden will. Die 80er sind weit fieser als Tetanus-Quelle belichtet, mit der Spritze an jedem Geschlechtsteil und der Krankheit dazu dran, im Ballungstempo einer Reißer-Kolportage zwar ultravulgärer, aber nicht minder am Abgrund wie „Paul“ zugegen, dementsprechend aber auch stilistisch nicht so vordergründig an Tristesse beladen, wie man jetzt von den geschilderten Prozessen vermuten könnte. Das menschliche Drama spielt seine Schockwirkung eher im Hintergrund aus, Bockmayer und Co. schaffen insofern eine Übertönung nach „Polyester“-Prinzip, bei dem selbst der brutalste Schlag - den haushoch sich selbst kaputtformulierenden Typen sei dank - zuallererst als Zwerchfellangriff funktioniert. Kommt wohl auch darauf an, wie weit der moralische Abstieg beim Zuschauer von Vornherein fortgeschritten ist, doch wenn sich ein Film der Beihilfe freut und trotzdem auf die moralische Gnade der Elbe hoffen kann, dann dieser „Kiez“.


Ein-Satz-Kritiken für zwischendurch!

Das Hochzeitsbankett“ - Als Culture-Clash-Dramödie noch in manch durchkonstruierter Prämisse und Schicksalsmelodramatik voll emotionaler Erpressung eingeordnet, hält sich Ang Lee dennoch überwiegend behutsam im Interessenkonflikt an Generationen auf, das sich binnen vielerlei Notlügen aus Tradition am Bekenntnis zur Homosexualität vorbeizuschmuggeln versucht und die Wahrheit als Staudamm familiärer wie individueller Liebe kontinuierlich anschwemmt, sobald die Eltern aus Taiwan zu Besuch kommen und auf einen Stolz hoffen, den der Sohn lediglich in der Scheinehe erfüllen kann, während die Inszenierung tolerante Signale eines Kompromiss zwischen den Welten sendet, aber in einer wahrscheinlich noch belastenderen Ballung an offenen Geheimnissen endet lässt.

Bone Tomahawk“ - Der erfrischend unaufgeregte Neo-Western-Gegenentwurf von S. Craig Zahler hantiert zwar ausgiebig mit Topoi und Typen des Genres, bleibt dem Selbstzweck einer Bedienung von Erwartungen jedoch per konsequenter Entschleunigung fern, deren naturalistische Schlichtheit zwar nicht durchweg an Essenz gewinnt, wenn das Ensemble mit den einfachsten Sinnlichkeiten, Idealen und Sehnsüchten seiner Ära in den moralischen Diskurs gerät, binnen der durchweg ebenso pragmatisch gehaltenen Einkehr an Gewalttätigkeiten aber umso stärker nachwirkt, wenn jeder Pathos im Halse stecken bleibt, zwischen den Zeilen zwar auf die Versprechungen des letzten Opfers setzt, in dieser Referenzarbeit strikter Verdammnis aber auch mehr als oft als Stein in den Sand ohne Horizont fällt.

Rauchzeichen“/„Pink“ - Weitere Begegnungen mit Rudolf Thomes Werk sind garantiert, doch diese Spätzünder an verkappten Altherrenfantasien, von der Degeto geförderten Urlaubswochen und weltfremden Berührungsversuchen zur Natur allgemein sowie den Konflikten wechsellauniger bis aufrichtiger Beziehungszufälligkeiten ziehen einen im Doppelpack bewusst weniger per Stringenz oder Überzeugungskraft mit, als dass sie mit der Trivialität ihrer Protagonisten auf natürlich absurde Pointen zusteuern, auch Kitsch im Tempo zielloser Redundanz zueinander führen, teils höchst spießige Ideale des Glücks (4 Hochzeiten und 2 Teiche) abspulen lassen, aber nimmer daran mangeln, ein liebenswertes Karussell kurioser Menschlichkeit zur Spontanität anzuregen und gelegentlich sogar der Faszination zur Beobachtung zu verfallen.

So, jetzt geht's weiter im Text!




Steht es überhaupt noch zur Debatte, ob es etwas Tristeres gibt, als über die Qualitäten eines etablierten Klassikers zu schreiben? Ich hadere beim Schreiben dieser Zeilen grundsätzlich mit der Frage „Müssen die Leser das wissen?“, insbesondere, wenn jene zu einem Beispiel wie „King Kong und die weiße Frau“ schon in Hülle und Fülle beantwortet wurden – doch einige persönliche Eindrücke zur unverbrauchten Größe des Films sollten durchaus noch drin sein, insbesondere wenn sein Erbe via „Kong: Skull Island“ etwas von dieser lernen könnte. Und das fängt einfach schon - ab den ersten schlicht und schmerzreich gereiften Sequenzen - bei der Charakterisierung des Menschenensembles an, das hier aus dem Alltag der Großen Depression Stück für Stück an ein Klimax des Kinos geführt wird, welches seine Maßnahmen des Eskapismus im Rausch des Entdeckens reflektiert, als Tauziehen der Gewalten umsetzt und in dessen unvermeidliche Selbstzerstörung klettert. „Beauty killed the beast“, weiß der Unternehmer und Reißaus-Regisseur Carl Denham (Robert Armstrong) im Angesicht seiner eskalierten Ambitionen zu sagen, wenn die Vergänglichkeit der Ablenkung, die brutale Offenbarung der Gefühle vom Empire State Building gestürzt wird. Die Begrifflichkeiten seines Zitats sind austauschbar wie so ziemlich jedes Kontrastprogramm, das sich in diesem Fall aus Größenverhältnissen und Ursprüngen bis ins Märchenhafte hinein bildet - sein Wille zur Verknüpfung jener Variablen bleibt aber durchweg ein ehrlicher; ideell auf eine Art Fortschritt gesteuert, die zwar den Kommerz vorspielt und sich trotzdem so menschlich darin verhaspelt, sein Hau-Ruck-Anliegen zur Neuerfindung als Zeichen der Empathie durchsickern zu lassen. Der naive Charme des einst sehr jungen Hollywoods kommt an Denham zum Vorschein und ist da weitab vom bestimmt schon präsenten, aber erst später verstärkten Zynismus zur Industrie – insbesondere, wenn er Ann Darrow (Fay Wray) zufällig beim hungergesteuerten Stehlen trifft und ihr eine Chance zum bezahlten Abenteuer der Schauspielerei anbietet.


Der Gönner wird ihr und der Crew Richtung Skull Island zwar partout die Gefahr verheimlichen (zeitgleich Spannung und Erwartungen aufpumpen), doch an ihm sieht man weder den Schürzenjäger noch einen Ausbeuter, wenn er die abendliche Stille (!) und Ungewissheit New Yorks mit dem schlichten Versprechen des Fluchtgedankens reanimiert, seine kurzzeitige Illusion als gemeinsames Ziel anspricht, das den Helfer im Ton des Schaumännischen entlarvt. Die Regisseure Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack ziehen einen mitten in die Ära der Verzweiflung rein, fortan ist die Reise zu Kong eine willkommene Immersion, die ihre zeitgemäßen Ungleichheiten (auch den mehr oder weniger latenten Rassismus) trotzdem nicht verbergen kann, allerdings gleichsam thematisiert. An Bord des Schiffes Venture zur Expedition der inszenierten Naturdokumentation Denhams ist der delikat an der Lächerlichkeit vorbeischrammende Topos des chinesischen Kochs Charley (Victor Wong) ebenso vorhanden wie die Abneigung zur Präsenz einer Frau innerhalb der Mannschaft – Urheber letzteren Kontras ist John Driscoll (Bruce Cabot), welcher schließlich dennoch mit dem Wesen Anns per du sein wird, da die übergreifende Motivation des Neuen auch seine harte Schale weich klopft. Die Vorschau kommender Ereignisse setzt sich sodann auch an Testaufnahmen fort, in denen Denham (parallel dazu Cooper/Schoedsack) seine Schauspielerin zu Begeisterung, Furcht und Verführung vor dem Unsichtbaren anleitet, so wie die Szene nicht nur den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm anspricht (Max Steiners Musik war hier auch als erste zur Untermalung von Dialogen im Einsatz), sondern auch den Quantensprung in der fortwährenden Involvierung von Spezialeffekten als neues Markenzeichen filmischen Erzählens vorwegnimmt. Bis dahin folgt noch die Begegnung mit dem Abziehbild eines urtümlichen Inselvolkes, das seine geheimnisvollen Traditionen zu hüten weiß und auch auf den Wegen behutsamer Verständigung nur dann zu einem Kompromiss des Kameraeinsatzes bereit ist, wenn Ann sowie ihre Erotik der Unschuld als Opfer zur Verfügung gestellt werden kann.


Der Clinch mit dem Austausch an Ressourcen zieht sich offenbar durch alle Stationen der amerikanischen Geschichte, an diesem Punkt eskalieren dann auch die Selbstverständnisse parteilicher Ansprüche, die sich insofern entspannen, da King Kong ebenso an Ann Gefallen findet. Wir als Zuschauer verkumpeln uns aber mehr mit dem Riesenaffen, der da in seiner archaischen Stop-Motion-Form angestapft kommt, so roh und lebhaft in erstmaliger Verwirklichung auftritt, dass man sich selbst in einer historischen Begegnung wiederfindet. Allein auch dieses Dauergrinsen, wenn zur animatronischen Variante des Kopfes geschnitten wird! So durchschaubar die Effekte von Willis O'Brien jetzt teilweise auch sind, mit denen Kong und weitere Inselmonster zum Angriff übergehen: Ihre Bewegungen als Urzeitgiganten versprühen so, weit ab von der Perfektion, die sinnigste Lebendigkeit; kratzen sich, sind manchmal viel zu schnell sowie von Szene zu Szene unstet in der Größe, ohnehin fast schon lautlos für ihre Umwelt. Passt ja auch zur vorherigen Stille der Depression, an sich schon unwirklich verdichtet, hier jedoch anhand der Brutalität des Ganzen und der Riesenmauertür davor mit Gebrüll zum Ausbruch gebracht, indes die Mannen der Venture mehreren Viechern grausam zum Opfer fallen und Kong zum Schutze der holden Maid zudem den unfassbar spannenden Kampf mit einem Saurier eingeht. So ruppig wie das im magischen Dschungel vonstatten geht, trägt einen die Unberechenbarkeit mindestens so effektiv ins Eingemachte des Zelluloids wie die Urgesteine eines Méliès, doch was man eventuell eher als historisches Archiv empfinden könnte, wird emotional weiterhin als das achte Weltwunder innerhalb der Materie wahrgenommen. Es besitzt eben auch ein Großmaß an Persönlichkeit! Man bedenke, wie drollig Kong an Anns Klamotten schnuppert, im Gegenzug jedem Widersacher die Kiefer ausrenkt oder die Eingeborenen in eigenen Gebiss mampft, diese im nächsten Moment auf den Boden klatscht und platt tritt. Ist ja auch per Definition ein Monster, deshalb ist's ja auch ok, wenn Denham Betäubungsgasbomben auf die Kreatur wirft, Ann permanent vor Angst kreischt und mit John zur gemeinsamen Rettung an manch gefährlicher Liane hangelt – den verratenen Liebhaber an Kong vergisst man aber so schnell nicht.


Ebenso wenig diese Reminiszenzen/Schuldgefühle an den Prozess der Sklaverei, sobald Kong von seinem Königsdasein weg nach Amerika verschifft und des Entertainments wegen ausgestellt wird, was einen als Zuschauer fasziniert und doch ankotzt. Die Wut des Entwurzelten tritt da erst recht als Element des Mitgefühls auf, doch der Film maßt es sich trotzdem nicht an, innerhalb der Parteien einen Vorzug zu gewährleisten. Denham und sein Publikum (also auch wir) sind ihrer human condition wegen auf Angebot, Nachfrage und Enthemmung gegenüber der Alltagsschwere vor Ort, füreinander da und dennoch vom eigenen Drang höherer Ziele abhängig (gemacht). Kong ist ebenso von der Sehnsucht getrieben, von seinem Volk vergöttert, welches er der Liebe wegen rücksichtslos verspeist und binnen New York ebenbürtige Zerstörung anzettelt, wenn sein Status angesichts ihm unbekannter Mächte herausgefordert wird. Die Menschheit und der Riesenaffe erwischen sich da auf gemeinsamen Fuße, sprich: King Kong gegen die Große Depression auf der Spitze der Welt, deshalb lassen sich die Subjekte binnen „Beauty killed the beast“ in ihrer tief tragischen Wechselwirkung ja auch so einfach austauschen – ganz zu schweigen davon, wie stark man Kong auf diesem Wege ohnehin vermenschlicht wahrgenommen hat, dass Denham seinen Werken Beauty und Beast gleichberechtigt wehmütige Herzenstreue vermittelt. „Die Fabel von King Kong“ (Erstaufführungstitel) lässt sich u.a. bestimmt nicht ganz ohne jene Rhetorik wahrnehmen, mit welcher der weltweite Rechtsruck derzeitig auf seine nationalen Identitäten Anspruch zu nehmen versucht; jene Krise war anno 1933 sowieso keine Neuheit, in der Geschichte des zum Kultobjekt avancierten Kong aber schon darin entkräftet, wie universell die Größenverhältnisse auf sich gegenseitig abfärben sowie zur Begeisterung angeregt sind, aus verschiedenen Perspektiven im Aufeinandertreffen mit ihren Ängsten überrumpelt oder auch umarmt werden, Hürden des Menschenmöglichen überwinden, von diesem ebenfalls zu Fall gebracht werden können. Das nur mal kurz zu diesem Meilenstein der Filmgeschichte, der sich in unter 100 Minuten Laufzeit auf eine Reise des kollektiven Ichs im Verhältnis zur Leinwand und seinen Geschöpfen gemacht hat, bis heute bahnbrechende Neuheiten draus herbei gefördert hat.

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