Sonntag, 18. März 2018

Von Versuchen, Menschen näher zu kommen (Tipps vom 05.03. - 18.03.2018)

Dieter Degowski Richy Müller Rösner Jürgen Vogel 50 Cent


Liebe Leser,

in den letzten Wochen war immer so viel los im Leben des Witte, dass ich mein Hobby der Filmkritik zwangsläufig vernachlässigen musste. Kleines Beispiel: Da ist ein Musikvideo erschienen, wo einige Einstellungen von Kränen und Abrissbirnen meiner Kamera führenden Hand entstammen! So kann es einem ergehen, aber denkt ja nicht, dass ich nur wenige gute Filme sah, oh no! Hier hat sich von der reinen Menge her vieles angeboten, aber sobald ich mir die Zeit nehmen wollte, lange und ausgiebig schriftlich darzulegen, warum sie mir gefallen, machten mir externe Faktoren wieder einen Strich durch die Rechnung. Sind halt jetzt andere Zeiten als noch vor 3 oder 4 Jahren. Habe selber letztens drauf zurückgeblickt und war überwältigt, wie viel und in welcher Menge an Abschnitten hier jeweils Woche für Woche an Filmen empfohlen wurden! Aber es braucht keine Traurigkeit in solchen Zeilen – ich mach ja weiter, nur anders (?)! 


Annihilation Poster 2018


Das ist eventuell die Schlusspointe des neuesten Netflix-Release „Auslöschung“, aber da sind sich ja nicht alle einig, wo doch so viele Theorien der Aufschlüsselung herumgereicht werden. Vielleicht ist’s eh nur eine künstliche Aufregung um einen Film, der seinen Ruf nur bedingt einlösen kann. Zu komplex für den Kinoeinsatz sagen die einen, Sci-Fi-Meilenstein proklamieren die anderen. Ich will’s nicht so eng sehen, denn mir ging er höchstens im Finale richtig nahe – da war Alex Garlands Inszenierung auf einmal so stark konzentriert im Sog, so vom Bauchgefühl her und nonverbal im Kosmos unbekannter Ängste und Mimikry herantastend, wie es der ganze Film gerne hätte sein können. Vorher allerdings gibt er einen recht mäandernden Rahmen vor, wie genau das Spannungsfeld erneuter außerirdischer Invasion zu verstehen ist: Eine Expedition ins Herz der Finsternis als Selbstbeweis Natalie Portmans für die Wissenschaft oder auch wahlweise den Ehegatten (Oscar Isaac) – von Anfang bis Ende so schicksalsschwer mit Rückblenden und ausgestellten Mysterien beladen, dass es dem kollektiven Schauspiel schon die Luft abwürgt. Portman allerdings ist seit jeher stets bemüht, echte Menschen darzustellen – hier muss sie sich zudem in eine oberflächliche Crew einreihen, die ihr Handeln zwar ausgiebig (manchmal auch sehr plump) verbalisieren, aber eben nur vom angeteaserten Rollentypus her (bzw. manchmal auch gar nicht) motivieren kann. Genauso verhält sich Regisseur Garland mit seiner fulminanten Bilderwelt, die an sich eigentlich gut mit Faszination liebäugelt, aber stets auf Distanz bleibt, ebenso frustrierend an der Immersion vorbeimontiert ist.



Man könnte argumentieren, dass das von der vorsichtigen Lösungssehnsucht der Charaktere herrührt - auf dem Papier sollen sie dann aber wiederum durchweg von Desorientierung und Angst gezeichnet sein, was in Filmform einiges an Überwältigung missen lässt; im Fall der etwas doll klischierten Gina Rodriguez am ehesten für Hysterie (und sogar Gore) sorgt. Ich hab den Vergleich schon auf Twitter gezogen, aber jene gedrückte Handhabe ging bei mir größtenteils nicht über den Habitus von „Transcendence“ hinaus (der ja auch positive Aspekte an sich hatte, nicht falsch verstehen). Es lässt sich auch nicht ganz von der Hand weisen, wie Garland das Verhältnis von Fragen und Antworten aufwiegt bzw. wie er die Deutung derer dem Zuschauer abnimmt – selbst wenn er sich in einer (nicht immer gelungenen) Verschachtelung übt, welche das labile Wesen des Menschen sowie seiner Wahrnehmung ins Gewissen rückt. Der Punkt ist durchaus die stichhaltigste Schlussfolgerung des Films, der darin auch Ängste der Übernahme aus unserer Gegenwart behüteter Identitäten reiht, als kämen die Körperfresser wieder zu Besuch. Dafür nimmt der Film aber auch einige Plattitüden an Menschenkenntnis in Kauf, die es einem einfacher als nötig machen und letztendlich halt auf eine Odyssee reißerischer Entdeckungen/Schocks abzielen (die Formulierung werde ich mir heute mehr als einmal erlauben). Von dem bewährten Konzept aus kann man dem Film noch gut folgen, allerdings war’s letztendlich doch ein beschwerlicher Weg aus obligatorischen Vertrauensfragen und Was-ist-das-erklärs-mir's hin zum finalen Rausch. 


Jared Leto Tadanobu Asano


Etwas weniger als das bietet hingegen der ebenfalls auf Netflix neugestartete „The Outsider“ an. Regisseur Martin Zandvliet wollte ich da im Vertrauen mehr Kompetenz anrechnen, da ich seinen „Unter dem Sand“ noch für effektives Spannungskino verhärteter Fronten im Frieden hielt. Eben dessen Thema, wie ehemalige Kriegsfeinde zu Freunden werden können, wie Schuld und Gewissen innerhalb neuer Abhängigkeitsverhältnisse abzugleichen sind, mag ihn auch zu diesem Stoff geführt haben – doch mit dem Herzstück an Kontrasten kommt er nicht weit, wenn Jared Leto als G.I.-Yakuza-Konvolut sehr typische Genrepfade erneut bewandert und aus rein stumpfer Anpassung ins Pathos ehrwürdiger Rache rutscht. Ich schätze, es geht ihm da noch um die mentalen Folgen von Militär und Kriegsgefangenschaft - Leto und Zandvliet wissen aber scheinbar kaum, wie sie diese Hülle an sich zumindest zur Hülle ausfüllen können. Zudem scheint Zandvliet auch sein sonstiges inszenatorisches Geschick abhanden gekommen zu sein. Anstatt Spannung zu ballen, verlässt er sich auf Steadicam-Strecken, Neonfarben und die ältesten Kamellen von Schuss und Gegenschuss, um irgendwo ein Hauch von Zen auszumachen. Es bleibt aber Wunschdenken, solange die Verhältnisse untereinander mit Binsenweisheiten, Territorialdrohungen und reaktionärem Gangster-Einmaleins allein begossen werden.



Und das ist dann keine sich ins existenzielle Nirwana steigernde Poesie à la Kitano, sondern ein Märchen aus 1001 zuvorgekommenen Filmen, das allenfalls noch von der Ambivalenz seiner Hauptfigur unterwandert wird. Aber ist diese überhaupt tatsächlich präsent oder nur ein Ventil für eruptive Gewaltmomente? In denen wacht der Film ja am Meisten auf und hält selbst dann spekulativ drauf, wenn auch zum dritten Mal hintereinander der kleine Finger abgeschnitten wird. Solche Szenen sagen zwar aus, wie weit der Gaijin für seine Befreier gehen würde, aber es wird letztendlich nur im lustlosen Abhaken an Topoi draus geschlossen, wie dieses Verhältnis z.B. im Kontrast zum eigentlichen Nachkriegsverhältnis anno dazumal steht, eben was jene wechselseitige Anpassung macht oder ausmacht. Universelle Bruderschaft, gar die sehr altbackene Liebe zum exotischen Mädel? Irgendwo lungern profunde Werte, werden aber so oder so vom Film her aufs Mühseligste in drei Akten aufgelöst. Die Motivation des Narrativs gründet sich dann zwar noch immer auf der (spätestens seit Kurosawa/Leone erwiesenen) Faszination der westlichen Welt zum Themenkomplex Nippon und andersrum, verharrt aber in der Hemmung, schlicht von außen rein zu schauen und infolge dessen aus dem Innern in die Beliebigkeit zurück zu starren. 


Marie Bäumer Romy Schneider


Ein Stück weit mit demselben problematischen Ansatz hadert auch das neue Romy-Schneider-Porträt „3 Tage in Quiberon“. Emily Atefs Berlinale-Beitrag probiert anhand eines reduzierten Naturalismus, das Wesen der berüchtigten Protagonistin binnen purer Intimität zu verinnerlichen. Zentral dafür gerät eine Interview-Situation mit Vertretern des Stern Magazins in eskalierende Gewissensangriffe über, welche ihr Subjekt mit aller Gewalt zu fassen versuchen sowie mit voller journalistischer Grenzüberschreitung auf Widerstände des Privaten einbohren (auch den Sekt aufstellen, obwohl Romy auf Entzug sein soll). Die Auflösung einer Person des öffentlichen Lebens scheint keine Gefangenen zu machen, obgleich man hauptsächlich Reaktionen denn wirklich konstruktive Reflexionen erwarten dürfte. Seelen-Exhibitionismus halt. Mit der Realität müssen sich Film und Zuschauer (hoffe ich doch) zwangsläufig ebenso abfinden, also dass innerhalb solcher Rahmenbedingungen nichts Absolutes an der Person Schneiders feststellbar sein wird. In der Umsetzung aber beruft sich der Film offenbar auf eine immerwährende Melancholie ihrerseits, eben eine, die sie mit ihrem Markenzeichen der hinterher hängenden Kindlichkeit zu überspielen versucht. Ein bisschen Image, ein bisschen Anti-Image, fertig ist der Lack? Unter Umständen geht man mit so einer Charakteristik eher noch in Sachen biographischer Einzelheiten in die Tiefe, wirklich vielschichtig fällt der filmische Wert dessen auf dem Papier dann trotzdem nicht aus. Dass es nicht so herbe ins Gewicht fällt, ist Marie Bäumer zu verdanken, die selbst aus der noch so peniblen Mimikry des Interviews stets Echtes nach vorne fördert. Das funzt auch daher so stimmig, weil der Film ihr nicht in die Quere kommt. Der wirkt im Gegenzug seiner selbst willen oft zu diszipliniert-distanziert, von einer nie aufgelösten Inkonsequenz und Irrelevanz unterlaufen. Gut, es basiert explizit auf etwas Echtem und wenn man das vermitteln will, ist manch hingenommene Leere sogar ein Muss. Trotzdem nutzt Atef auch abseits dieses Faktums kaum was an filmtechnischen Möglichkeiten, auf etwas Inneres in jenen Etappen hinzuweisen, außer Motive einer stinknormalen Kuranstalt – in Schwarz-Weiß immerhin!



Die Spannung kommt in jenem Szenario deutlich aus der zwischenmenschlichen Reibung, aber ihre Gestaltung, Kameraführung und Sounds bleiben konstant auf demselben Level von basic coverage. Es kann uns eigentlich kaum gleichgültig sein, was wir da sehen, aber genau mit dem Gefühl wird man angefüttert/hinausgezögert, was nicht mal mit dem Unterbau einer einnehmenden Atmosphäre ausgeglichen wird. Es ist dermaßen unpersönlich, aber die Unpersönlichkeit fließt so gut wie gar nicht ins Narrativ ein – dafür ist alles am Hotel und seiner Therapie zu gemütlich ins rechte Licht gerückt (Gegenbeispiel hierfür: „Die Sehnsucht der Veronika Voss“). In dem Sinne macht Quiberon seine 115 Minuten so schwer wie er dünn ist. Dennoch gibt es einzelne Situationen, die aus dem Nichts mit Haltung glänzen. Exemplarisch sei da die Kneipenszene genannt, in welcher die Euphorie der Trunkenheit auch inszenatorisch von einer Person zur nächsten schlendert, dort eine Möglichkeit des Seins aufbereitet, die der ansonsten übergreifenden Existenzverdrossenheit des Films etwas Paroli bietet. Genauso gut dürften die Anflüge zarter Freundschaft innerhalb des Quartetts um Schneider, Freundin Hilde Fritsch (Birgit Minichmayr) und Journalisten (Robert Gwisdek und Charly Hübner) greifen, wenn sie denn nicht ständig von der Sorge bzw. der Ausbeutung der Sorge überschattet wären. Im Dialog stellt der Film diesen Umstand sogar an sich selber fest – es fällt ihm aber nur für wenige Momente ein, aus jener Monotonie wirklich auszubrechen, z.B. wenn der Kellner mit Hilde flirtet oder wenn der Film in kurzen Stichpunkten auf die Brüchigkeit derer kommt, die nicht Romy Schneider heißen. Und dankenswerter Weise schließt Atef auch mit einer Note des Aufschwungs, der Ablösung vom Zwang des per Öffentlichkeit verprellten Ichs. Doch mit solch einer dem Zuschauer gereichten Methodik bleibt der Film halt nochmals absolut vage. Kann ich auch jetzt noch nicht beurteilen, ob’s in dem Fall positiv oder negativ nachwirkt. 


Jim Sheridan Curtis "50 cent" Jackson


Ausgesprochen positiv eingestellt war ich in letzter Zeit allerdings gegenüber Jim Sheridans „Get Rich or Die Tryin‘“, obgleich der Film in seiner verfremdeten Selbstdarstellung des 50 Cent Curtis Jackson weit vereinfachter auf Biographisches blickt, in eine trivial verdauliche Gut-gegen-Böse-Chronologie vom Street Life bettet. Die Glorifizierung des Gangsta-Raps ist dementsprechend von vielerlei Grauzonen getilgt oder an den heikelsten Stellen so überspitzt ins Positive gepolt worden, wie es inzwischen nur noch voll Fragwürdigkeit amüsieren kann. Drehbuchautor Terence Winter ließ später auch den „Wolf of Wall Street“ in seiner Selbstherrlichkeit auflaufen, hier vermengt er seinen Mangel an kritischer Distanz aber noch mit höchst spekulativer Milieu-Zeichnung – und das obwohl die Beteiligten alle Möglichkeiten hätten, sich aus ihrem jeweils aufgepeitschten Klischee herauszulösen. Umso kurzweiliger kommt das Biopic-Prozedere sofort auf Intensivstation, den Mythos des kugelsicheren Multitalents im high drama totalen Ghetto-Kintopps auszustaffieren – wo die Kindheit um die Hooker-with-a-heart-of-gold von Mutter kreist, später per Mentor ins Drogen- wie Hip-Hop-Geschäft einsteigt, um letztendlich sich selbst, den echten Daddy/Muttermörder sowie eine glückliche Vervollständigung mit Frau und Kind zu finden. Würde man noch klassische Musik druntermischen, müsste „Moonlight“ hier einen ernsthaften Konkurrenten fürchten – und damit ist nicht nur vom thematischen Gehalt her die letztendlich rahmenbildende Bromance zu Terrence Howard oder die Hassliebe von/zu Drogen-Kingpin Majestic (Adewale Akinnuoye-Agbaje) gemeint. Klar, ist jetzt ein überkandidelter Vergleich, aber zumindest im Sog machen sich beide Filme ebenbürtig um Aufmerksamkeit verdient. Der eine lässt halt seine Charakterstudie in Bildern nachfühlen, der andere in ultravulgärem Cliquen-Slang auf der road to success.



Und dann kommen noch durchweg kindliche Anwandlungen des Protzens zur Geltung, die selbst per Mietwagen auf dicke Hose machen – dann nennen ihn nämlich alle im Viertel „den Hübschen“, zu drollig! Auch irgendwie kindlich geht der Film mit einem um, wie plötzlich Handlungselemente und Figuren eingeführt werden, die im Ensemble als selbstverständlich gelten, gar auf einmal weitreichenden Einfluss von Kindesbeinen an haben – obwohl die zu dem Zeitpunkt im Film kaum anwesend waren, trotzdem großen Aufwind produzieren. Man bemerke dafür allein die Wiederbegegnung unseres Marcus (50 Cent) mit seiner angeblichen Jugendliebe Charlene (Joy Bryant) und wie weit das ab dort entwickelt wird/zurück gehen soll. Es wird nicht der einzige wundersame Irritationspunkt des Films bleiben. Falls man davon mal nicht kurios am Halse gepackt wird, stehen die Dialoge Schlange, einen mit drübberen Proklamationen und inspirierenden wie bedrohenden Phrasen auf die schiefe Bahn zu führen. Die ganze Aufregung ist so sympathisch aufs Epische im Profanen aus und innerhalb seiner ballernden Missetaten zudem energisch mit Erklärungs-/Deeskalationsversuchen gewappnet, dass man kaum glaubt, welch Krönung noch auf einen wartet: Die Messerstecherei in der Gefängnisdusche! Die geht auf die Barrikaden wie eine Mischung aus „Eastern Promises“ und „Zwist in Zellenblock 99“, wie eruptiv da mit Klingen, Seife, Schwänzen und Polizeiknüppeln um Gerechtigkeit und Aufstand gehadert wird, ehe eine neue Brüderlichkeit entsteht. Hätte sich das Intro von „The Outsider“ mal mehr hiervon abgeguckt! Man sieht: Es gibt viele einzelne Faktoren/Sequenzen/Eigenarten, die den Film hier mächtig gewaltig pimpen, obgleich er in Sachen Feingefühl erwartungsgemäß stets in der Klemme steckt – wartet mal ab, wie Oscar-verdächtig es sodann rüberkommt, wenn 50 Cent mit zugenähtem Mund in Beziehungsprobleme der Kommunikation abgleitet: Wie der ganze Film ein problematischer Mordsspaß in Formvollendung! 

Eine gute Überleitung übrigens zu meinem nächsten Trio - gewiss wieder eins, das (passend zu den anderen Beispielen dieser Ausgabe) mit der medialen Interpretation von Tätern und Opfern jeweils sehr wählerisch Spannung per Provokation erzeugt. Und zwar handelt es sich um drei Verfilmungen der Causa Gladbeck. Innerhalb der letzten Wochen dürfte der hiesigen Allgemeinheit wieder des Öfteren in Erinnerung gerufen worden sein, was im August 1988 binnen der BRD geschah. Ich will daher nicht nochmal wiederholen, wie das tödliche Geiseldrama des Trios Rösner/Degowski/Löblich verlaufen ist oder wie ich die Handlungen von Polizei und Presse werten würde. Für jede Position zu diesem Sachverhalt gibt es nämlich schon mindestens einen Spiel- bzw. Dokumentarfilm und um in dem Sinne mal einen Überblick zu geben, beäuge ich drei Vertreter, die allesamt aus ihren individuellen Gründen auch kein vollends differenziertes Bild dessen liefern können: Zum einen wäre da das eher schwache Drama „Ein großes Ding“ von Bernd Schadewald. Der Regisseur hatte sich mir mit Filmen wie „Angst“ (1994) als Blickverstärker der geläufigen Sozialstudie gezeigt, indem er besondere Härtefälle menschlicher Untiefen entsprechend schroff im Naturalismus anordnen konnte (siehe auch den etwas gemäßigteren, aber stilverwandten Uwe Frießner). Sehr grell, aber auch sehr nah. Dasselbe wollte ich mir von seiner losen Adaption der Gladbeck-Chronologie erhoffen, doch allein die Besetzung von Richy Müller, Jürgen Vogel, Uwe Fellensiek und Katja Flint ist schlicht zu viel des Guten. Ab und an wurde ja argumentiert, dass der Cast zur Parodie neigen will, doch wenn man als Maßstab ohne Weiteres Christoph Schlingensiefs „Terror 2000“ nehmen kann, wirkt es umso befremdlicher, wie die realen Ereignisse hier gleichsam für einen echten Zweiteiler-Krimi Pate stehen und in den Abänderungen auf plumpe Kolportage angesetzt werden. Die Trivialisierung nimmt Überhand, nur im Vergleich zum 50-Cent-Film entsteht da lediglich bedingt ein Unterhaltungswert – zumal Müller und Vogel permanent am Schreien sind; Verfolgungsjagden, Fluchtsituationen sowie die Rollen von Medien und Polizei ohnehin auf eindeutiges TV-Niveau hin aufbereitet sind. Interessant am Film ist aber, wie er einem die Gangster sogar noch sympathisch zu machen versucht – eben als rotzige Typen, die eigentlich ganz nett sein wollen/könnten, ihren Nichten Gute-Nacht-Geschichten erzählen und sich schlicht ein besseres Leben wünschen, wenn man sie nicht vorsorglich-lebenslänglich in die soziale Endstation verfrachtet hätte. 


Richy Müller Rösner


Solche Argumente präsentiert in etwa auch der Dokumentarfilm „Der Geiselgangster von Gladbeck“ von Uta Claus. In diesem recht frühen Portrait von 1991 wird speziell der Lebensweg Dieter Degowskis durch Zeitgenossen nacherzählt und interpretiert. Ehemalige Nachbarn, Kollegen, eines seiner Geschwister, ehemalige Geiseln sowie Psychologen und sogar sein Strafverteidiger kommen zu Wort. In den Gesprächen wird eine grausame Kindheit offenbart, folglich auch in welchen Bedingungen kaum Hoffnung für den Mann keimen konnte und in welchen Kreisen er sich also fortwährend noch was wert fühlte. Alles Aussagen, die in konkreter Abbildung zwar nicht werten, in der Ballung aber natürlich Partei ergreifen müssten. Dagegen stehen ausgerechnet die Aussagen, die in Richtung Sympathie gehen, da sie allesamt von einer gewissen Naivität herrühren – Schwester und Kumpel meinen, dass er mit ihnen mitgekommen wäre, wenn sie frühzeitig dagewesen und die Polizei sie nur gemacht lassen hätten; Strafverteidiger und Psychologen lassen zudem jeden verhängnisvollen Impuls als Reaktion auf die Vergangenheit oder auch jede Behauptung der Reue als Anlass zur Schuldverminderung gelten, selbst wenn sie noch so bizarr klingen mögen (u.a. Degowskis Anruf ans Totenreich, dass Silke Bischoff ihm auf dem Wege schon verziehen, er Emanuele De Giorgi aber noch nicht erreicht hätte). Was seine überlebenden Opfer zu ihrer Begegnung mit ihm zu sagen haben, scheint zudem hauptsächlich von Unberechenbarkeit gezeichnet zu sein, eben wie wenig sie alles abseits der permanenten Furcht beurteilen konnten. Der Film hat also ein ziemlich offenes Auge für Mängel und Zwiespälte in der Menschenkenntnis seiner Zeit, als dass er händeringend um ein Urteil zur Person Degowskis argumentieren würde. In der Funktion vermeidet es der Film aber eher, die Rolle der Medien als Faktor in dem Fall kritisch zu betrachten – dann würde er sich ja selbst als erneute Projektionsfläche dessen reflektieren müssen, aber ohne diesen Aspekt wird die Sache wiederum heikler, insbesondere da einige Zwischentitel mit enorm finsterer Musik darauf hinweisen, welche Interviewpartner man aufgrund der Entscheidungen der Justiz nicht aufsuchen durfte. In eine ähnliche Falle tappte übrigens auch die Docu-Fiction RTL’s zu dem Fall, „Wettlauf mit dem Tod“ (1998), als diese die Mittäterin Marion Löblich selbst vor die Kamera zum Interview ranholte. Dort durfte sie sich dann im Nachhinein über die Aktionen von Polizei und Presse empören, auch dass man sie selbst hätte schneller schnappen müssen, bis sie in den nachgestellten Szenen zeitweise sogar zur Stimme der Vernunft hochstilisiert wurde. Wenn noch Brisanteres an Distanzlosigkeit in dem Film aufgetaucht wäre, würde ich jetzt auspacken, aber ich belasse es lieber dabei, noch zu erwähnen, dass Rudolf-Thome-Stammschauspieler Cornelius Schwalm hier eine seiner ersten Rollen als Rössner inne hatte! 


Dieter Degowski


Zum Schluss sei aber noch die aktuellste Adaption des Falls genannt, schlicht „Gladbeck“ - knapp rechtzeitig zum 30. Jubiläum der damaligen Ereignisse von Kilian Riedhof inszeniert und von der ARD als Zweiteiler zur Primetime ausgestrahlt. Die Beweggründe dafür sind mir im Nachhinein weiterhin etwas schleierhaft. Rein oberflächlich betrachtet gibt dieses Event einen ziemlich straffen Terrorfilm ab, der allerdings auch ausschließlich dieses Gefühl auszudrücken imstande ist. Jedes Mal, wenn er die Zwischentöne der einst tatsächlichen Reaktionen nachzuzeichnen versucht, wirkt er daher komplett neben der Spur und widersprüchlich binnen seiner selbst. Der inszenatorische Grundmodus der Bedrohung gibt zwar permanent Druck in (merkwürdig coloriertem) Cinemascope und Synth-Drones, doch da beißen sich erst recht die naturalistischen Eindrücke der Mimikry mit hochdramatisierten Drehbuchphrasen anhand von Einsatzleitern. Zudem sieht man sich als Zuschauer auch auf eine Emotionalisierung angesetzt, die dem Desasterfilm-Prinzip gemäß einzelne Vorgeschichten, Betroffenheits-Sequenzen und Gesten des Gefühls als Symbolbilder der Menschlichkeit spekuliert. Ist jetzt halt ein Film-Film, von daher sind Rössner und Co. vollends als fettige und räudige Monster ohne echten Kontext ihrer Präsenz gezeichnet. Da steckt man gar nicht mal uneffektiv und vor allem intensiver in der Sommerhitze der Angst drin, zumal sich der Thrill modern körperbetont zwischen Neonlicht und Bordstein reindrückt - doch es ist wie gesagt die einzige Stärke dieser Odyssee. Das größte revisionistische Potenzial hätte ich eigentlich in der Darstellung von P+P vermutet und da ist die Sache für wahr ziemlich kurios ausgefallen: Einerseits wollte Riedhof den Schock der stets vermasselten Annäherung an die Täter für den Effekt ausnutzen, andererseits den einzelnen Urhebern mehr oder weniger stets gerecht werden. Fast immer ist es ein Gewissenskonflikt, eine ethische Brenzligkeit, Zivilcourage, Überzeugung aus Angst oder eben eine Frustration, die gegen die eigene Überzeugung stimmen muss. Tendenziell entscheidet der Film in der Menge an Konflikten eher zugunsten der Polizei, à la „Die Gesetze sind zu lasch, es mangelt an Führung in solchen Fällen.“. Gibt man dem besorgten Bürger damit nicht Grund zur Sorge, dass die Polizei auch angeblich heute noch nicht das Rechte tun darf? Und dann auch noch gegenüber einer Presse, die das Spektakel frech und falsch für sich einnimmt? Nun, der Film ist in Wirklichkeit dann doch nicht fähig, irgendwas in der Sache aufzuwiegeln. Bei ihm verschwimmen die Ereignisse im Trauma der Machtlosigkeit und haben bei der Deeskalation des Individuums schlicht keine Zeit für Empörung. Unterschieden wird hauptsächlich zwischen Opfern, Tätern und denjenigen, die das Ganze beenden wollten. Dass es an jeder Stelle hunderte an Schaulustigen gab, will man dem Zuschauer daher auch eher verheimlichen, sonst müsste er den moralischen Diskurs der Handlungsunfähigkeit eventuell ja mit sich selber anstelle derer innerhalb dargestellter Machtpositionen führen. Puh, ein schwieriges Themengebiet, ganz bescheiden gesagt! 


ARD Degeto Zsa Zsa Inci Bürkle


Ich weiß jetzt gar nicht mal so recht, wie’s euch als Leser geht. Hmm, habt ihr denn in dieser Ausgabe an Tipps genügend Tipps erhalten? Ich weiß, diesmal ist wieder so eine Reihe zustande gekommen, in der ich eher die thematische Connection der Filme untereinander ausschreiben wollte. Dabei hab ich erstmals dank feiner Ausleihe vonseiten Siggi Bendix' einige teils grandiose Selbstläufer gesehen, wie z.B. „The Purple Rose of Cairo“, „Zwei Tage, eine Nacht“, „Ein Amerikaner in Paris“, „A.I. – Künstliche Intelligenz“ und vor allem „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“! Herrje, was für eine Auswahl – aber die Sache ist ja die: Ihr kennt sie schon und ich habe mich vor lauter Ehrfurcht erstmal zurückgehalten, Deutungen und Meinungen zu schreiben, die bei solchen Werken bestimmt schon zu Genüge ausklamüsert wurden. Tja… aber einen habe ich gesehen, der ist vielleicht nicht ganz so weitläufig im Kanon verewigt – und zwar Klaus Lemkes schöner kurzer „Mein schönes kurzes Leben“ von 1970. Der ist schmissig, elliptisch, vollkommen im Hier und Jetzt seines Problemfalls Mischa (Michael Schwankhart) auf geistiger Achterbahnfahrt, todtrist binnen der BRD-Großstadtmoloch-Monochromatik gejagt und doch höchst romantisch, keck und im Faustrecht, drogenschmuggelnd/-klauend und mit der Vergänglichkeit flirtend, in Wohnungen gammelnd oder an der Würstchenbude aufgedreht, total salopp nachsynchronisiert oder zaghaft mit der Sprache der Augen rausrückend, Musikvideo und urbanes Winter-Fegefeuer, im Spiegelspaß des Konsums wiederbegegnend, auf Erfolgskurs in der Plattenbranche gen Hamburg pendelnd und doch mit der Eifersucht auf der Flucht, überall von rabiaten Bullen und Gangstern gesucht und dennoch an der frischen Luft labend, ein Bonvivant der Anarchie und garantiert sterbendes Systemopfer zugleich. Was für ein himmlischer Ritt. Nach dem Film war’s dann nur noch halb so schlimm, dass ich am selben Abend im Folgenden die Oscars sehen musste. Aber wir kommen vom Thema ab - man liest sich beim nächsten Mal, danke!

Klaus Lemke WDR

Sonntag, 4. März 2018

WAS DIE ACADEMY VERSCHWEIGT! (Tipps vom 19.02. - 04.03.2018)

Claire Foy Bruce Willis Paul Rudd Jan Josef Liefers Seyneb Saleh Alexander Skarsgård Kumi Taguchi

Liebe Leser,

Hab ich euch mit dem Goldjungen wieder hinters Licht geführt? Seid nicht traurig, das geht den Leuten in L.A. meistens nicht anders, wir erleben es in der Nacht auf Montag ja wieder früh genug. Es ist quasi eine Poesía Sin Fin (vor dem gleichnamigen Megafilm von Alejandro Jodorowsky fürchte ich mich, diesen in einer mir zufriedenstellenden Form zusammenzufassen), wobei mich zu den folgenden Zeilen ganz andere aktuelle Faktoren inspiriert haben: Der Kampf um das Eigene, Fremdbestimmung, Gefangenschaft, Vielfalt, Einheit und Erlösung - darum geht es in der heutigen Ausgabe an Filmtipps. Wie so oft lassen sich nicht alle einem bestimmten Konsens an Gelungenheit zuordnen, doch die Eventualitäten des Fehlerhaften sind dem Menschen inhärent und wie immer auch subjektiv, darf man also schätzen, gelle? Innerhalb unserer (zumindest online) geballten Ära an Debatten, Hashtagkulturen, politischen Hemmschwellen, Overstatements sowie Skrupellosigkeiten en masse kann man meines Erachtens eben nicht anders, als mit dem ausgeschriebenen Chaos unter die Decke zu hüpfen und sich gegenseitig zu befummeln. Denn trotz aller Offenheit gilt ringsum wohl noch immer: Wir wollen die großen Unterschiede und hassen/ignorieren sie trotzdem, ehe sich gemeinsam einsam auf Illusionen von Utopie wie Dystopie eingeschworen wird. Solche Widersprüche sprengen zwangsläufig das Format, was den Kanon von Gut und Böse, Ab- wie Tiefgründig angeht, bis wir uns von einer gewissen Paranoia nähren und sie uns auch irgendwann in echt heimsucht – da soll übrigens „Der Willi-Busch-Report“ von Niklaus Schilling als gefühlsmäßiges Äquivalent nicht unerwähnt bleiben (ich wollte ihn anfangs näher besprechen, ist aber ergiebiger für euch, den einfach zu sehen, Steadicam-Furiosität et al). In diesem Sinne gehen wir mit den nächsten Merkwürdenträgern der Filmwelt wieder ein bisschen dem unsteten Eigensinn auf die Spur, wie er sich für alle und auch mal gegen jeden richtet, fesselt und zugleich irritiert. Ein schwieriges Unterfangen, wohlgemerkt ohne klare Lösung, doch nützt ja nix, stumm zu bleiben. Oder doch? Sind die Grenzen des Konformen und Nonkonformen jetzt abstrakter denn je geworden oder was? Lasst mich mit solchen Fragen in Ruhe! Ich kenn die Antwort! Hier kommt die totale Verwirrung:




MUTE (Duncan Jones, 2018) – David-Bowie-Sohnemann Jones hat bei Kritik und Publikum nun wohl vollends verkackt, obgleich das mehr denn je eher bei „Warcraft“ hätte passieren müssen. Als Nachhall dessen kann man sodann die beinahe ausschließlich negative Auswertung seines aktuellen Werks verstehen, wobei sicherlich auch eine Schippe Dissens gegen Netflix sowie ein Überdruss an (seit letztem Jahr zufällig angehäuften) Cyberpunk-Topoi mit beteiligt waren. Die Mehrheit verwechselt nun also so mir nichts dir nichts Jones‘ Ambitionen innerhalb gewohnter Genre-Parameter mit derivativer Anbiederung, wertet seine Studie sexueller Vielfalt sowie deren Regression ins verklemmte Hinterstübchen als Trivialvoyeurismus, während „Blade Runner 2049“ - das von Ästhetikhipstern weltweit gelobte Roger-Deakins-Vehikel - wiederum vom Hocker reißt. Des Rätsels Lösung ist aber, dass sich alle diese Filme als Gegenwartsbeschreibung natürlich überschneiden müssen, mit angezogener Handbremse in eine überfordernde Zukunft zu ejakulieren versuchen. Der letzte „Ghost in the Shell“ lässt sich ebenbürtig deuten, wie der Mensch (eine Perle der Futur) zwangsläufig vom Körper abgekoppelt wird, sich binnen der Hochkonjunktur an Bevölkerung seiner selbst schämt, im Gegenzug mehr und mehr ins Eigene/Digitale vorausflüchtet und eben tendenziell embryonal lernt, wieder Wurzeln zu schlagen. „Mute“ steht da an seiner Oberfläche noch am Ehesten zum Elterndasein und natürlich zur Suche nach Selbstverantwortung, welche zwangsläufig im gehemmten Tempo dran ist, dazu mit dem eigenen Body (danach erst mit der Soul) ins Reine zu kommen. Scheinbar völlig unverständlich für die Filmbewertungs-Generation Pacing, die mehr der Story sowie etwaig draufgepappten Erlösungssymbolen denn dem Wesenszustand eines Protagonisten folgen will – bei sowas wie Louis Malles „Das Irrlicht“ wäre deren absolute Überforderung garantiert. Bei der wird dann u.a. eben mehr drauf geachtet, wie man in dem bewährten Tech-Noir-Rahmen „alles schon mal gesehen“ hat, dass Alexander Skarsgård als stummer Leo nur ach so stumpfe Blicke, sprich bewusst begrenzte Möglichkeiten der Kommunikation drauf hat und sich darin zieht, einer längst verlorenen Zelle an Vertrautem (Freundin Naadirah – Seyneb Saleh) hinterher zu traben. Dabei ist es doch nicht selten so, dass Mensch (erst recht in der Zukunft) unter dem Zugzwang fester Regeln, Riten und Vorstellungen steht, energisch mit der Bindung zum Gegenüber umgeht, dieses und sich selbst u.U. überfordert, oversexed wie underfucked ist. Das sind keine unbedingt schlechten Eigenschaften, allerdings scheint es bei der Einschätzung des Films nur den wenigsten möglich, den individuell befürchteten Kontrollverlust darin zu reflektieren. Dabei muss man dazu eigentlich nur mal beobachten, wie allesamt im Ensemble (allen voran Cactus Bill – Paul Rudd) davon ausgehen, was alles am Alltag zu funktionieren hat; weshalb sie dieses und jenes tun; wie viel davon unerfüllt bleibt, hintergangen wird, sich transformiert – ganz gleich aus welcher Quelle. Vielerlei Ebenen an bloßem Vertrauen verlaufen sich ins Fegefeuer, Konfrontationen in manch herzlichen Neubeginn. „Mute“ sieht und führt einen permanenten Drang nach Zugang, indes reiht er kunterbunt verzweigte Sets sowie verschlossene Türen, Suchende und Ausgeknockte, sexuelle Freiheit als Unfreiheit unter dem Dach von Kleinst-Appartements. Er stellt zugleich keine reine Retromanie, sprich konservative Dystopie dar - dann nämlich würde er es ja begrüßen, wenn jeder nur unter seines Gleichen bleibt. Stattdessen geht er auch mit äußerst schwierigen Charakteren wie Exil-Ami Duck (Justin Theroux) so vieldeutig und wechselwirksam um, wie parallel dazu Leo manche Wahrheiten von Naadirah entgegen seiner Beziehung zu ihr zu verinnerlichen imstande ist. Und das, obwohl er als Amisch-Sohn ständig vom Glauben aus auf die Neonstadt Berlin um sich herum reagiert. Vieles ist in seinen Augen dann eine Perspektive der Furcht, aber da ist er gewiss nicht allein, wie sich eben viele im Film vor der gesteigerten Unberechenbarkeit des Anderen fürchten, selbst wenn sie es gar nicht müssen. Furcht oder die Gewissheit dieser wird hier nämlich mit Schutz gleichgesetzt, ob nun vom kalten Blick kibernetischer Bodyguards ausgehend, als trollende Handy-Nachricht einer vermissten Liebe bemutternd oder via angeschossenen Gangstern als finanzielles Standbein agierend. Furcht ist auch mal Neugier, mit welcher sich der Sex anbietet/verkauft; dann wiederum das dummschwätzende Ventil für eine Eifersucht, die sich über die Fehler des ihr bevorzugten Liebhabers lustig macht. „Mute“ wühlt die Innereien des gegenseitig leidenschaftlichen Angriffs, wie er in der öffentlichen/privaten Diskussion tagtäglich auftritt, mächtig auf – auch wenn er mit der Dynamik dessen nicht immer rechtzeitig abschließt, an der konzeptbedingten Sprunghaftigkeit auch holprig wirkt: Ein Mangel an eigenen Impulsen kann man ihm nicht attestieren und als Beitrag zum Panorama der Individualisierung/Gentrifizierung des Menschen hat er ohnehin Unmengen an bleibendem Hirnschmalz zu bieten.




UNSANE: AUSGELIEFERT (Steven Soderbergh, 2018) – Den Herrn Soderbergh kann ich bei seinem (wohl aus Prinzip) schier abwegigen Output nur schwer durchschauen und das macht ihn sowohl reizvoll als auch zu einem Garanten an Frust. Jene persönliche Dramaturgie in Folge (vergleichbar mit dem Auf und Ab der Leistungen des FC Hansa Rostock) hat sich sodann erneut mit seinem jüngsten Abstecher in die Genre-Aneignung bewiesen: Einladen kann er ja mit dem im Vornherein hochbrisanten Gimmick, das iPhone als Kinokamera in Spielfilmlänge einzusetzen sowie der Fähigkeit, etwas unter der Oberfläche seiner Stereotypen im Ensemble zu kratzen. Er wirkt dabei geradezu unbeirrbar, konkret und möglichst natürlich auf die Stalker-Paranoia seiner Sawyer Valentini (Claire Foy) einzugehen, wie er an ihr auch einen sehr direkten/fettfreien Sog entwickelt, das Horrorszenario einer unfreiwilligen Einweisung in die Klapse zu erleben. Ist mächtig scheiße, wenn keiner das Individuum verstehen will und sogar noch insofern drauf legt, aus medizinischer Verantwortung zig Freiheiten einzukassieren. Soderbergh trifft da natürlich einen aktuellen Nerv, wie die Entmündigung des Ichs vonseiten unbelehrbarer Obrigkeit global um sich greift, sich hier vor allem als Struktur aus Geldgier/Versicherungsmandat offenbart. Man darf allerdings auch durchatmen, dass er im Verlauf keinen spröden Problemfilm draus macht. Als Plattform der Rationalität wirkt seine Handhabe dennoch unausgegoren, sobald sich ein Szenario herauskristallisiert, das nur bedingt von Verwandten wie „Obsessed“, „Genug“ oder „The Perfect Guy“ abgegrenzt werden kann. Die Drehbuchautoren Jonathan Bernstein und James Greer waren bislang ohnehin ein eher triviales Gespann, welches hier für sich zumindest einiges an Boden gut macht, mit welch piesackender Methodik der Alltag unter Verfolgungswahn und/oder Psychatrie vorangeht. Die Kontinuität des Dialogs wirkt ebenfalls noch selbstsicher genug, doch sobald Antagonisten eingreifen, ist die Kolportage daran schwer am Schuften, nicht vorzeitig zu verpuffen. Sie kommt eben nicht umhin, stetig naiver zu psychologisieren, kintopptaugliche Rachetricks vonseiten Sawyers (u.a. eine Beinahe-Vergewaltigung) in Gang zu setzen und auf eine allzu amerikanische Erlösung zu verweisen, die insofern noch unterhält, da sich Soderbergh durchweg größerer Aufregung verweigert. Seine damit anbandelnde Transparenz hat auch was Sarkastisches an sich, insbesondere beim Cameo eines illustren Stammgasts seinerseits, der allerdings so nonchalant gut wie sonst nie spielt, genauso schlicht kommt wie geht. Vielleicht rechnet Soderbergh eben auch mit der Authentizität seiner Schlichtheit, dass er anhand dieser jedes Genre bewältigen kann, ohne es als Bewältigung (eher als bloße Präsenz binnen der Gegenwart) verstehen zu müssen. Bin unschlüssig bei solch einem Eigensinn, ist ja auch schon mal was.


Tôkyô dîpu surôto fujin (1975)


DEEP THROAT IN TOKIO (Kan Mukai, 1975) – Ein kurzes wie kurzweiliges Vergnügen aus dem Hause Toei, das die berüchtigte Porno-Marke mit der Klitoris im Rachen auf vermeintlich ernsthaftem Terrain reimplantiert. Das junge Unschuldswesen Kumi (Kumi Taguchi) heiratet nämlich in eine Familie mit Monsteranwesen ein und da der Gatte von Betriebswegen her oftmals abwesend ist, versucht der schwerreiche Schwiegervater Takehiko Sakuma (Hideo Murota) als obligatorischer Genre-Sadist, sie seiner Triebe gefügig zu machen. Hundsgemein wie solche Kerle sind und Pinku-eigas ihre Abhängigkeitsverhältnisse ohnehin zu steigern verstehen, geht Sakuma-san soweit, seine Oral-Fixierung anhand jener eingangs erwähnten, absurden Prämisse gegen Kumis Willen an ihr zu erfüllen. Dass dies gelingende Experiment so stark im Kontrast zur visuellen Strenge und Melodramatik des japanischen Leidenskinos steht, stellt sich als Wahnsinnsaktion heraus, ohne welche der Film nur bedingt erwähnenswert wäre. Innerhalb dieser ergibt er sich jedoch einer psychedelischen Symbolkraft und Hysterie, die Kumis Flucht in die Prostitution sowie den geilen Groll des Ehemanns folgen lässt, ehe sich die Situation in eine bissfeste Konklusion steigert, von der man in der deutschen Fassung nur vermuten kann, wie sie sich genau abspielt. Warum da geschnitten und vorher trotzdem am Derbsten untereinander parliert wird (obgleich Kumi nach der Operation stumm wie „Mute“‘s Leo wird), lässt sich vorerst nur als fragwürdig abstempeln. Das diffuse Tempo als auch die Haltung des Films, als Exploitation an der Erniedrigung der Frauen teilzuhaben und dies gleichzeitig als Zentrum der Empathie gegen oberfiese Obrigkeiten zurechtzurücken, ist wie gehabt ein schwammiges Grundgefühl des Genres - selbst bei der letztendlichen Emanzipation von kapitalem Rang. Wäre allerdings auch zu viel des Guten, hier jedwede ernsthafte Absicht zu attestieren, zumal sich Spitzen und Untiefen der Lust ja immerzu an einer Kreuzung treffen. Jene Wechselwirkung wissen die Erotomanen Japans schamlos (sowie im klaustrophob-klassischen Gewand) auszunutzen, aber ist auch nur menschlich und nicht minder aufregend-ambivalent wie „Die Taschendiebin“. Außerdem noch empfehlenswerter, aber an dieser Stelle nicht näher besprochen: „SEXUAL ASSAULT AT A HOTEL: RAPE ME!“ aka „HOTEL KYOSEI WAISETSU JIKEN: OKASHITE!“. Den erlebt man besser ohne nähere Erklärung meinerseits, aber so viel kann ich verraten: Er ist höchst innig mit seiner Protagonistin in der Hin- und Hergerissenheit zur Sexualität verbandelt, wird von den Granatsplittern ihrer Mitmenschen in einen Abgrund gesellschaftlicher Anpassung/Enthüllung gezogen. Ein zunehmend heftiges Erotikdrama!


Bruce Willis


DEATH WISH (Eli Roth, 2018) – Nun ist es doch endlich geschehen: Eine Neuverfilmung der fünfteiligen (und in hiesigen Jugendschutzanstalten fast vollständig rehabilitierten) „Ein Mann sieht Rot“-Reihe flattert ab 18 ins Kino. Dass anno `18 sowas noch passiert, strahlt jedoch mehr Relevanz aus als der Film an sich, wenn seit 1974 weiterhin zur Diskussion steht, ob Selbstjustiz tatsächlich einen Platz in der modern-zivilisierten Welt haben kann – oder zumindest die Fantasie, böse Jungs im Alleingang abzuballern. Eli Roths Film erscheint zudem überaus pünktlich während einer von vielen Kontroversen innerhalb der USA zum second amendment, sogar mit einem Cameo des Kultgewehrs AR-15 an Bord, den Mythos des rächenden Einzelgängers in die Gegenwart zu platzieren. Das bringt schon mal mehr Aufmerksamkeit als jeder x-beliebige Vergeltungsthriller mit sich; der Neuinterpretation mangelt es dennoch an Differenzierungspotenzial. Das fängt schon bei Joe Carnahans Drehbuch an: Wer die Twitter-Präsenz des Manns verfolgt, bekommt alle paar Stunden eine Anti-Trump-Tirade seinerseits spendiert - dementsprechend beschwerlich setzt er an, wirklich unsympathische Positionen zum Sachverhalt Paul Kersey oder überhaupt mehr als ein vages Übel an Verbrechern ins Visier zu nehmen. Dem guten Gewissen wegen schröpft er also die Mentalität aktuellen Superheldenkinos, höchstens einen Robin Hood mit Hoodie und Glock hinzustellen, bei dem die ideologische Entlastung Stück für Stück leichter von der Hand geht als man es einem Charles Bronson oder eben Michael Winner zugestehen will (was die potenzielle Identifizierung mit deren Argumenten umso interessanter macht). Regisseur Roth hingegen versucht noch jede (kurze) Chance zu nutzen, die Lust am Töten aus seinem Protagonisten herauszukitzeln und darf für den Hauptanteil an hiesigem Zynismus sorgen, wie explizit die Carnahan’sche Selbstverteidigung (unter Beihilfe von Kettenreaktionen à la „Nackte Kanone“) bis hin zur reinen Folter ausfällt und Kersey sich selbst dabei gefällt. Gleichsam zurückhaltend persifliert er den amerikanischen Waffenkult, umso stärker die mediale Aufmerksamkeit rund um die Abkratzaktionen des sogenannten Grim Reapers. Podcasts und Memes agieren da so reaktionär und aufgegeilt, dass ihm die Sense zittern müsste, im Gegenzug begründet der Film an jener Bestätigung ein Stück weit die Heilung seines Traumas. So wie sich das liest, müsste es provokant sein, doch dafür fehlt schlicht die Fallhöhe der Vorlage. Bruce Willis sieht man es sofort an, dass er sich nach Kloppe sehnt - der Zuschauer erwartet eben jenes und in seiner neuen Berufung als Dr. Kersey ist die Trennwand zwischen Leben und Tod so logistisch aufgesetzt, dass sie dem Publikum kaum was in Richtung „Krass, dass der sowas machen würde“ bedeuten kann. Sein zerstörtes Familienleben (Ehefrau Elisabeth Shue und Tochter Camila Morrone) ist als Motivator dann auch eher zur reinen Klausel verwässert, deren Sprengkraft im Off bleibt – wie ein Versatzstück aus späteren „Death Wish“-Teilen, nur eben nochmals in voller Länge durchgekaut. Carnahan traut sich nichts (weder Justizirrtümer noch unfähige/korrupte Bullen, Gott bewahre) und Roth muss unter MGM Folge leisten, dass beidesamt zudem einen Mediator via Kersey-Bruder Frank (Vincent D’Onofrio) einbauen, nach welchem für den Zuschauer keine Fragen mehr über bleiben. Keine Sorge, er sagt euch, wenn’s alles zu weit geht. Was also bleibt ist ein glatter Reißer, der als Formaterfüllung noch Spaß macht und von Roth solide (u.a. mit Ursache/Wirkung abgleichenden Splitscreen-Montagen) erzählt wird - zudem einen Willis aufbietet, der sich wieder etwas mehr um Charakter bemüht -, aber höchst unentschlossen ist, nun doch was aus seinem Skandal in greifbarer Nähe zu machen. Dass der Effekt der Rache mehr Nerven kitzelt als die Ursache dessen, ist da als Erkenntnis auch nur ein schwacher Trost.




GEFANGEN – DER FALL K. (Hans Steinbichler, 2018) – Schau an, Hansi Steinbichler lässt sich zum zweiten Mal in meinem Blog blicken. Ich hatte gerade mal Anfang des Jahres sein Debüt „Hierankl“ gesehen und schon lief dieses sein jüngstes Justizdrama zur besten Sendezeit bei den Öffentlich-Rechtlichen. Wahrscheinlich bleibt es im Nachhinein auch in jenen Kreisen verortet, da alle paar Minuten u.a. das „Interstellar“-Thema erklingt und einiges an ausgeliehener Emotion liefert. Man bedient sich ohnehin der Vorlage vom Fall Gustl Mollaths, um zu chronologisieren, wie ein Mensch frei von Schuld in den Schlund eines bestechlichen Rechtsstaats geraten kann. Ab in die Forensik heißt es da für Wastl Kronach (Jan Josef Liefers), so als hätte Mimon Baraka mal Wort gehalten – ersterer will zunächst voll brennendem Entsetzen aufdecken, in welch korrupte Machenschaften seine Frau Elke (Julia Koschitz) im Auftrag einiger Schweizer Banken verwickelt ist. Dies hat zur Folge, dass Kanzleischwergewichte und Gutachter alles an seiner Person ansengen sowie Falschaussagen vor Gericht durchsetzen, während ihm die sonstigen externen Instanzen ohnehin keine Aussage zu gewähren scheinen, weil er der Fassungslosigkeit halber halt schnell laut wird, ALLES GELOGEN (ist hier quasi der Bruderfilm zu „Unsane“)! Was hat der Deutsche immer für Wut im Bauch! Alles also weiterhin extrem dramatisch bei Steinbichler – Liefers im Zentrum bleibt dementsprechend ein arg bemühter Mime, wird der schicksalsschwangeren Verschwörungsparanoia seines Charakters damit aber umso gerechter. Konterkariert werden solche Signale des Zwielichts allerdings mit sehr durchsichtigen Ansagen an den Zuschauer, dass Kronach alles genommen wird, seine selbstverständlichsten Grundrechte bei Autoritäten auf taube Ohren stoßen und Revisionen im Vornherein per konspirativem Personal abgewürgt bleiben. Alles Lug und Trug und böse – außer die Guten, die an allen Grenzen scheitern. Ist da natürlich nicht ineffektiv, wie der Film die Hoffnung begraben kann und daraufhin moralische Gerüste der Gesellschaft einfordert - und seien es nur Apfelkerne oder festes Schuhwerk. Plakativ und konventionell bleibt er trotzdem, bis hin zur Katharsis letztendlicher Rechtmäßigkeit. Damit ist er allerdings auch der am Einfachsten zu verdauende Film dieser Ausgabe.